Nicht in Sparten denken. Zum pädagogischen Potential einer spartenverbindenden Projektarbeit zwischen Tanz und Literatur

„Theater, Tanz, Tanztheater? Ich denke nicht in solchen Sparten. Was wir hier in der Schaubühne mit dem gleichberechtigten Nebeneinander von Tanz und Theater versuchen, ist, von diesen die Kunst einschränkenden Begriffen wegzukommen. Alles kann Theater sein und das Einzige was zählt, ist Qualität.“ (Sasha Waltz)(1)

Entgrenzung der Künste

Spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist ein Entwicklungsprozess innerhalb der Künste zu erkennen, in dem sich die Gattungsgrenzen vermischen und intermediale Arbeiten, die Grenzen der Sparten aufzuheben scheinen. Durch die Infragestellung und die Überwindung unterschiedlicher Genres entstehen neue ästhetische Konzepte und künstlerische Erscheinungsformen. Was Adorno „Verfransung“ (1968) nannte, ist, wie das Zitat der Choreographin Sasha Walz zeigt, für Viele künstlerisches Selbstverständnis (vgl. auch Wohler: 2010).

Während das ‚Nicht-In-Sparten-Denken’ in der zeitgenössischen Kunst längst angekommen ist, scheinen spartenübergreifendes Projekte in der Schule (mit Ausnahme des Schultheaters) häufig noch keine gängige Praxis zu sein. Zwar ist in den Lehrplänen verschiedener Bundesländer das Konzept der ästhetischen Bildung als fächerübergreifendes Anliegen formuliert und es existieren hier zahlreiche anregende Unterrichtsmodelle (2), dennoch wird meist in den einzelnen Disziplinen unterrichtet: in Kunst wird mit Farbe und Form experimentiert, im Fach Deutsch mit Sprache und Text gearbeitet, in Musik gesungen und musiziert und im Tanz getanzt. Betrachtet man die eingangs erwähnten transmedialen Ansätze in den Künsten, erscheint die fachspezifische Abgrenzung der einzelnen Genres in Schule und Hochschule weder zeitgemäß noch umfassend. Die meisten fächerübergreifenden Unterrichtsbeispiele lassen sich bislang für die Verbindung der Bereiche Kunst und Musik finden, verwiesen sei an dieser Stelle nur exemplarisch auf das aktuell erschienene Themenheft „Kunst und Musik“ der Zeitschrift Grundschule Musik (Nr. 70/ 2014). Auch von Seiten der interpretativen Unterrichtsforschung existieren vor allem musikpädagogische Untersuchungen wie sie beispielsweise Kranefeld mit ihrer detaillierten Analyse transformatorischer Prozesse vom Bild zur Musik vorgelegt hat (vgl. Kranefeld 2008a, 2008b).
Das Kombinieren von zunächst heterogenen Bereichen nicht als Verlust des Besonderen, sondern als Chance anzuerkennen, die Öffnung der künstlerischen Gattungen, ein ‚Über-den-Tellerrand-Schauen’ ist aus unserer Sicht eine Bereicherung der ästhetischen Fächer in der Schule. Auch wenn es bis zu einem gewissen Grad sicher sinnvoll ist innerhalb der einzelnen Disziplinen zu arbeiten, verschenkt eine vollständige Trennung kreatives Potential. Die verschiedenen Sparten zu mischen heißt dabei nicht, ihre Eigenarten nicht zu beachten. Im Gegenteil: wie auch bei einem gelungenen Gericht jede einzelne Zutat wichtig ist und zu dem finalen Geschmackserlebnis beiträgt, ist auch bei fächerverbindenden Projekten jedes Element von Bedeutung. Bewegung und Sprache sind dann im Sinne einer ‚Enthierarchisierung der künstlerischen Mittel‘ (Goebbels 2009: 18) gleichberechtigte gestalterische Elemente, die mal stärker mal schwächer akzentuiert werden können. Die zeitgenössische Kunst macht dies – wie eingangs an dem Zitat von Sasha Walz verdeutlicht wurde – vor und zeigt, wie die Überwindung eines Spartendenkens neue Ausdrucksformen ermöglicht. Für die schulische Praxis bedeutet dies, in Bereichen wie dem darstellenden Spiel, dem Literaturunterricht, dem Tanz die Synthese von Tanz und Literatur bewusst zu initiieren; Gelegenheiten zu schaffen, in denen sich die verschiedenen Elemente sinnvoll ergänzen.

