Ästhetik der Reorganisation. Zur Einleitung

„What is characteristic of aesthetic experience is that by looking, describing, thinking, and interrogating artwork, we make ourselves new. Works of art – whether pictures or writings or dances or songs – rework the raw materials of our default organization. The engagement with an artwork is an engagement with oneself that tends to alter us, to reorganize us. This is why artworks offer something like emancipation: they free us from the ways that we happen to find ourselves, organized by habit, by culture, by history, and even by biology.
This entanglement is the key to understanding our true nature. […] This is because the aesthetic is much more widespread and abiding than even art and art-making; it is as basic and as original as the fact of consciousness itself. The aesthetic is a live possibility, an opportunity, and a problem, wherever we find ourselves. We are not fixed, stable, defined, and known; the very act of trying to bring ourselves into focus reorganizes and changes us. We are an aesthetic phenomenon.“ (Noë 2023b: 11)

Das vorangestellte Zitat von Alva Noë fasst nicht nur eine der grundlegenden Thesen seiner Theorie ästhetischer Erfahrung verdichtet zusammen – welche auch den Fokus der vorliegenden Sammlung darstellt –, seine Theorie, insbesondere die theoretische Figur der Reorganisation, stellt darüber hinaus einen äußerst interessanten Beitrag zum Diskurs der ästhetischen Erfahrung dar – und damit auch zur Theorie der Ästhetischen Bildung, insofern die ästhetische Erfahrung als der performative Vollzugsmodus ästhetischer Bildungsprozesse verstanden werden kann (vgl. Laner 2018: 9-56, insb. 27f).

Der zuerst ausschließlich kunstphilosophisch geführte Diskurs der ästhetischen Erfahrung hat sich seit dem Beginn der 1920er-Jahre sehr ausdifferenziert und wird heute in kulturwissenschaftlichen und interdisziplinären Kontexten weitergeführt; wichtige Impulse für die konzeptuelle Prägung des Begriffs der ästhetischen Erfahrung kommen aus dem amerikanischen Pragmatismus seit den 1920er-Jahren, z.B. Georg Herbert Mead, John Dewey und aus der deutschen rezeptionsästhetischen Diskussion seit den 1970er-Jahren, z.B. Karl-Heinz Bohrer, Rüdiger Bubner, Hans Robert Jauß, Christoph Menke, Martin Seel, Ruth Sonderegger (vgl. Alloa/Haffter 2022). Bei aller Unterschiedlichkeit der heute vorliegenden Positionen (hinsichtlich des zugrundeliegenden Erfahrungsbegriffs, des Erfahrungsmodus oder des Erfahrungsobjekts) stimmen doch viele von ihnen in systematischer Perspektive in einem Punkt überein: Ästhetische Erfahrungen unterscheiden sich von alltäglichen ,Normalerfahrungen‘ insofern, dass sie einen transformativen Charakter haben, auch wenn Art, Intensität, Verlaufsform, Modalität, Dauer u.a.m. hinsichtlich der Veränderungen des Erfahrungssubjekts variieren. Als transformative Ereignisse lassen sie sich von intensiven sinnlichen Wahrnehmungen bzw. Erlebnissen differenzieren. Das Subjekt einer ästhetischen Erfahrung nimmt nicht ,nur‘ in einem kumulativen Sinne neue Wahrnehmungen, Informationen oder Gehalte auf, sondern eignet sich dieselben in einer solchen Weise an, dass es selbst zu einem anderen wird. Ästhetische Erfahrungen lassen sich in dieser Perspektive als liminale oder Schwellenerfahrungen (Fischer-Lichte 2016; Waldenfels 2013) verstehen, die diejenigen, die sich auf sie einlassen, sie durchmachen, in ihrem Vollzug verwandeln können. Es sind transformative Erfahrungen, an denen die Subjekte zwar beteiligt sind, aber sie nicht intentional herbeiführen oder steuern können, sondern in die sie vielmehr verwickelt werden.

Auch Noës Theorie ästhetischer Erfahrung konzipiert dieselbe als ein transformatives, in seinen Worten, als ein reorganisierendes Ereignis. In erkenntnistheoretischer Perspektive bedeutet das für ihn, dass wir als Menschen nur Anderes wahrnehmen und erkennen können, wenn wir anders als zuvor wahrnehmen und erkennen; und wir können nur anders erkennen, wenn wir uns im Prozess der ästhetischen Erfahrung reorganisieren, eben selbst in einem gewissen Maße Andere werden. Die Kunst, so seine These, stellt hierfür emanzipative ,Werkzeuge‘ im Sinne von ästhetisch-künstlerischen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen zur Verfügung. Und sie tut es in einem komplementären, ja verflochtenen Verhältnis zu unseren alltäglichen und habitualisierten Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen. Die Kunst habe nach Noë einerseits das Potenzial, die Art und Weise, wie wir als individuelle Subjekte organisiert sind – durch verkörperte Gewohnheiten sowie historische, sozio-kulturelle und technologische Strukturen – thematisch werden zu lassen und so zu einer gesteigerten Selbstwahrnehmung zu führen. Andererseits stellt sie den Subjekten ästhetischer Erfahrung alternative, andere Praktiken und Weisen des Wahrnehmens, Denkens und Handelns zur Verfügung.

