Seit Längerem zeichnet sich das Phänomen ab, dass auf Instagram die eigenen (touristischen) Reisen dokumentiert werden, wodurch diese für die Betrachtenden polychron wie polylokal ,nachgehbar‘ werden. Unter dem Hashtag #travelboomerang finden sich dort boomerangs, die zu einer eben solchen Reisedokumentation genutzt werden. Der vorliegende Beitrag nimmt den boomerang als spezifisches Mikroformat in den Blick, dessen Form einer (Unter)Ordnung des Inhalts bedarf, die sich im Kontext des Reisens ebenso als (Unter)Ordnung des dargestellten ,Anderen‘ offenbart.
Das geradezu lustvolle Verschlingen der Reisen anderer Leute lässt sich nicht nur in Bezug auf Reiseberichte aus vergangenen Jahrhunderten konstatieren (vgl. Ette 2001, S. 79–80), sondern findet sich in ähnlicher Weise in den sich seit einigen Jahren etablierenden Reiseblogs in sozialen Netzwerken oder auf Websites wieder. Blogger_innen dokumentieren ihr Essen, ihre Unter- und Zusammenkünfte auf Reisen, wodurch sie ihre Routen für diejenigen andernorts nachvollziehbar und (in Gedanken) ,nach-gehbar‘ machen. Auch bei Instagram zeichnet sich diese Entwicklung bereits seit Längerem ab, wobei Fotos und kurze Videos mit Hashtags versehen ,um die Welt gehen‘ und polychrone wie polylokale Reiseerfahrungen für die Betrachtenden möglich machen. Unter dem Hashtag #travelboomerang lassen sich seit 2016 sogenannte boomerangs auf Instagram finden, die (angeblich) auf Reisen produziert wurden. Dabei handelt es sich um eine bestimmte Form von kurzen Videos, die sich als ein spezifisches Mikroformat lesen lassen. Während GIFs und boomerangs ihr potenzielles Ablaufen in Endlosschleife gemein ist, so unterscheiden sie sich dennoch in ihrer Bewegung: GIFs beginnen immer wieder von vorne, wohingegen boomerangs vorwärts und dann zunächst rückwärts ablaufen, bevor sie wieder von vorne beginnen. Bei der Betrachtung des Reisens bzw. eines Momentes auf Reisen als boomerang offenbart sich vor diesem Hintergrund eine interessante Dopplung: Sowohl dem Reisen als auch dem boomerang sind das ,Hin und Zurück‘ in konstitutiver Weise eingeschrieben.
Während diese Überlegungen das gedankliche Fundament des vorliegenden Artikels darstellen und in einem ersten Schritt besprochen werden, gehe ich in einem zweiten Schritt der Verbindung von Form und Inhalt nach (vgl. dazu auch den Beitrag von Aksoy & Schaper in diesem Band). Dabei folge ich der Annahme, dass das im boomerang Dargestellte dessen Form untergeordnet ist, wobei ich in Anlehnung an postkoloniale repräsentationskritische Lesarten insbesondere der Frage nachgehe, inwieweit sich eine mit der Form verbundene (Unter)Ordnung des Inhalts im Untersuchungskontext ebenso als (Unter)Ordnung des ,erblickten Anderen‘ offenbart. Auf der Folie einer Komplexitätsreduktion in Anbetracht einer sich im Zuge von Digitalisierung und Globalisierung vollziehenden Komplexitätssteigerung lese ich die vorangestellten Überlegungen in einem dritten und abschließenden Schritt vor dem Hintergrund von (touristischem) Reisen und (medialem) Konsum, wobei sich boomerangs in zweifacher Weise als Mikroformat eines konsumatorischen Blickes identifizieren lassen.