„Zw-Ei(n)samkeit“ ein pädagogisches Projekt

Im Folgenden soll anhand von Ausschnitten eines pädagogischen Projekts einer 10. Klasse exemplarisch aufgezeigt werden, wie sich die Bereiche Tanz und Literatur in pädagogischen Projekten zusammenführen lassen und welche Potentiale sich durch eine ‚entgrenzte‘ Gestaltungsarbeit eröffnen. Es geht uns dabei um eine entdeckend-gestalterische Auseinandersetzung mit Sprache und Bewegung und um die Entwicklung einer individuellen Ausdrucks- und Gestaltungsfähigkeit. Als Ausgangspunkt der Projektarbeit wurde gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern das Thema ‚Freundschaft und Liebe’ gewählt. Im Verlauf des Projekts haben sich die Jugendlichen sowohl über Sprache als auch über Bewegung mit dem Thema auseinandergesetzt. Die methodisch-didaktischen Grundlagen der hier vorgestellten Ausschnitte aus dem Projekt beziehen sich im Wesentlichen auf drei Konzeptionen: „Kreatives Schreiben“ (Böttcher 1999) „Tanz als Teilbereich einer ästhetischen Erziehung“ (Fritsch 1999) sowie „kreative Bewegungserziehung“ (Neuber 2000).
Die Schülerinnen und Schüler suchen zunächst nach anregenden Texten zu dem Thema Liebe und Freundschaft. Dies können Auszüge aus Romanen, Theaterstücken oder Erzählungen sein, oder auch Gedichte, Liedtexte etc.. Neben Shakespeares „Romeo und Julia“ und einem Stück des englischen Dramatikers Mark Ravenhill werden beispielsweise der Musiktitel wie „Wenn Worte meine Sprache wären“ von Tim Benzko oder „Frankfurt Oder“ von Bosse feat. Anna Loos von den Jugendlichen ausgewählt. Die Schülerinnen und Schüler erhalten außerdem die Aufgabe eigene Texte zu dem Thema ‚Verlieben’ zu schreiben. Der Schreibimpuls lautete wie folgt: „Schreibe auf einen Zettel so viele Sachen wie möglich auf, die du gerne magst, die dich begeistern, die etwas Besonderes für dich bedeuten, in die du dich verlieben könntest. Wähle dann ein Motiv aus und schreibe dazu einen Liebestext.“ Dieser etwas unkonventionelle Einstig sollte den Schülerinnen und Schülern den Zugang zu dem Thema erleichtern. Eine Schülerin verfasst daraufhin eine Würdigung an ihre Lieblingsschokolade:

Schokolade

Wenn ich in dir bade, meine heiß geliebte Schokolade.
Von Kopf bis hinunter zu Fuß und Wade.
Dann entreißt es mir die Sinne
und ich beginne
ohne Sinne
halte nicht inne
binnen weniger Augenblicke
nichts zu sehen
nichts zu verstehen
zu zergehen
dahinzufließen
zu genießen (…)
Die selbst geschriebenen Texte wie auch die Auszüge aus den Theaterstücken werden allein oder mit einem Partner gelesen. Dabei werden – durch Impulse der Leiterin und anhand von eigenen Ideen – unterschiedliche Vortragsweise erprobt (traurig, leise, laut, atemlos, wütend, unsicher, nuschelnd oder rebellisch lesen). Die Jugendlichen experimentieren auch mit verschiedenen Bewegungen und Körperhaltungen und lesen die Texte also im Gehen, in verschiedenen Körperposen verharrend, als Standbild, auf dem Boden liegend, indem sie versuchen sich eine Fliege aus dem Auge zu knibbeln etc.. In Anlehnung an Ideen des Improvisationstheaters geben die Mitschülerinnen und Mitschüler von außen Regieanweisungen, während die Texte vorgetragen werden. Auch probieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus, wie es wirkt, wenn bei dem Vortrag des Textes eine Hintergrundmusik läuft, die den Inhalt spiegelt oder auch kontrastiert.
Im Verlauf des Probenprozesses erhalten die Jugendlichen die Aufgabe verschiedene Gesten, Haltungen und Gebärden zu erproben und Sprache in Bewegung umzusetzen: sich annähern, sich ablehnen, sich berühren, sich tragen, sich zum Narren machen, sich in Schutz nehmen, auseinandergehen und sich wieder annähern,  sich auf die Schulter klopfen, einander die Luft zu Atmen nehmen, platzen vor Glück, sich den Kopf verdrehen, jemanden versetzen. Angeregt wurde der vielfältige Umgang über den Einsatz von Gestaltungskriterien, also zum Beispiel durch die Anregungen leise, laut, schnell, in slow motion, über Wiederholungen, auf Umwegen, geradlinig, verträumt, zaghaft, forsch etc. aufeinander zuzugehen.
Auf der Grundlage der Bewegungsaufgaben entwickelt sich eine Szene für die spätere Inszenierung: Mehrere Paare stehen auf der Bühne zunächst weit voneinander entfernt und versuchen, sich einander anzunähern: ein Paar rennt aufeinander zu und verharrt kurz bevor es sich trifft regungslos. Ein anderes nährt sich mit geschlossenen Augen im Schneckentempo und scheint dabei Zeit und Raum zu vergessen, ein drittes schlendert lässig aufeinander zu, um dann genauso unbeeindruckt aneinander vorbei zu gehen. Zeitgleich tanzt am Bühnenrand ein Paar seine bewegte Interpretation der Redewendung ‚sich in Schutz nehmen‘ und zwei weitere Duos zeigen, wie man sich auf verschiedene Arten ‚ab-lehnen‘ kann.
Die Akteure entwickeln außerdem ‚Minichoreographien’ mit einem Partner. Ausgangspunkt hierfür sind (Körper-) Impulse. In einer begleitenden Reflexion werden Fragen nach der nonverbalen Kommunikation in den Duetten thematisiert. Im Laufe der Improvisationen wird deutlich, dass die verschiedenen Paare die Bewegungsaufgaben sehr unterschiedlich lösen. Die tänzerischen Gestaltungen eines Duos wirken eher akrobatisch und kämpferisch, die Bewegungsmotive eines anderen Paares erscheinen dagegen eher innig und zart.
Während die Akteure in sich wiederholenden Schleifen ihre zuvor entwickelten Motive tanzen, beginnen sie nach einiger Zeit Textfragmente aus den Dramen, Songtexten und aus den selbst geschriebenen Texten zu sprechen. Diese lauten etwa wie folgt: „Mein Ohr trank keine hundert Worte noch von diesen Lippen, doch es kennt den Ton. Wie kamst du her? O, sag mir, und warum? Die Gartenmau`r ist zu hoch, schwer zu erklimmen. Ich hab`s gewußt. Du bist verknallt in mich. Scheiße. Weißt du, ich habe wirklich gedacht, ich wäre drüber weg. Liebst du mich? Ist es das? Liebe? Ich weiß nicht. Wie würdest du das definieren?“ (3) Diese und andere Zitate werden von den Jugendlichen bei der Aufführung in nicht festgelegter Reihenfolge während des Tanzens vorgetragen. Sie säuseln, spotten, stottern, strotzen, schmeicheln, schimpfen, zetern oder schreien. War es vorab das Thema ‚aufeinander zugehen’, das in vielfältigen Variationen über Bewegung erprobt wurde, so sind es jetzt die von den Jugendlichen eingebrachten Texte, mit denen sprachlich-stimmlich gespielt wird. Für die Zuschauer aber auch für die Akteurinnen und Akteure entstehen immer wieder neue Bilder und Assoziationen.
Aus den verschiedenen Schreibanregungen, Tanzimprovisationen sowie den ausgesuchten literarischen Vorlagen entwickeln sich so nach und nach Ideen für eine abschließende Inszenierung, die von den Schülerinnen und Schülern gemeinsam mit der Leiterin ausgewählt werden. Text und Bewegung sind hier gleichberechtigte gestalterische Mittel, die mal mehr, mal weniger in den Vordergrund treten.