Wie bereits zuvor skizziert, liegen zum transformatorischen Charakter ästhetischer Erfahrungen schon vielfältige theoretische Antworten vor. Das Interessante an Alva Noës Theorie ist aber, dass sie verschiedene Einflüsse und philosophische Theorieströmungen in sich aufnimmt und in produktiver Weise verbindet: Analytische Philosophie, Enaktivismus, Phänomenologie und Pragmatismus. Vor allem in seinen jüngeren Arbeiten (2015; 2021; 2023a) formuliert er so Antworten und Ideen hinsichtlich des transformatorischen Potentials der Künste, allgemeiner des Ästhetischen, die unser Interesse weckten, da sie womöglich einen neuen theoretischen Zugang zu ästhetischen Bildungsprozessen eröffnen. Insbesondere vor dem Hintergrund relationaler und performativitätstheoretischer Überlegungen verstehen wir seine Theorie als eine Ästhetik der Reorganisation, die sowohl Grundlage für eine kritische Erweiterung bzw. Neuperspektivierung transformatorischer Bildungstheorie als auch anregender Beitrag zum kunstpädagogischen Diskurs sein kann.

Bevor wir einige bildungstheoretische Fragen in Anschluss an Alva Noës ästhetische Theorie formulieren, möchten wir zunächst den Ausgangspunkt unserer Überlegungen zu dieser Publikation, Noës Verständnis von Organisation und Reorganisation menschlicher Bewusstseinsprozesse wie Wahrnehmen, Denken und Handeln, noch genauer vorstellen.

 

Re/Organisation menschlicher Praktiken

Alva Noë argumentiert in seinem Buch Strange Tools. Art and Human Nature (2015), dass menschliches Leben durch organisierte Aktivitäten strukturiert ist. Alle menschlichen Tätigkeiten wie Wahrnehmen, Sprechen, Gehen, Essen u.a.m. sind in dieser Perspektive in komplexe Strukturen der Organisation eingelassen. Das Sehen beispielsweise begreift er als eine komplex organisierte Aktivität, mit der Menschen die umgebende Welt (und sich selbst als Teil davon) immer wieder visuell zur Wahrnehmung, zur Erscheinung bringen (vgl. ebd.: 10). Dabei ist das Entscheidende seiner Argumentation, dass diese Organisationsstrukturen nicht (oder nur zum Teil) dem Menschen transparent sind. Menschen erfinden oder steuern nicht die komplexen und dynamischen Muster, die sie organisieren. Sie sind allerdings von Geburt an in die organisierenden Strukturen eingelassen und eignen sich diese im Laufe ihres Lebens an, verkörpern sie. Die Künste, künstlerische Praktiken haben nun nach Noë die Möglichkeit, die organisierenden und organisierten Strukturen alltäglicher menschlicher Aktivitäten und Handlungen hervorzuheben, also Aspekte der Art und Weise, wie wir als Subjekte organisiert sind, offenzulegen und diese zugleich etwas zu ,verflüssigen‘, zu erweitern oder auch zu transformieren (vgl. ebd.: 29). Alle Künste sind in diesem Sinne als reorganisierende Praktiken zu verstehen.

Noë erläutert diese Theoriefigur beispielsweise am Unterschied zwischen der menschlichen Fähigkeit zu tanzen als organisierter Aktivität und dem choreografierten (Bühnen-)Tanz als einer künstlerischen Praxis; erstere wird als emergent, letztere als inszeniert verstanden (vgl. ebd.: 12). Der choreografierte Tanz bzw. die Choreografie nimmt nach Noë eine repräsentative Rolle ein, sie repräsentiert das Tanzen als organisierte Aktivität:

„That is, he [the choreographer] puts dancing itself on display. Choreography shows us dancing, and so, really, it displays us, we human beings, as dancers; […]; choreography exhibits the place dancing has, or can have, in our lives. Choreography puts the fact that we are organized by dancing on display.“ (Ebd.: 13)

Choreografie bringt, so Noë, das Organisiert-Sein der Menschen als Tänzer*innen wortwörtlich auf die Bühne und ermöglicht somit eine Konfrontation mit dem Tanzen, seinem Bewegungsmaterial, seinen Formen und Stilen u.v.a.m., und ermöglicht nicht zuletzt eine Auseinandersetzung damit, was Tanzen aus der Perspektive eines individuellen Tänzers noch sein und bedeuten kann (vgl. ebd.: 14). Choreografie oder choreografierter Tanz ist daher für Noë eine Praktik zweiter Ordnung, während das Tanzen als Aktivität erster Ordnung verstanden wird (vgl. ebd.: 29). Während Aktivitäten erster Ordnung die soziokulturelle Umwelt mitgestalten, in der wir uns als Menschen befinden, entspringen die künstlerischen Praktiken zweiter Ordnung aus den Aktivitäten erster Ordnung, beziehen sich auf sie, bearbeiten sie, stellen sie aus oder führen sie auf und sind dabei imstande, diese zu verändern (vgl. ebd.: 31). Dementsprechend kann potentiell jede Begegnung mit einem choreografierten Tanz nicht nur das individuelle Verständnis hinsichtlich des Tanzens, sondern auch den je individuellen Tanzstil eines Menschen reorganisieren, insofern dieser sich in einer ästhetischen Erfahrung mit den in Form des Tanzes aufgeführten neuen, anderen Möglichkeiten zu tanzen und das Tanzen zu verstehen auseinandersetzt und dabei ein*e andere*r Tänzer*in wird.