Dem boomerang ist die Bewegung konstitutiv eingeschrieben. Diese offenbart sich einerseits als eine Bewegung ,im Kleinen‘, entsteht das Kurzvideo doch aus zehn unmittelbar hintereinander gereihten Fotos. Andererseits wird in Anbetracht der geringen Anzahl an Fotos und der kurzen Zeitspanne der Vollzug ,kleiner Bewegungen‘ notwendig, damit der boomerang ,funktioniert‘, wodurch „Gesten und Praktiken des Kleinen“ in den Blick geraten (Autsch & Öhlschläger 2014, S. 11). Dabei ist es vor allem die Hin- und Rückbewegung, die aus einem kurzen Video einen boomerang werden lässt, denn während beispielsweise ein GIF immer wieder von vorne beginnt, läuft der boomerang einmal vorwärts und wieder rückwärts ab, bevor der potenziell endlose Loop beginnt. Wird die Dauerschleife nicht von den Nutzenden gestoppt, werden sie „quasi-automatisch in die nächste Runde reingezogen“ (Porombka 2016, S. 30). Stephan Porombka macht hier ein hypnotisches Moment der Dauerschleife aus, da der Kontext – Porombka bezieht sich auf GIFs – doch „in der Kürze des Stücks nicht zu verstehen, allerhöchstens auszubalancieren“ sei, weshalb „man beim Betrachten immer gleich in die nächste Schleife hinein[rutsche]“ (ebd., S. 33). Zwar „auf die Erfahrung von Zeitknappheit“ im Zuge sich vollziehender „Dynamisierungsprozesse“ von Zeit (und Raum) reagierend (Autsch & Öhlschläger 2014, S. 10f.), wohnt den boomerangs ähnlich den GIFs doch eine eigentümliche paradoxe Zeitlichkeit inne, „die im Rückblick eigenartig lang erscheint, auch wenn sie tatsächlich nur ganz kurz gedauert hat“ (Porombka 2016, S. 34). Sie werden damit zu polychron und polylokal wirkenden Ansammlungen von Erfahrungen, auf die „technologisch scheinbar grenzenlos“ in Zeit und Raum zugegriffen werden kann (Autsch & Öhlschläger 2014, S. 11; vgl. dazu auch Rövekamp 2005, S. 33–34).
Im Hashtag #travelboomerang verbinden sich diese paradoxe Zeitlichkeit und Verfügbarkeit des digitalen Mikroformats unweigerlich mit der Reise. Der ,travelboomerang‘ erlaubt den Betrachtenden in der Gegenwart gewissermaßen ein ,Nach-Gehen‘ einer (Reise-)Bewegung, die in der Vergangenheit von einer anderen Person vollzogen wurde, wodurch er einen ganz eigenen (Reise-)Zeit-Raum eröffnet. Trotz der dem boomerang konstitutiv eingeschriebenen Bewegung erscheint diese allerdings gewissermaßen ,eingefroren‘, läuft die einstige Reisebewegung doch einerseits potenziell in Dauerschleife vor und zurück, während sie andererseits potenziell endlos verfügbar ist. Gleichsam zeigt sich die doppelte Eingeschriebenheit der Vor- und Rückbewegung: Während sie es ist, die den boomerang vom GIF unterscheidet, macht sie ebenfalls die Reise zur Reise. Reisebewegung und mediale Bewegung verbinden sich demnach im Hin und Zurück des Mikroformats.
Gleichzeitig schreibt sich der #travelboomerang in eine Tradition der Beglaubigung der Reise ein, in den Nachweis eines ,tatsächlich da gewesen-Seins‘. Denn der Annahme Achatz von Müllers im Kontext von Reiseliteratur folgend, ist es erst der Bericht, der „die Reise aus dem Alltagsleben in die Sphäre der Lebensbedeutung“ erhebt und „aus einer Bewegung in der Welt die REISE“ macht (Müller 2017, S. 17; Herv. i. O.; vgl. dazu auch Mörth 2004, S. 4). Versehen mit dem Hashtag #travelboomerang reihen sich die entsprechenden boomerangs demnach in eine Logik der Beweisführung ein, die sie als materielle Beglaubigungen der Reisebewegung hervortreten lässt.