Medienspezifische Besonderheiten von Sprache und Körper

Was unterscheidet die Künste? Über medienspezifische Besonderheiten der verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen existieren vor allem aus kunstwissenschaftlicher Perspektive zahlreiche theoretische Analysen. Viel zitiert ist hier Lessings „Laokoon“ (1766), in dem er sich mit dem Verhältnis von Dichtkunst und Malerei beschäftigt und Kategorien aufzeigt, anhand derer sich die beiden Kunstformen unterscheiden lassen. Aktuelle Untersuchungen einer Kunstformspezifik beschäftigen sich mit ausgewählten Sparten (z.B. bezogen auf Musik und bildende Kunst la Motte-Haber 1990; Brandstätter 2004) oder mit umfassenden kunstwissenschaftlichen oder phänomenologischen Analysen der Künste (vgl. Brandstätter 2008; Waldenfels 2010). Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive betont Mollenhauer bereits in den 1980er Jahren, dass die Theorie der ästhetischen Erziehung vor der Aufgabe stehe, „die Besonderheiten der verschiedenen »Künste« herauszuarbeiten, die damit verbundenen Regeln des Gestaltens und Verstehens und die darin gegebenen Bildungsaufgaben zu bestimmen“ (Mollenhauer 1988: 33)
Wir orientieren uns bei der Darstellung der medienspezifischen Charakteristika an der Strukturierung von Haselbach, die bezogen auf Tanz und Bildende Kunst verschiedene Lernbereiche unterteilt: Lernen aus der Leiberfahrung; Lernen am Kunstwerk und Lernen am Gestaltungsprozess. Analog beschreiben wir als Ebenen ästhetischen Lernens die Bereiche Wahrnehmen, Gestalten und Verstehen.

Sprache und Bewegung wahrnehmen

Die verschiedenen Künste haben ihre Besonderheiten und stimulieren unterschiedliche Sinne des Menschen. Die Wahrnehmung erfolgt mal eher über auditive, über visuelle, kinästhetische oder taktile Impulse beziehungsweise im Zusammenwirken verschiedener Systeme. Es ist evident, dass der visuelle Sinn stärker beim Malen angesprochen wird, der auditive Sinn beim Musizieren oder der Bewegungssinn im Tanz. Häufig werden die verschiedenen ästhetischen Äußerungen durch die Unterschiede in dem in ihnen auftretenden Verhältnis von Zeit und Raum beschreiben (vgl. z.B. Mollenhauer 1988: 32). Bezogen auf die Zeit ist das Flüchtige dabei im Gegensatz zu Bildern und dem geschriebenen Wort das bestimmende Moment von Tanz, Theater, Performance, Akrobatik etc.. Es ist der Augenblick, die Nichtwiederholbarkeit, der Ereignischarakter einer Aufführung, die den besonderen Reiz für die Darsteller wie die Zuschauer ausmacht (Fischer-Lichte 2004). Gleiches gilt für die gesprochene Sprache. Auch sie zeichnet sich durch Flüchtigkeit aus. Eine ausführliche Beschreibung der spezifischen Wahrnehmungsprozesse der Künste gibt Brandstätter (2008: 119f) In dem vorliegenden Beitrag greifen wir einige – für das beschriebene pädagogische Projekt – relevant erscheinende Besonderheiten auf: kinästhetische Wahrnehmungen im Tanz, Klangeigenschaften und Bewegungsqualitäten bei Sprache und Bewegung sowie das Entstehen von inneren Vorstellungsbildern durch literarische Texte.