Wenn wir als Menschen tanzen, auch schon als kleine Kinder, dann tun wir das immer in Bezug auf und in Beziehung zu kulturelle/n Andere/n. Wir haben andere Menschen tanzen gesehen (z.B. in Tanzaufführungen, in Filmen oder in den Sozialen Medien) oder haben mit anderen zu verschiedenen Gelegenheiten getanzt. Wir verfügen also über eine Fülle von gemachten Erfahrungen und Bildern, die unsere Vorstellungen von Tanz und auch sehr konkret unsere Bewegungen mitformen, wenn wir tanzen. Mit anderen Worten: Wenn ein Mensch tanzt – sei es spontan in der Wohnung, auf einer Party oder in einem Club –, dann aktualisiert er die zuvor angeeigneten, verkörperten choreografischen Ideen kultureller Anderer. Jeder tanzende Mensch ist daher, Noës Argumentation folgend, der Ort einer Verflechtung (entanglement) zwischen der menschlichen Fähigkeit, sich tanzend zu bewegen und der künstlerischen, choreografischen Repräsentation tänzerischen Bewegungsmaterials und zugleich einer Idee davon, was „Tanz“ sein kann oder sein sollte. Auf diese Weise verändern Kunstpraktiken zweiter Ordnung unsere Art der gewohnheitsmäßigen Organisation erster Ordnung

Die bisher skizzenhaft rekonstruierte Theorie Noës lässt sich in bildungstheoretischer Perspektive reformulieren. Im Laufe ihrer Biografie bilden Menschen in ihren jeweiligen sozio-kulturellen Milieus in einem gewissen Maße ,eigene‘ individuelle Verhältnisse zur Welt, zu anderen und zu sich selbst. Neben der Sprache – im Anschluss an Wilhelm von Humboldts Bildungsdenken für viele Bildungstheoretiker immer noch das primäre Medium von Bildungsprozessen – spielen dabei für Noë alle kulturellen Erzeugnisse und Praktiken eine ebenso wesentliche Rolle. Dabei muss man in Rechnung stellen, dass die in Bezug auf kulturelle Artefakte und Praktiken gebildeten Strukturen der individuellen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen prekär und veränderbar sind – eben weil sie in Bezug auf ein kulturelles Außen entstanden sind und damit jederzeit, beispielsweise in Auseinandersetzungen mit anderen Sprachen, Tanzaufführungen, Filmen, Musik- und Theaterstücken, künstlerischen Arbeiten u.a.m., wieder umgebildet werden können. Wie genau das geschieht, was jemanden an einem Tanz, Film oder einer Theateraufführung affiziert, interessiert, was möglicherweise im Laufe einer ästhetischen Erfahrung fraglich wird und so zur weiteren Beschäftigung reizt, sodass sie sich zu einem ästhetischen Bildungsprozess auswächst, lässt sich in bildungstheoretisch informierter Perspektive nicht vorhersagen und soll es auch nicht.

Noë denkt diese Verflechtung noch weiter. Die in Bezug auf choreografierte Repräsentationen des Tanzes veränderten, reorganisierten Möglichkeiten zu tanzen, sich tänzerisch zu bewegen, liefern wiederum mehr und neue Informationen für Choreografen, die durch ihre Kunst untersuchen, was Menschen tun, wenn sie tanzen. Dieser dynamische Prozess verläuft in zirkulären Schleifen und wiederholt sich unablässig im Laufe der Zeit, über Generationen hinweg. Und es wird noch komplexer: Denn die Praktiken erster Ordnung bezüglich des Tanzens implizieren die Möglichkeit und Notwendigkeit der künstlerischen Repräsentation zweiter Ordnung. Einen Tanz zu choreografieren und zur Aufführung zu bringen bedeutet damit lediglich, das bisher ungenutzte Potenzial zu aktivieren, das in den gewohnheitsmäßig organisierten, alltäglichen Praktiken vorlag. Die Reflexion der künstlerischen Praktiken zweiter Ordnung über die menschliche Seinsweise, über die komplex organisierten Aktivitäten erster Ordnung ist eine Bedingung für die Möglichkeit dieser Aktivitäten selbst (vgl. Noe 2023a: 22).