Wie bereits angeklungen, bedarf der boomerang einer spezifischen Bewegungs(an)ordnung, damit er ,funktioniert‘. In Anlehnung an Martina Löws raumsoziologische Überlegungen hebt die Schreibweise der ,(An)Ordnung‘ zwei auch in diesem Kontext relevante und miteinander verwobene Dimensionen hervor: erstens die Handlungsdimension, die auf den „Prozeß [!] des Anordnens“ verweist (Löw 2001, S. 166), sowie zweitens die strukturierende Dimension, die die hierdurch geschaffene Ordnung markiert. Demnach werden Bewegungen, Hintergründe, Objekte und Menschen derart angeordnet, dass sie der Logik und damit der Ordnung des jeweiligen medialen Formats – in diesem Falle des Mikroformats boomerang entsprechen, wodurch die Ordnung gleichsam re-produziert wird. Vor diesem Hintergrund offenbart sich die maßgebliche Geprägtheit des Inhalts durch die Form. Mein Kernargument lautet dabei allerdings, dass sich die für das Mikroformat notwendige und durch es gleichzeitig etablierte (An)Ordnung nicht rein auf einer strukturellen bzw. technischen Ebene bewegt, sondern sich auf die soziale Dimension ausweitet: Im Moment des medienspezifischen Arrangierens vollzieht sich eine (Unter)Ordnung des Erblickten (,Anderen‘) unter die (,eigene‘) Form bzw. unter die Logik des medialen Formats. Denn bei der dem medialen Format entsprechenden (An)Ordnung der eigenen Bewegung(en) interessiert das Erblickte (,Andere‘) „nur noch als Hintergrund für Posen und den dabei ,eingefrorenen‘ Schnappschuss der aufnehmenden Personen“ (Moser 2019, S. 43), wie Heinz Moser in Bezug auf das Produzieren von Selfies konstatiert. Zentral ist hier, „dass man selbst im Vordergrund mit auf der Aufnahme erscheint“ (ebd.). Geht es hingegen um die Bewegungen der/des Anderen‘ bzw. um die ,anderen‘ Bewegungen, gilt es diese so einzufangen bzw. zu arrangieren, dass sie einerseits der Ordnung des medialen Formats entsprechen, während sie andererseits – und hier wird die Orientierung der Darstellung an den potenziellen Betrachtenden deutlich – habituellen Blicklogiken bzw. „langen Blicktradition[en]“ folgen (Fendl & Löffler 1993, S. 62), denen „eine kollektive Dimension inhärent“ ist (Schmidt 2012, S. 59).[1] Vor dem Hintergrund einer möglichen Kondensierung bzw. Verkürzung oder Komprimierung durch Mikroformate ist beim Erstellen des boomerangs demnach nicht nur zentral, dass sich das Erblickte bzw. die erblickte Bewegung für das kleine Format eignet. Gleichzeitig scheint sich eine Komprimierung bzw. eine Bezugnahme auf kollektive Blicklogiken auch insofern zu zeigen, als sich unter dem Hashtag #travelboomerang hauptsächlich stereotype und damit verkürzte Darstellungen ,des Anderen‘ zeigen. So dienen beispielsweise Times Square, Brooklyn Bridge oder Versailles als Hintergrund für die eigene Bewegung – ,andere‘ Bauwerke, die vermutlich in jedem Reiseführer als ,sehens-wert‘[2] deklariert werden und symbolhaft für das jeweilige Reiseziel stehen (vgl. Fendl & Löffler 1993, S. 62).[3] Liegt der Fokus hingegen auf der ,anderen‘ Bewegung bzw. auf Bewegungen ,Anderer‘, häufen sich Aufnahmen von etwas sich selbst Bewegendem wie beispielsweise von Tieren wie Schildkröten oder Elefanten sowie von ,anderen‘ Menschen, die beispielsweise einen Tanz aufführen. Indem boomerangs den gezeigten Inhalt auf diese Weise verkürzen, tragen sie zur Re-Produktion von Stereotypisierung und Entpersonalisierung der ,anderen‘ Menschen bei (vgl. Habinger 2006, S. 243) und fügen sich ein in Prozesse der Komplexitätsreduktion, die sich aktuell in Anbetracht einer zunehmenden Komplexitätssteigerung durch „Globalisierung und Digitalisierung von Lebenswelten“ abzeichnen (Autsch & Öhlschläger 2014, S. 10; vgl. dazu auch Herdin & Luger 2001, S. 11; Nassehi 2016).[4] Denkt man an dieser Stelle mit Michel de Certeau Reisen und eine ,Handhabbar-Machung‘ des Bereisten bzw. Erblickten zusammen, erhält auch das erblickte ,Andere‘ vor dem Hintergrund (s)einer Komplexitätsreduktion im Zuge seiner (An)Ordnung im Mikroformat „eine handhabbare Seite“ (de Certeau 2005, S. 136) – sowohl für die Tourist_innen als auch für die Betrachtenden des boomerangs.