Kinästhetische Wahrnehmung

Kinästhetise meint die Wahrnehmung der Eigenbewegung des Körpers oder auch die Bewegungsempfindung bezogen auf die Raum-, Zeit- und Spannungsverhältnisse des Körpers. Über den kinästhetischen Sinn erhalten wir eine permanente Rückmeldung über motorische Aktivitäten. Die Schulung des Körperbewusstseins/der Kinästhesie hilft eine genauere Bewegungsvorstellung zu entwickeln, Bewegungen präziser durchführen zu können und das Bewegungsrepertoire zu erweitern. Da es keine Körperbewegung gibt, die nicht auch Auswirkungen auf die kinästhetische Wahrnehmung hätte, wird das Bewegungsempfinden im Tanz genau genommen durch sämtliche Bewegungen angesprochen. Eine besondere Beachtung erfährt aber die Wahrnehmung unterschiedlicher Gleichgewichtslagen des Körpers, der Raumverhältnisse, die Wahrnehmung verschiedener Aktionsmöglichkeiten des Körpers sowie die Wahrnehmung der unterschiedlichen Spannungsverhältnisse des Körpers (vgl. hier auch ausführlich Vent/Drefke 1981: 121f). Vor allem die veränderte Raumerfahrung ist im Tanz eine wichtige ästhetische Dimension. Im Drehen, Fallen, Springen, Gleiten verändert der Körper permanent seine Lage und seine Orientierung. Bewegungen werden zu Zeichnungen im Raum. Rittelmeyer/Klünker (2005) zeigen – ausgehend von Tanzdarstellungen der griechischen Antike –  dass sich der Tänzer in besonderer Weise von den Gesetzen (hier der Flieh- und Schwerkraft) entbinden kann und sprechen daher von „Tanz als Logos der Freiheit“ (ebd.: 203). Die leibliche Erfahrung von Autonomie, die der Phänomenologie Erwin Strauß bereits in der Bewahrung der aufrechten Haltung beschrieben habe, lasse sich in gesteigerter Form im Tanz erleben. Im Tanz erleben die Schülerinnen und Schüler somit in gewisser Weise „ein Mehr“ an Körper- bzw. an Bewegungserfahrung.

Klangeigenschaften und Bewegungsqualitäten

Anders als im Fall der geschriebenen Sprache vollzieht sich die stimmliche Übermittlung von Botschaften mehrdimensional. Die Klangeigenschaften der Stimme werden durch Tonhöhe (tief bis hoch), Lautstärke (leise bis laut) und Klangfarbe (dunkel bis hell) bestimmt und geben der Stimme eine individuelle Prägung. Sie erzeugen emotionale Botschaften bzw. Ausdruck.
Analog vollzieht sich jede tänzerische aber auch alltägliche Bewegung in einer räumlichen (direkt – indirekt), zeitlichen (plötzlich – allmählich) und dynamischen (leicht – kraftvoll) Dimension. Die Parameter erzeugen in ihrer Kombination eine bestimmte Ausdrucksqualität von Bewegung. (4)

Mulitisensorische Vorstellungsbilder

Für die Rezipienten lebt der Sprechtext, wenn mit ihm Intentionen, Gedanken, Emotionen und Stimmungen transportiert werden. Sprache regt die Vorstellungsbildung und Imagination besonders stark an, wenn sie reich ist an „Unbestimmtheitsstellen“ (Ingarden 1972: 261) wie Andeutungen, Auslassungen, Indirektheit und Mehrdeutigkeit. Insofern ist Sprache in der Lage alle Sinne anzusprechen und „bewirkt das Entstehen innerer Vorstellungsbilder multisensorischer Art“ (Brandstätter 2008: 153). Sprache ist damit in der Lage verschiedene Sinne und Erfahrungsbereiche zu aktivieren und unterscheidet sich mit dieser Fähigkeit deutlich von anderen Künsten.
Wenn in ‚Zw-Ei(n)samkeit‘ Tanz und Literatur miteinander verflochten werden, treffen genrespezifische Wahrnehmungsmodi aufeinander. Die eher ‚körperlose‘ Literatur wird durch Bewegungserfahrungen ergänzt; der ‚sprachlose‘ Tanz erhält zusätzlich eine begriffliche Dimension. Was im Tanz das ‚Mehr‘ an Bewegung ist, ist in der Literatur das ‚Mehr‘ an Imagination. Eine verglichen mit Alltagsbewegungen intensivierte Körpererfahrung wird hier kombiniert mit einer intensivierten Vorstellungsaktivierung.
Bezogen auf Klangeigenschaften und Bewegungsqualitäten erfahren die Schülerinnen und Schüler in dem Projekt außerdem, dass sich sowohl Bewegungen als auch Sprache modellieren lassen: Bewegung beispielsweise durch eine Veränderung der Bewegungsintensität, des Krafteinsatzes, der Geschwindigkeit; Sprache analog durch Variationen in der Lautstärke, in dem Tempo, in der Tonhöhe.

Mit Sprache und Bewegung gestalten

In ‚Zw-Ei(n)samkeit‘ beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit dem emotional tief bewegenden Thema ‚Freundschaft und Liebe‘. Das Thema trägt die unterschiedlichsten Facetten in sich wie Nähe, Distanz, Hoffnung, Angst vor Ablehnung, Miteinander, Einsamkeit, Wärme, Verzweiflung, Glück, Verschmelzung, Trennung und bedient somit eine breite Palette an menschlichen Gefühlen. Die Jugendlichen haben in dem Projekt die Möglichkeit über Bewegung und über Sprache einen Ausdruck dafür zu finden, was sie mit diesem Thema in Verbindung bringen, was sie bewegt. Sind sowohl Körper als auch Sprache Ausdrucksmittel für die symbolische Artikulation von Vorstellungen, Ideen, Wünschen und Emotionen, ergänzen sich die Besonderheiten beider Ausdrucksformen Die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass Tanz, Körper und Bewegung beziehungsweise Literatur, Wörter und Sprache „nicht Lerngegenstände sind, daß sie vielmehr Wege und Stationen zwischen Innenwelt und Außenwelt darstellen, die Botschaften bringen und Mitteilungen ermöglichen“ (Haselbach 1991: 21).