 

Das Ästhetische als genuin menschliches Welt-Selbstverhältnis

In The Entanglement (2023a) nimmt Noë diese Thesen erneut auf und differenziert sie aus, indem er ästhetische Praktiken und ästhetische Erfahrungen nicht nur in der Auseinandersetzung mit künstlerischen Arbeiten situiert, sondern die Bedeutung des Ästhetischen auch in alltäglichen normalisierten Wahrnehmungs- und Kommunikationssituationen beobachtet und untersucht. In dieser Ausdifferenzierung der ästhetischen Erfahrung spielen neben vertrauten Weisen der Wahrnehmung, des Denkens, Kommunizierens und Handelns Konzepte wie „Fremdheit“ oder „Widerstand“ (aesthetic blind, aesthetic predicament) und „ästhetische Arbeit“ (aesthetic work) hinsichtlich unsere Bewusstseinsprozesse eine zentrale Rolle.

Wie zuvor schon beschrieben, stellt das Verständnis einer organisierten menschlichen Lebensweise ein zentrales Element in Noës Theorie der Wahrnehmung und der Kunst dar. Menschliche Aktivitäten und Praktiken des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Handelns sind einerseits geprägt bzw. organisiert durch körperlich-sinnliche, affektive und andererseits durch umweltliche, also historisch, technologisch, kulturell sowie gesellschaftlich veränderbare Strukturen. Diese Strukturen geben den menschlichen Bewusstseinsprozessen und Handlungsvollzügen Orientierung und Sicherheit, ohne dass sie dem Menschen jemals in Gänze und in ihrer Funktion transparent werden können. Diese Orientierungen des Menschen in historisch und geografisch ganz spezifischen Zeiten und Räumen und soziokulturellen Umwelten müssen allerdings im Laufe des Lebens, in einem Prozess der Enkulturation, mühsam erworben werden. Erworben werden dabei spezifische kulturelle Praktiken und Fertigkeiten (skills), mit denen immer auch Wissensbestände und affektive Orientierungen verbunden sind:

„[…] Among the skills and attitudes on which we rely for the actions and adjustments in which our perceiving consists are (1) sensorimotor skills (i.e. the general understanding of how one’s own movements produce and modulate the sensory); (2) conceptual techniques (practical knowledge of how to engage things, as well as intellectual knowledge about what things are); and, finally, (3) general facts about, as I will put it, our affective orientation. We are not neutral observers. We are affectively oriented to situations and things.“ (Noë 2023a: 98)

Die aktiv angeeigneten Praktiken, Fähigkeiten und Kulturtechniken manifestieren sich beispielsweise in fokussierten Wahrnehmungs- und Verstehensvorgängen, affektiven Einstellungen oder einem gekonnten Umgang mit bestimmten Gegenständen. Da die Welt, die kulturelle Umwelt, einem jeden heranwachsenden Menschen zunächst nicht vertraut, sondern in großen Teilen fremd und unverständlich gegenübersteht, kann der zunehmend vertrautere und selbstverständliche Zugang zu anderen/m in der Umwelt als Produkt einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Fremdem und Unverständlichem verstanden werden. Die mühelose Selbstverständlichkeit, mit der wir uns alltäglich in einer vertrauten Umwelt bewegen, verdeckt die dahinterstehenden, komplexen Fertigkeiten, die von allen Menschen in einem mühevollen Prozess erworben wurden.

Die mittels verschiedenster Praktiken und Kulturtechniken errungenen Fertigkeiten (skills) verdichten und manifestieren sich bei jedem Menschen im Laufe seiner Biografie in Form von individuellen Haltungen, Gewohnheiten (habits) und Dispositionen des Denkens, Wahrnehmens und Handelns.[1] In The Entanglement schreibt Noë:

„However hard-won our skills may be – those of mobility, language, literacy, whatever – in maturity, they take the form of habits. What is distinctive of a habit is that it is the tendency to act or perform, to move or to respond, to take up an attitude; it is the tendency to lump together, see, or categorize, or even to feel, that kicks in, as it were, unbidden, and seemingly of its own accord. Habits are simultaneously enablers and impediments; they are ways that we find ourselves organized.“ (Ebd.: 19)

Noë betont, dass die verschiedenen habitualisierten Fertigkeiten, Praktiken und Techniken zwar Orientierung und Sicherheit geben und verschiedene Zugänge zur Welt ermöglichen, aber sie gleichsam einschränkend wirken. Denn der Prozess der Habitualisierung von Fertigkeiten, Praktiken, Techniken mitsamt den verbundenen Wissensordnungen, Einstellungen und Absichten beinhaltet auch Aspekte der Aus- und Abrichtung von Wahrnehmungen und Handlungen. Der routinierte, alltägliche Umgang mit Dingen, Praktiken, Techniken ist ein Wahrnehmen und Handeln, das insofern einen tendenziell einschränkenden, ,unfreien‘ oder auch instrumentellen Charakter hat, da es ohne reflexive Überlegungen, ja scheinbar selbstverständlich vollzogen wird. Routinierte, habitualisierte Praktiken, Wahrnehmungs- und Handlungsweisen haben somit einen subtraktiven Charakter, indem wir die Welt, die anderen und anderes immer nur unter Abzug dessen, was uns gerade nicht interessiert wahrnehmen; sie immer hinsichtlich eines subjektiven Zwecks wahrnehmen und aneignen und somit ihnen nicht gerecht werden.