Die hier angestellten Überlegungen zur An- bzw. Unter-Ordnung des erblickten bzw. gefilmten ,Anderen‘ lassen dieses als Objekt hervortreten, das dem Medium bzw. dessen Logik unterworfen wird (vgl. Habinger 2006, S. 241–243; Rövekamp 2004, S. 29). In der Frage, ob etwas ,betrachtens-wert‘ und damit geeignet ist, als Motiv für den boomerang zu dienen, zeichnet sich ein Machtverhältnis ab, innerhalb dessen sich die Produzierenden des boomerangs das Erblickte aneignen. In seiner (An)Ordnung als Motiv wird es dem medialen Format und damit dessen medienspezifischen Logiken untergeordnet, wodurch es „verständlich, verstehbar und damit in gewissem Maße beherrschbar“ wird (Schäffter 1991, S. 15), ohne selbst Einfluss auf Darstellung und Interpretation nehmen oder zurückblicken zu können; ein hegemoniales Gefälle im einseitigen digitalen Blick (vgl. Jörissen 2020, S. 343), innerhalb dessen es – in Anlehnung an postkoloniale Kritiken – ,keine Stimme hat‘ bzw. ,kein Gehör findet‘ (vgl. dazu u. a. Spivak 1994).
Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Überlegungen lässt sich konstatieren, dass das unter dem Hashtag #travelboomerang dargestellte ,Andere‘ einer medienspezifischen Bewegungs- sowie Blick(an)ordnung untergeordnet wird. Auf Produktions- wie Rezeptionsseite[5] offenbart sich hier ein konsumatorisches Moment, das bereits Claude Lévi-Strauss anprangert (vgl. Lévi-Strauss 1984, zit. nach Ette 2001, S. 80) und Fragen nach (touristischem) Reisen und (medialem) Konsum in den Fokus rückt. Dabei offenbaren sich boomerangs in zweifacher Weise als Mikroformate des konsumatorischen Blickes: Einerseits lassen sich die Aneignung und (Unter)Ordnung des bereisten und erblickten ,Anderen‘ als dessen Konsum lesen, der sich andererseits im Rahmen eines Mediums vollzieht, das durch (schnellen) Konsum geprägt ist (vgl. den Beitrag von Ferraro in diesem Band). Es gilt, die boomerangs derart zu arrangieren, dass diese von den potenziellen Rezipient_innen möglichst ,leicht verdaulich‘ konsumiert werden können. Ein Kurztext, den die Instagram-Userin Mrunal Salvi neben dem von ihr hochgeladenen und mit dem Hashtag #travelboomerang versehenen boomerang platziert, legt dabei nahe, dass das bereiste und erblickte ,Andere‘ in dieser Logik erst dann ,betrachtens-wert‘ ist, wenn es dem spezifischen Medium entsprechend als ,würdig‘ erscheint (vgl. Thurner 1992, S. 32). So schreibt sie einen fiktiven Dialog nieder, den sie mit der sich heftig bewegenden Schildkröte führt, die sie im Rahmen des boomerangs in der Hand hält und zu küssen andeutet: „Hey human, stop the torture and let me be! Me: Won’t let you be till I get #Instagram worthy videos“ (Salvi 2019).