Präsentieren

Dabei ist es ein entscheidender Unterschied, ob der Körper Medium der Gestaltung ist oder die Sprache. Auch beim Sprechen von Wörtern, Singen von Tönen und beim Zeichnen von Linien ist der Körper beteiligt, aber hier nur als Mittel zum Zweck. Bei allen aufführenden Tätigkeiten ist der Körper mehr: er ist Prozess und Produkt (und Darstellung) zugleich. Die Darsteller können sich innerhalb von Aufführungen nicht von sich selbst lösen, sie stellen etwas mit sich selbst dar. Die Darsteller verwenden ihren Körper und sind gleichzeitig Körper. Plessner hat diesen scheinbar paradoxen Sachverhalt als „exzentrische Positionalität“ (Plessner 1970: 51f) bezeichnet. Die Darsteller agieren „im Material der eigenen Existenz“. Diese Art der Dopplung kennzeichnet jede Form theatraler Gestaltung. In tanzpädagogischen Kontexten fordert somit die Bühne als Erfahrungsraum besondere Beachtung. Sich auf der Bühne zu zeigen, kann für Kinder und Jugendliche eine große Herausforderung bedeuten, die ge- aber auch misslingen kann. Etwas aufzuführen ist ein höchst sensibler Akt der Darstellung: „in expressiv freien Tanzbewegungen etwa, geben wir unwillkürlich viel von uns den anderen preis“ (Mollenhauer 1988: 37). Diese Preisgabe verweist auf das besondere Bildungspotential, aber auch auf die Risiken dieses Bereichs. (6) Im Tanz und im Theaterspiel sind Präsentationen/ Zeigesituationen integraler Bestandteil. Nicht nur innerhalb von Aufführungssituationen, sondern auch bei Proben und Improvisationen treten die Akteure auf und „zeigen“ sich. Auf die sich hieraus ergebenden methodischen Konsequenzen in tanz- oder theaterpädagogischen Settings kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden.
Die Präsentation eines Textes, eines selbst geschriebenen Gedichtes, einer Sprachcollage kann dagegen als ein Auftritt inszeniert werden, muss es aber nicht. Zunächst ist das Schreiben eine ästhetische Praxis, die im Stillen stattfindet. Der Text steht erst einmal für sich. Der Autor tritt als Person nicht zwingend in Erscheinung, kann sich unter Umständen sogar hinter einem Pseudonym verbergen. Geht es nun wie in dem Projekt ‚Zw-Ei(n)samkeit‘ auch um die performative Textgestaltung, gleichen sich die ästhetischen Praxen in dieser Hinsicht einander an. Das Auftreten, das Präsentieren gewinnen an Bedeutung.

Kommunizieren

Sprache ist nötig, um Gedanken, Gefühle überhaupt bewusst zu machen. Sie kann klären, erfahrbar machen. Und trotzdem scheint sie an ihre Grenzen zu stoßen. Obwohl Sprache in erster Linie ein Kommunikationsmittel ist, werden ihre Möglichkeiten tatsächliche Verständigung zu ermöglichen, oft als defizitär beschrieben. Berühmtes Beispiel einer Sprachkritik ist der 1902 verfasste „Chandos-Brief“ des österreichischen Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal, der als repräsentativ für die kulturelle Krise der Jahrhundertwende gilt. Hofmannsthal formuliert in seinem fiktiven Brief die Skepsis gegenüber der Sprache als Ausdrucksmittel und stellt die Frage nach neuen poetischen Formen. Er sucht nach Ausdrucksmöglichkeiten, die das Sprachliche überwinden können „eine Sprache, von deren Worten mir auch nicht eines bekannt ist, eine Sprache, in welcher die stummen Dinge zu mir sprechen“, eine neue Sprache, die „unmittelbarer, glühender ist als Worte“. Etwas später beschreibt die Ausdruckstänzerin Mary Wigman ihre Sprachskepsis und erfährt im Tanz einen Ausdruck, der ihr sprachlich nicht möglich gewesen wäre: „Wenn ich mit Worten sagen könnte, was meine Tänze meinen, gäbe es keinen Grund, sie zu tanzen“ (Müller/Servos 1979). In einer Kultur, deren wichtigstes Kommunikationsmittel die Sprache zu sein scheint, wird gerade diese als defizitär erlebt.
Aber ist der Körper wirklich ein klarerer Botschafter von Mitteilungen, ein besserer Kommunikator? Durch unseren Körper, unsere Bewegungen, unsere Körperinszenierungen teilen wir immer etwas mit. Analog zu dem kommunikationspsychologischen Axiom von Paul Watzlawick (1969), das besagt, dass man nicht nicht kommunizieren kann, kann auch der Körper nicht nichts ausdrücken. Es gibt zahlreiche Redewendungen, die den Zusammenhang von innerer Befindlichkeit und Körperausdruck deutlich machen: vor Wut aus der Haut fahren, vor Freude in die Luft springen, ängstlich den Kopf einziehen, abschätzig die Nase rümpfen etc. In Mimik, Gestik, Haltung, Körperinszenierung und Gang spiegelt sich meine aktuelle Befindlichkeit. Der Ausdruck ist die äußerlich sichtbare Realisation innerer Zustände. In einer unmittelbaren Ausdrucksbewegung tritt der Körper zunächst als „plastisches Material“ (Buytendijk 1956 zit. nach Bernd 1987) in Erscheinung, also als eine Art Projektionsfläche für Gefühle und Erregungen:
„Körperbewegungen teilen uns alles mit; sie sind unmittelbar symbolischer Ausdruck des Sinnes der Bewegung. Die Bedeutung der Formel ‚ich bin mein Leib’ kann in der Bewegung am intensivsten erfahren, am wenigsten verborgen werden“ (Mollenhauer 1988: 37).
Umgekehrt können wir aber auch über Bewegung und Körper Einfluss auf unsere Befindlichkeiten nehmen und somit auch über den Körper Empfindungen beeinflussen.
Stehen innerhalb eines pädagogischen Projekts das Schreiben und das Tanzen gleichberechtigt nebeneinander, bietet sich hier ein Reflexionsanlass über die Möglichkeiten und Grenzen der Disziplinen in Bezug auf ihr Mitteilungspotential. Sprache und Körper sind die zentralen Kommunikationsmittel des Menschen, wobei die Ausdrucksfunktion des Körpers im Alltag häufig unbeachtet bleibt. Am Beispiel von ‚Zw-Ei(n)samkeit‘ können die Schülerinnen und Schüler anhand des Themas Freundschaft erfahren, inwiefern sich sprachlicher und körpersprachlicher Ausdruck unterscheiden oder auch ergänzen können.