Für Noë sind es vor allem Kontexte der Kunst, der künstlerischen Praxis und Rezeption, die Momente herstellen oder ermöglichen, unsere habitualisierten Fertigkeiten, Praktiken und Techniken zu befragen. Kunst schafft Situationen oder Objekte, mit denen wir uns nicht auskennen, die sich unseren Erwartungen von Sinn widersetzen. Künstlerische Arbeiten sind also Gegenstände, die uns Widerstand leisten:

„Art, or artistic practice, […] are ways of more directly engaging with and investigating the aesthetic. In art […], we conjure opportunities to be stymied, to be incapacitated, to be confronted by the nonintelligibility of the situation. The art object, in its purest form, is something that we do not recognize. We do not know what it is.“ (Ebd.: 100f)

Noë betont aber auch, dass nicht nur die verschiedenen Kontexte der Kunst Zeiträume und Begegnungen eröffnen, die sich unseren gewohnten Wahrnehmungs- und Handlungsweisen, unseren Erwartungen und Sinngebungen widersetzen und so ästhetische Erfahrungen der Befragung, Kritik und Transformation ermöglichen. Die künstlerischen Praktiken, die vielgestaltigen Begegnungsräume der Künste wiederholen nur die Erfahrungen, die wir als Menschen in der Welt mit anderen und anderem gemacht haben und beständig machen und die unserem Wahrnehmen, Denken und Handeln eingeschrieben bleiben: Dass uns die Welt, Personen, Objekte, Situationen, Praktiken und Techniken fremd sind, wir uns nicht auskennen, wir an die Grenzen unseres habitualisierten Wahrnehmens, Verstehens und Handelns kommen.

In Noës Theorie ist Wahrnehmung ein komplexer und prekärer Prozess, in dem sich Personen, Dinge oder andere Wahrnehmungsgegenstände fortwährend entziehen können oder unzugänglich, unverständlich werden. Unser menschliches Bewusstsein von der Welt ist dementsprechend fragil. Die Fremdheit und Widerständigkeit von der Welt und unsere Versuche darin wahrzunehmen, zu verstehen oder zu handeln; das/die Andere/n wenigstens für eine Zeit zu erfassen, präsent zu machen, nennt Noë „das Ästhetische“. Es sind also nicht allein Kontexte der Kunst, die ästhetische Erfahrungen ermöglichen – vielmehr haben wir als Menschen ein genuin ästhetisches Verhältnis zur Welt.

Ästhetische Erfahrung lässt sich daher mit Noë als ein potentiell allgegenwärtiges Phänomen verstehen, das in alltäglichen Begegnungen, Wahrnehmungen und Handlungen seinen Anfang nehmen kann. Es beginnt da, wo beispielsweise eine Person herausgefordert durch einen Widerstand vom Nicht-Sehen zum Sehen übergeht oder wo das Sehen sich zu einem Anders-Sehen verwandelt (vgl. Noë 2023: 100) und gleichsam ein Anders-Werden ermöglicht. Dieses transformative Potential lässt sich Noë zufolge in allen Wahrnehmungsformen und Sinnesmodalitäten wiederfinden.

Vor dem skizzierten theoretischen Hintergrund lässt sich nun danach fragen: Wie beginnt eine ästhetische Erfahrung und wie artikuliert sie sich? Bei aller Unterschiedlichkeit der Verlaufsformen individueller ästhetischer Erfahrungen lautet die Antwort mit Noë: Sie beginnt dort, wo wir uns nicht mehr auskennen, wo sich etwas unseren vertrauten, habitualisierten Praktiken des Wahrnehmens, Denkens und Erfahrens entzieht oder etwas sie übersteigt; dann, wenn etwas fremd bleibt, wenn etwas fraglich wird, die gewohnten Handlungsvollzüge, ihr sensomotorisches Schema unterbrochen wird und wir zur Reflexion ,gezwungen‘ werden, und wir daher beginnen, etwas an unserer Wahrnehmung, unserem Handeln zu verändern. Das ist der Moment, den Noë als ,ästhetische Arbeit‘ oder als Arbeit der ästhetischen Erfahrung bezeichnet. Ästhetische Arbeit besteht für ihn ganz grundlegend darin, die Welt zur Wahrnehmung zu bringen, einen (anderen) Zugang zur Welt oder zum wahrnehmbaren Objekt zu erhalten bzw. sich dasselbe in möglichst all seinen Facetten wahrnehmbar zu machen. Ästhetik, so Noë, „is not the task of evaluating the object. It is the task of achieving the object.” (Ebd.: 106) Eine in diesem Sinne verstandene ästhetische Erfahrung, so lässt sich Noës Argument erweitern, bringt nicht nur die Welt oder Objekte darin zur Wahrnehmung, sondern sie bringt dabei auch immer die wahrnehmenden Subjekte als solche allererst hervor.