,Worthy‘ oder ,würdig‘ zu sein erscheint im Kontext sozialer Medien vor allem daran bemessen zu werden, ob Foto, Video oder (Kurz-)Text das Potenzial haben, viele Klicks und noch eher Likes zu generieren – im Umkehrschluss also die spezifischen Blicklogiken und Blick(an)ordnungen des Mediums ansprechen bzw. ihnen entsprechen. Auf der Folie der ihnen eingeschriebenen Bewertungslogik (vgl. Mau 2018, S. 139–165) ,leben‘ die sozialen Medien nicht nur „von vielfältigen Signalen der Rückmeldung und Bestätigung“ (ebd., S. 158). In ihnen drückt sich zudem soziale Anerkennung über Klicks und Likes aus, wobei die „Wertigkeitscodierung […] eindeutig [ist]: je mehr, desto besser“ (ebd., S. 159). Wie zuvor konstatiert, tritt ,das Andere‘ demzufolge, wenn überhaupt, nur als ,würdiges‘ Motiv der foto- oder videografischen Aneignung in Erscheinung, wodurch es entpersonalisiert und entindividualisiert wird. Ingrid Thurners Feststellung in Bezug auf touristische Fotografie (in einer Zeit vor der Digitalität) scheint damit auch in Bezug auf boomerangs Gültigkeit zu besitzen: „Die Welt wird im Hinblick auf die zu entstehenden Fotos gesehen und interpretiert.“ (Thurner 1992, S. 32). Die Produktion von boomerangs erweist sich hierdurch als hochgradig am potenziellen Publikum orientierte Praktik, die dem Interesse folgt, „bei anderen Eindruck zu machen“ sowie „Aufmerksamkeit für Themen und sich selbst“ zu erzeugen (Mau 2018, S. 158). Im fiktiven Dialog Salvis mit der Schildkröte drückt sich demnach auch eine Angst vor fehlender Anerkennung und Aufmerksamkeit aus, sollten das Motiv bzw. der boomerang nicht ,Instagram worthy‘ sein; eine Angst, die laut Steffen Mau unter anderem daher rührt, dass diejenigen, deren „Botschaften ungehört verhallen“, in der Logik sozialer Medien „nicht nur arm an Reputation“ sind, sondern „in diesen Hierarchiewelten nicht existent“ (ebd., S. 161).
Der Annahme folgend, dass Medien „die Welt aus[legen] und […] damit erst Wirklichkeiten“ erschaffen (Moser 2019, S. 35), ,Wirklichkeit‘ also nicht einfach übermitteln oder abbilden (vgl. Pietraß 2020, S. 332), zeichnet sich in Bezug auf die hier in den Blick genommenen boomerangs ab, dass ihnen im Kontext der Re-Produktion von Wissen und (sozialer) ,Wirklichkeit‘ enorme Bedeutung zukommt. Vor dem Hintergrund, dass digitale Medien und mit ihnen digitale Mikroformate wie boomerangs als Teil von „Digitalisierungsprozesse[n] zu einer Rekonfiguration von Praktiken der Wahrnehmung und des Wissens bei[tragen]“ (Jörissen 2020, S. 341), wird die Notwendigkeit deutlich, sich im Anschluss an postkoloniale Lesarten mit derartigen Prägungen des Blickens zu befassen. Die im boomerang inszenierten (An)Ordnungen ,des Anderen‘ lassen sich als „ausgesprochen rigide Prinzipien der Ordnung“ identifizieren, womit einerseits eine „Formung von Wahrnehmungsmöglichkeiten einhergeht“ (ebd., S. 344), die andererseits das Bild ,des Anderen‘ maßgeblich beeinflussen und gleichsam ,naturalisieren‘. Und wenn dieser Umstand auch bereits in Bezug auf Reiseliteratur vielfach postuliert wurde und wird (vgl. dazu Ette 2001, S. 43–45; Pratt [1992] 2008), so verleihen die andere mediale Darstellungsform der boomerangs, ihre Einbettung in die sozialen Medien und die damit verbundene enorme Ausweitung der Distribution(smöglichkeiten) dieser Erzeugung von ,Wirklichkeit‘ doch nochmals besondere Qualität.