Sampeln

Ästhetisches Lernen in der Schule geht davon aus, dass alle Menschen über expressiv-präsentative Potentiale verfügen. Ein Ziel ästhetischen Lernens in der Schule ist es daher, Schüler anzuregen, diese zu entfalten und ihnen zu helfen, für sie geeignete ästhetische Medien zu finden Hierfür bedarf es vielfältiger Anregungen. Wenn sich wie in ‚Zw-Ei(n)samkeit‘ die Ausdrucksformen mischen, geht es in erster Linie um das kreative Spiel mit Bewegung und Sprache, um die Förderung von fantasievollen, kreativen und spielerischen Denk- und Handlungsstrukturen. Die zeitgenössische Kunst macht dies (s. das Eingangszitat von Sasha Waltz) vor und zeigt, wie sich gerade aus einer Öffnung der Künste neue Ausdrucksformen ergeben. Auch in anderen Bereichen gibt es Beispiele für transdisziplinäre Ansätze, beispielsweise in den Arbeiten von Tino Seghal, der 2012 gerade für die „Klasse und Innovation, mit der seine Arbeit zur Öffnung der künstlerischen Gattungen beigetragen hat“ (Kaffsack/Schmidt 2013) ausgezeichnet wurde, oder auch die bereits angesprochenen vor allem in der Jugendkultur populären Poetry-Slams. Text wird nicht einfach nur geschrieben und gelesen, sondern auf die Bühne gebracht, inszeniert.

Ein entsprechendes spartenübergreifendes Vorgehen kann aus unserer Sicht in pädagogischen Settings dazu beitragen, die Jugendlichen in ihrer Suche nach individuellen Ausdrucksformen zu fördern und ihnen so ermöglichen ihre ‚Eigenartigkeit’ im positiven Sinne zu entfalten. Eine interdisziplinäre Projektarbeit nutzt dafür indirekt eine Praxis, die längst zum Alltag Heranwachsender gehört. Die Begriffe Bricolage oder Sampling kennzeichnen einen Trend, der in verschiedenen Kulturbereichen zum Tragen kommt. Bereits existierende Dinge, Accessoires werden in einen neuen Kontext gestellt und verändern so ihre Bedeutung.(6) Die Bricolage ermöglicht den Akteuren ein kreatives Spiel mit Bestehendem. In der deskriptiven Linguistik wird der Begriff der Bricolage nach Schoblinski, Kohl und Ludewigt (1993) als eine jugendliche Sprechweise beschrieben, die anhand von verschiedenen Stilmitteln charakterisiert werden kann: das Spiel mit Versatzstücken (Collagestil), die schnelle Einblendung kultureller Ressourcen als Zitat (Stilbastelei) sowie durch schnelle Ebenen- und Themenwechsel.
Wenn innerhalb von Unterricht ästhetische Ausdrucksformen miteinander kombiniert werden, so bedeutet dies, gängige jugendkulturelle Praxis aufzugreifen und als methodisches Prinzip in das ästhetische Lernen einzubeziehen. Den Schülerinnen und Schülern kann somit exemplarisch anhand von Text und Tanz verdeutlicht werden, dass nicht nur in der Jugendkultur, sondern auch in der Kunst Synthesen von zunächst unverbundenen Bereichen möglich sind und sich so für sie zusätzliche Ausdrucksmöglichkeiten ergeben. Wie Brandstätter (2008: 66) darlegt, entsteht durch die Transdisziplinarität Raum für Veränderungen, für das „Noch-nicht-so-Gedachte“ und ist damit Basis für Veränderung, Bewegung und Entwicklung (vgl. ebd.).
Diese Basis für Veränderung und Entwicklung wird ‚Zw-Ei(n)samkeit‘ unter anderem durch den dem experimentellen Umgang mit Alltagssprache und Bewegung initiiert. Der ungewohnte Blick auf Alltagssprache und Alltagsbewegung verfremdet Gewohnheiten, provoziert Perspektivwechsel und ist damit Motor beziehungsweise Methode zur Anregung für eine Haltung, die von Mead (1987: 351) als eine „ästhetische Haltung“ gekennzeichnet wird. Andere Blicke auf ein Thema zu fördern, Erwartungen zu konterkarieren, Brüche zum Gewohnten zu schaffen und Widerständigkeit zu erzeugen, sind grundlegende Aspekte Ästhetischer Bildung, die aus unserer Sicht durch eine Synthese der gestalterischen Mittel unterstützt werden können. Eine ‚entgrenzte‘ Gestaltungsarbeit wird dann zu einem Verfahren, das anregt, sich auf eine ungewohnte, intensivierte Art mit einer bestimmten Thematik auseinanderzusetzen.