Ästhetische Arbeit beginnt in Noës Verständnis in den Versuchen, in denen man den Sinn, die Bedeutung eines Objekts befragt, um dadurch einen situativen Zugang zu ihm zu erhalten. Mit einer responsiven Logik betrachtet gehen diese Versuche nicht allein von einem individuellen Subjekt aus, sondern können auch in sozialen Interaktionen wie Gesprächen, Begegnungen, Vermittlungsangeboten etc. entstehen. Insofern geht es in der ästhetischen Arbeit nicht darum, ein Objekt (das eben auch ein Kunstwerk, ein Film, ein Buch sein kann) zu beurteilen oder zu bewerten (auch wenn wir das immer tun, da unsere Wahrnehmungen von unseren Erfahrungen, Werten, unserem Wissen mitgeprägt und mitgeformt werden), sondern in einer reflexiven Geste die eigene Wahrnehmung mitsamt ihren Bedingungen und Einschränkungen angesichts desselben zu befragen. Und gleichsam daran zu arbeiten, in welcher Weise man die eigene Wahrnehmung verändern muss, um sich das Objekt (oder auch Aspekte desselben) zugänglich zu machen. In dieser Weise versteht Noë die Arbeit der ästhetischen Erfahrung als eine Reorganisation der eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsweisen angesichts eines widerständigen, (noch) nicht zugänglichen oder eines (noch) unbekannten Objekts: „Genuinely aesthetic experience is the work of reorganization in the face of the not-yet-known.” (Ebd.: 106) Genauer müsste man hier formulieren: Nicht ein Objekt, sondern etwas ist da, das erst in der jeweiligen, individuellen ästhetischen Arbeit zu einem ganz bestimmten und besonderen Wahrnehmungsobjekt wird. Und dies entsprechend der Art und Weise, in der sich ein Subjekt einen Zugang zum Objekt erarbeitet und gleichsam sich selbst als das Subjekt des wahrgenommenen Objekts hervorbringt. In diesem Sinne ist sein Begriff der Reorganisation relational verfasst.

Ästhetische Erfahrungen beziehen sich damit immer auch auf die Bedingungen und Strukturen von subjektiver Wahrnehmung, Denken und Handeln. Die Bedingungen unserer Wahrnehmungen und Handlungen sind, wie zuvor dargestellt, organisiert und strukturiert durch Gewohnheiten und psychische Dispositionen, in weiterem Sinne durch historische, kulturelle und auch biologische Bedingungen. Wir setzen die zuvor mit Noë beschriebenen Fähigkeiten, das Wissen und die Bewertungen spontan und unablässig ein, um die Welt wahrzunehmen und zu erkennen, das heißt, um uns mit der umgebenden Welt in Beziehung zu setzen – zumeist ohne darüber nachzudenken. All das, unsere biografischen Erfahrungen, unsere Gewohnheiten und sozio-kulturellen Kontexte sind also dafür mitverantwortlich, wie wir die Welt und uns darin wahrnehmen können. Manchmal kann allerdings der spontane Zugang, in dem wir uns wie gewohnt die Welt wahrnehmbar, denkbar machen, scheitern, indem die Welt widerständig ist, wir z.B. nicht sehen, nicht verstehen können, was sich uns zeigt oder wir nicht nachvollziehen können, wie eine andere Person die Welt sieht oder denkt. Die Welt verschließt sich unseren gewohnten Wahrnehmungsvollzügen und Wissensbeständen, in Noës Worten: „[S]ometimes habit fails us“ (ebd.: 99). Diesen Widerstand, diese Unzugänglichkeit bezeichnet Noë auch als „aesthetic predicament“ oder „aesthetic blind“ (vgl. ebd.: 97ff). Die Situationen und Phänomene, in denen das geschehen kann, sind unzählig. Das entscheidende Argument in Noës Verständnis ist hier, dass sie dabei keine Hindernisse darstellen, die es zu überwinden gilt, nur um mit seiner gewohnten Sicht auf die Welt unbeeindruckt fortfahren zu können, sondern sie stellen ästhetische und zugleich ethische Möglichkeiten dar, die Welt anders wahrzunehmen und anders zu denken (vgl. ebd.: 104).

Ästhetische Arbeit besteht somit genau darin, an sich selbst zu arbeiten, allerdings in Beziehung zu einem oder etwas anderem (Kunstwerken, Menschen, Situationen). Diese Arbeit der ästhetischen Erfahrung wird zwar in konkreten Situationen ausgelöst, aber sie ist von längerer Dauer oder kann immer wieder (von Neuem) aufgenommen werden. In diesem Sinne versteht Noë ästhetische Erfahrung auch als die zeitlich ausgedehnte Praxis der Auseinandersetzung mit sich selbst und seinem soziokulturellen Umfeld, mit dem Ziel, die Welt neu oder auf andere Weise wahrnehmen zu können. Objekte, Situationen oder Menschen anhand oder mit denen sich diese Auseinandersetzung vollzieht, können variieren (vgl. ebd.: 108). Man kann es auch noch einmal so formulieren: Die grundlegende Arbeit der ästhetischen Erfahrung besteht für Noë in der Anpassung der eigenen Werte, der Fähigkeiten, Erwartungen sowie des Verstehens. Sie bezeichnet demzufolge eine transformatorische Arbeit, die sowohl in der Etablierung als auch in der Aufrechterhaltung der Beziehungen zur Welt, ihren menschlichen und mehr-als-menschlichen Objekten, mit den bereits eingenommenen Werten bzw. Wertedispositionen operiert (vgl. ebd.: 109), indem sie auch imstande ist, diese zu reorganisieren.