Diese speist sich zudem aus einem zeitlichen Paradoxon, denn während die boomerangs auf die gegenwärtige „Erfahrung von Zeitknappheit“ im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung reagieren bzw. ein „beschleunigtes Zeiterleben in ein entsprechendes Format bring[en]“, lassen die Umstände, dass das Video in Dauerschleife und potenziell endlos abläuft sowie im Grunde immer wieder auf- und abrufbar ist, den boomerang im gleichen Moment als „kleines Archiv polychroner Zeiterfahrung“ hervortreten (Autsch & Öhlschläger 2014, S. 10–11; vgl. dazu auch Moser 2019, S. 37). Ein_e Produzent_in eines boomerangs „nimmt eine Gelegenheit und verewigt sie“ (Schulze 2020, S. 99), wobei sich an die hier dargelegten Überlegungen Fragen danach anschließen, welchen Einfluss das potenziell ewige Bewegen und Abrufen auf die Dargestellten das Dargestellte hat. Denn während Digitalisierung und Digitalität den nahezu ewigen und globalen Zugriff auf die am ,Anderen‘ klebenden Texte und Bilder ermöglichen (vgl. ebd., S. 105), verleiht die mit ihnen einhergehende Zeitknappheit dem Mikroformat boomerang und dem sich in ihm Bewegenden doch auch den Anschein von Flüchtigkeit.
[1]In diesem Zusammenhang wird eine Unterscheidung zwischen Sehen und Blicken zentral, da der Blick „eine Einengung im Sehbereich der Augen vor[nimmt]“: „Im Sehbereich der Augen liegt vieles, über das diese wandern, es streifen; nur bei wenigem [!] wird verweilt, ihm Aufmerksamkeit geschenkt; weniges [!] wird fixiert, herausgehoben, “ (Naumann & Nitsche 2008, S. 21). Blicken kann demzufolge insofern als Praktik gelesen werden, als „[d]ie kulturellen, sozialen, politischen Prägungen, die das Subjekt formen, […] als Objektiv seines Sehens auf[treten]“ (ebd., S. 25). Innerhalb eines Sichtfeldes tritt demzufolge „nicht alles in den Blick“ (ebd., S. 23). Im boomerang vollzieht sich nun gewissermaßen eine Dopplung, werden in ihm doch Dinge sichtbar oder bleiben unsichtbar, die zuvor durch die Produzierenden (nicht) erblickt worden sind. Demnach wird das Blickfeld der Produzierenden zur Grundlage dessen, was die Rezipierenden ,in den Blicken nehmen‘ bzw. ,bereisen‘ können.
[2]An dieser Stelle danke ich Christoph Piske für die anregenden Gespräche zu Fragen nach ,Sehens-, Liebens- und Lesens-Wertigkeiten‘.
[3]Ulrich Raulff hält in diesem Zusammenhang fest: „[…] allmählich wird die Welt von ihren Bildern wieder zugedeckt, an einigen Stellen sind die Schichten bereits turmhoch, andere Landstriche sind erst mäßig bedeckt. Eines Tages aber wird die ganze Welt mit einer Fototapete überzogen sein […]“ (Raulff 1983, nach Thurner 1992, S. 24).
[4]Norbert Meder stellt in diesem Kontext bereits 2006 in einem Kommentar zu einem Text Andreas Hepps eine Verbindung zwischen Medien und Globalisierung her, wobei er beide als miteinander wechselseitig verflochten identifiziert: „Ist die gegenwärtige Globalisierung überhaupt denkbar ohne die Neuen Medien? Es ist klar, dass die Alten Medien (Film, Musik, Zeitung, Video etc.) globalisiert werden, aber nur auf der Grundlage der Globalisierung, die von den Neuen Medien getragen wird.“ (Meder in Hepp 2006, S. 54).
[5]In Anbetracht der Kürze dieses Beitrages kann der Rezeptionsseite leider keine Aufmerksamkeit geschenkt Hier böte sich allerdings unmittelbares Potenzial zur Weiterarbeit.
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