Autonomie von Sprache und Bewegung erleben

Ein spartenverbindender Ansatz akzentuiert weiter ein wesentliches Merkmal ästhetischer Praxis, nämlich den des Selbstzweckes. Dass das Betrachten von Bildern, das Lesen von Romanen, der Gang ins Theater, das Tanzen, singen, malen etc. Sinn und Zweck vor allem in sich selbst trägt, „gehört wohl zu den genuin der ältesten Bestimmungsmerkmalen von Kunst bzw. im erweiterten Sinne von ästhetischer Erfahrung“ (Brandstätter 2014: 30). Innerhalb von ästhetischer Bildung gibt es kein richtig und falsch, kein besser und schlechter. Das pädagogische Potenzial besteht eben gerade in der fehlenden Normierung: den Schülerinnen und Schülern wird ein Umgang mit Körper und Bewegung eröffnet, in welchem sie ihre Bewegungen in einem anderen als einem rein zweckgebundenen Kontext erfahren (s. hier auch den bereits angesprochenen Aspekt von dem „Tanz als Logos der Freiheit“ Rittelmeyer/Klünker 2005: 203). Anders als die Bewegungen des Alltags und des Sports sind die Bewegungen im Tanz nicht zielgerichtet, intentional und regelgeleitet, sondern zweckfrei und nutzlos. In der expressiv freien Tanzbewegung darf sich der Körper von Topmodellmaßen befreien. Er muss nicht gerade, nicht still, nicht sittsam, nicht aufmerksam sein. Er muss sich auch nicht im Rahmen von Sportunterricht fit halten. Er darf ähnlich wie im kindlichen Spiel ein gelassener Körper‚ ein Köper neben der Norm’ sein. Klinge (2010: 86) sieht in den sich so eröffnenden Möglichkeitsräumen das Bildungspotential des Tanzes, der als ein von gesellschaftlichen Zwecken befreites Feld vielfältige Gelegenheiten für die Entgrenzung bestehender Ordnungen und die Erprobung bzw. Entdeckung neuer Möglichkeitsräume liefert. Dies Bildungspotential lässt sich analog auf das kreative Schreiben übertragen. Für Sprache bedeutet die Entgrenzung bestehender Ordnungen jenseits von Standards und Lernstandserhebungen zu sprechen und zu schreiben. Die Sprache darf nach Anregung blubbern, quatschen und Neues entdecken. Qualität innerhalb vom kreativen Schreiben zeichnet sich durch Fantasie, Originalität, durch die Fähigkeit seine Gedanken darzulegen, überzeugende Metaphern zu finden, neue, individuell stimmige Wörter zu kreieren.

Mit Sprache und Bewegung verstehen

Auch wenn dies nicht explizit in dem Praxisbeispiel ‚Zw-Ei(n)samkeit‘ beschrieben wurde, bietet ein spartenverbindender Ansatz weiter die Möglichkeit Verstehensprozesse mit Hilfe der verschiedenen ästhetischen Medien zu initiieren. Bezogen auf die bildende Kunst hat unter anderem Haselbach (1991) zahlreiche Beispiele gegeben, wie es möglich ist, sich leiblich-sinnlich mit Werken der Malerei oder Skulptur auseinanderzusetzen. Dabei geht es weniger um eine Werkanalyse, als darum, den Schülerinnen und Schülern einen individuellen Zugang zu den Werken zu ermöglichen (vgl. auch analoge museumspädagogische Ansätze). Verstehen meint daher zwar auch die kognitive Auseinandersetzung mit Werken der Kunst, aber vor allem ein Einfühlen, Kennenlernen eines Bildes, einer Skulptur mittels Bewegung. Dabei werden deskriptive Verfahren nicht überflüssig, sondern nur vervollständigt. Bezogen auf Literatur und Tanz kann die bedeuten, dass Schülerinnen und Schüler während der Betrachtung einer Tanzaufführung Assoziationen mitschreiben, Wörter für einzelne Tanzpassagen finden oder ein Gedicht zu einer Bewegungssequenz verfassen. Ein literarischer Text kann umgekehrt in Anlehnung an die Verfahren des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts (vgl. Haas/Menzel/Spinner 1994) über Bewegung und Tanz körperlich-sinnlich erfahren werden.