 

Anschlüsse an den Diskurs der Ästhetischen Bildung

Vor dem Hintergrund der skizzierten Thesen von Noë zur ästhetischen Erfahrung und ihrem reorganisierenden Potential von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen, stellen sich für uns in bildungstheoretischer Perspektive viele weiterführende Fragen. Einige davon wollen wir zuletzt noch etwas ausführen:

 

  1. Wenn sich die ästhetische Erfahrung eines Subjekts mit Noë als spontane, situativ-responsive und temporäre Reorganisation subjektiver Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen verstehen lässt, welche Anlässe bzw. Auslöser lassen sich dann für ästhetische Erfahrungen und in deren Folge für ästhetische Bildungsprozesse bestimmen? Nehmen wir beispielsweise mit Markus Rieger-Ladich (2019: 191) an, dass literarische Texte, Filme, Gemälde und Theaterstücke ihre Betrachter*innen mit „fremden Selbstentwürfen, mit abweichenden Existenzweisen und unvertrauten Lebenswelten“ konfrontieren und somit Erfahrungen anstoßen können, in denen die Betrachter*innen, Leser*innen etc. sich von den Verpflichtungen des Alltags freisetzen und von den eigenen Routinen und Konventionen distanzieren können (vgl. ebd.: 191f). Oder folgen wir Iris Laner, die argumentiert, dass das Imaginieren von möglichen Wirklichkeiten anderer Menschen einen (ästhetischen) Bildungsprozess auslösen kann, indem „sich das Ich kritisch zu seiner eigenen Wirklichkeit und zu der möglichen Wirklichkeit des Anderen verhält“ (Laner 2019: 240). Beide Beispiele können als Anlässe für ästhetische Erfahrungen verstanden werden. Noë selbst nennt noch viele weitere Beispiele in seinen letzten Büchern (vgl. Noë 2015; 2021; 2023a), die etwa auch gestische und sprachliche Hinweise während eines Gesprächs bezüglich eines Bildes einschließen. All die genannten Beispiele – und es wäre leicht hier noch weitere aufzuzählen – zeigen schon an, dass ästhetische Erfahrungen viele verschiedene Anlässe und Auslöser haben können, die etablierte Konzeptionen von Bildungsanlässen wie Krisenerfahrungen (Koller 2007, 2016, 2022) und Irritationen (Sabisch 2018) zwar einschließen, aber in Ihrer Anzahl und Form auch weit darüber hinausgehen. Mit Noë lässt sich unseres Erachtens ein Vorschlag für Anlässe ästhetischer Erfahrungen formulieren, der ihrer Vielgestaltigkeit näherkommt. Jenseits von Krisen, Irritationen konzipiert Noë mit der Figur der Unzugänglichkeit (aesthetic blind, aesthetic predicament) ein Verständnis, das weiter, ja ordnungskontingent gefasst ist, sich in vielgestaltigen Phänomenen und Affekten zeigt und daher eine situative und responsive Bestimmung von Anlässen ästhetischer Erfahrung ermöglicht bzw. erforderlich macht. Unzugänglichkeiten können sowohl im Wahrnehmen, Denken und Handeln, im Inter- und Intrasubjektiven als auch im Entanglement von Menschen, Dingen, Praktiken und Techniken oder anderem Nicht-Menschlichen auftreten und sich jeweils anders artikulieren: Als Indifferenz oder Widerstand, als Anziehung, Anreiz, Faszination oder Lust, als Irritation, Verwirrung oder Befremdung u.a.m. Sie können sich in jeglichen Formen des Affekts äußern, immer idiosynkratisch, manchmal auch in sich widersprüchlich.
  2. Wie vollziehen und artikulieren sich ästhetische Erfahrungen? – Vor dem Hintergrund von Noës Konzept der Reorganisation lässt sich hinsichtlich der Artikulation und Form ästhetischer Erfahrungen vermuten, dass sie sich in situativ-performativen, kleinschrittigen und temporären Änderungen, Modifikationen und Verschiebungen von Dispositionen des subjektiven Wahrnehmens, Denkens und Handelns vollziehen und metastabil manifestieren. Wie zuvor mit Noë argumentiert, werden solche ästhetischen Erfahrungsprozesse zwar in konkreten Situationen ausgelöst, aber sie sind von längerer Dauer als das Erlebnis in einer konkreten Situation und können immer wieder (von Neuem) aufgenommen werden. In diesem Sinne versteht Noë ästhetische Erfahrungen als die zeitlich ausgedehnte Praxis der Auseinandersetzungen mit der Welt, den/m Anderen und sich selbst, mit dem Ziel, sich andere, neue Welt-Selbstverhältnisse zu erarbeiten. Ein solches Verständnis von ästhetischer Erfahrung, im Sinne stetiger kleinerer Reorganisationen subjektiver Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsweisen, könnte in der Folge zu größeren Veränderungen wie beispielsweise Habitustransformationen führen, die unter anderem Florian von Rosenberg (2011) als Bildungsprozesse beschreibt. In dieser Perspektive schließen sich methodische Fragen bezüglich der qualitativen Erforschung ästhetischer Erfahrungsprozesse an: Wie genau vollziehen sich Reorganisationen im Sinne Noës in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken? Gibt es Ähnlichkeiten oder Unterschiede bezüglich der Modalität reorganisierender Erfahrungen und Praktiken in Auseinandersetzung mit den verschiedenen Künsten? Besonders interessiert uns die Frage danach, wie sich Reorganisationen in unterschiedlichen Bereichen des Ästhetischen zeigen und wie sie sich empirisch untersuchen lassen.
  3. Nicht zuletzt lässt sich mit Noë die Konzeption ästhetischer Erfahrung als individuelle Erfahrung befragen. Bis heute wird die ästhetische Erfahrung zumeist als individueller Prozess verstanden und nicht als das Produkt einer kollektiven Anstrengung.[2] In einigen Beispielen in The Entanglement (2023a) weist Noë aber darauf hin, dass ästhetische Erfahrung nicht (immer) bei einer Person allein beginnt, sondern auch im Dialog mit anderen ihren Anfang nehmen oder sich vollziehen kann. Zudem geschieht unseres Erachtens jede individuelle Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk immer in Bezug zu anderen, also vor dem Hintergrund von Vorerfahrungen, bzw. sie ist immer gefärbt und gelenkt von dem bereits Gehörten, Gelesenen und Gesehenen. Ästhetische Erfahrung ist daher immer auch eine Auseinandersetzung mit den Stimmen, die von vornherein in unseren Stimmen mitklingen und sie perspektivieren. Vor dem Hintergrund dieser dialogischen Struktur – Noë spricht auch von einem conversational model (vgl. 2021: 157f; 2023a: 166) – stellt sich die Frage, inwiefern die Arbeit der ästhetischen Erfahrung noch sinnvoll als eine individuelle Leistung des Subjekts in den Blick genommen werden kann. Vielmehr sollten wir fragen: Wie sind Individualität und Kollektivität in der ästhetischen Erfahrung miteinander verflochten?