Fazit

Ein transdisziplinäres Arbeiten als Methode in der ästhetischen Bildung eröffnet zusammengefasst verschiedene pädagogische Potentiale. Es ist ein Verfahren, das:

  •  die Medienspezifik der Künste erfahren lässt
  • dazu anregt eigene Ausdrucksmöglichkeiten zu finden
  • Möglichkeiten und Grenzen sprachlichen und körpersprachlichen Ausdrucks aufzeigt
  • durch die Kombination differenter Bereiche Neues entstehen lässt
  • jugendkulturelle Praxis aufgreift
  • transdiszipinäres Arbeiten als verfremdendes Verfahren nutzt
  • werkanalytische Verfahren ergänzen kann

Dass wir in diesem Beitrag ein Beispiel für die Kombination von Sprache und Bewegung geben, liegt vor allem in den Biographien der Autorinnen begründet. Der Ansatz lässt sich ebenso auf andere Disziplinen beziehen beispielsweise auf die Verbindung von Musik und Streetart, Videokunst und Akrobatik oder bildende Kunst und Improvisationstheater, wobei hier die jeweiligen spartenspezifischen Besonderheiten betrachtet werden müssten. Hierbei entstehen jeweils neue Erscheinungs- und Ausdrucksformen ganz im Sinne des eingangs genannten Zitats der Choreographin Sasha Waltz: „Theater, Tanz, Tanztheater? Ich denke nicht in solchen Sparten.“

Endnoten

(1) Deutsches Tanzarchiv: TanzGespräche. Zeitgenössischer Tanz im Dialog, S. 134.
(2) Siehe exemplarisch Böttcher/Hilge: 1993; Brandstätter: 2004; Haselbach: 1991; Kirchner/Schiefer Ferari/Spinner: 2006; Schläbitz: 2002.
(3) Aus Shakespeare: Romeo und Julia; Ravenhill: Shoppen & Ficken.
(4) Der Tanztheoretiker Rudolf von Laban (1968, 1. Auflage 1948) beschrieb die von ihm so genannten „Effort Actions“. Laban unterscheidet hier die Faktoren space, time, weight und flow, die jede Bewegung bestimmen. In den deutschen Übersetzungen werden die Faktoren mit Raum, Zeit, Dynamik und Fluss beschrieben (vgl. z.B. Laban 1998). Mittels dieser Parameter entwarf Laban ein Analyseinstrument für Bewegung, das bis heute in verschiedenen Feldern (z.B. Psychomotorik) zum Einsatz kommt. Die Faktoren ermöglichen in ihren verschiedenen Kombinationen eine Beschreibung verschiedener Bewegungsqualitäten. Laban fasste die Kombinationsmöglichkeiten der Faktoren Raum (zwischen direkt und indirekt), Zeit (zwischen plötzlich und allmählich) und Dynamik (zwischen zart und kräftig) als „Effort Actions“ (Antriebsqualitäten) zusammen. Diese Antriebsqualitäten beschreibt er mit schweben, stoßen, gleiten, wringen, drücken, flattern, tupfen, peitschen (ebd.)
(5) Vgl. hierzu auch Fink 2009: 219. Freytag (2011: 143f) hat innerhalb einer qualitativen Studie das Problem des „Sich Zeichens“ als eine zentrale Kategorie für Lehramtsstudierende identifiziert, die eine eigene tänzerische Gestaltung entwickeln.
(6) Zuerst wurde der Begriff der Bricolage aus kulturanthropologischer Perspektive von Claude Lévi-Strauss verwendet.

Literatur

  • Adorno, Theodor (1968): Die Kunst und die Künste. Frankfurt a. M.
  • Bernd, Christine (1987): Präsentative Symbolbildung in der Bewegungserziehung. Zur Ästhetischen Praxis des Theaterspielens. Frankfurt a. Main.
  • Böttcher, Ingrid (Hg.) (1999): Kreatives Schreiben. Berlin.
  • Böttcher, Ingrid/Hilge, Heide (1993): Bewegt getanzt und kreativ geschrieben. Bausteine für einen Unterricht, der Tanzen und Schreiben als kreative Ausdrucksform integriert, in: Praxis Deutsch, H. 119. S. 28-35.
  • Brandstätter, Ursula (2004): Bildende Kunst und Musik im Dialog. Ästhetische, zeichentheoretische und wahrnehmungspsychologische Überlegungen zu einem kunstspartenübergreifenden Konzept ästhetischer Bildung. Augsburg.
  • Brandstätter, Ursula (2008): Grundfragen der Ästhetik. Bild – Musik – Sprache – Körper. Köln.
  • Deutsches Tanzarchiv Köln (Hg.) (2000): TanzGespräche. Zeitgenössischer Tanz im Dialog. Köln.
  • Fink, Tobias (2009): Zwischen Zeigelust und Schamangst – Die Bühne als zentraler theater- und tanzpädagogischer Handlungsraum, in: Biburger, Tobias/ Wenzlik, Andreas (Hg.): Ich hab gar nicht gemerkt, dass ich was lern. Untersuchungen zu künstlerisch-kulturpädagogischer Lernkultur in Kooperationsprojekten mit Schulen. München. S. 193-244.
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Von Verena Freytag, Inga Pohlmeier

Veröffentlicht am 23. Oktober 2014

Zitiervorschlag

Freytag, Verena; Pohlmeier, Inga: Nicht in Sparten denken. Zum pädagogischen Potential einer spartenverbindenden Projektarbeit zwischen Tanz und Literatur, in: Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2014. Quelle: https://zkmb.de/nicht-in-sparten-denken-zum-paedagogischen-potential-einer-spartenverbindenden-projektarbeit-zwischen-tanz-und-literatur/; Letzter Zugriff: 19.03.2024

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