Das Potenzial Noës Denkfigur der Reorganisation liegt zusammenfassend darin, ästhetische Erfahrung, die sich mit künstlerischen oder aber auch mit alltäglichen ästhetischen Praktiken vollziehen kann, in ihrem leibgebundenen (sinnlich-motorischen), relationalen (sozio-kulturellen, umweltlichen) und transformatorischen Charakter weiter auszuarbeiten. Sie ermöglicht zudem einen theoretischen Zugang zur Ästhetischen Bildung, der nicht nur eine Vielzahl von verschiedenen Bildungsanlässen denkbar macht, sondern auch Bildungsprozesse verschlungen mit der Sprache (und weiteren Medien, Kulturtechniken und kulturellen Artefakten) auf der Ebene von kenntnisreichen Wahrnehmungs- und Handlungsvollzügen sowie affektiven Orientierungen individueller Subjekte beschreibbar und erforschbar macht.

Die Mehrheit der hier veröffentlichten Texte wurde zuvor als Vorträge auf dem interdisziplinären Workshop Ästhetische und künstlerische Praktiken als Reorganisation von Wahrnehmungsweisen gehalten, der vom 1.-2. September 2023 an der Universität zu Köln stattfand. Der Workshop widmete sich der Diskussion von Noës Thesen zum reorganisierenden Potential der Kunst aus verschiedenen empirischen und theoretischen Perspektiven. Weitere Texte haben wir als Ergänzungen für die Sammlung angefragt.

Die Beiträge nähern sich auf ganz unterschiedliche Weise der zuvor skizzierten Theorie von Alva Noë: Sie diskutieren sie kritisch hinsichtlich ihrer Grenzen, vergleichen sie mit anderen vorliegenden (medien-)ästhetischen und wahrnehmungstheoretischen Positionen, erproben sie in Bezug auf verschiedene medienspezifische Kunsterfahrungen oder erweitern sie und suchen nicht zuletzt nach produktiven Anschlüssen zu den Diskursen der Ästhetischen Bildung sowie der Kunstpädagogik. Einige greifen dabei die zuvor von uns in bildungstheoretischer Perspektive formulierten Fragen auf, andere wiederum werfen noch andere weiterführende Fragen auf.

 

Dank

Zuletzt möchten wir noch all denjenigen von Herzen danken, die das Zustandekommen dieser Sammlung möglich gemacht haben: Größter Dank geht an Alva Noë, der sowohl den Workshop als auch die Publikation von der ersten, vage in einer E-Mail an ihn formulierten Idee an unterstützt und uns für ein ausführliches Gespräch nach Berlin eingeladen hat. Ebenso großer Dank geht an alle weiteren Autorinnen und Autoren für ihre Mitwirkung, ihre Texte und die Diskussionen bezüglich Noës Theorie, die uns viele überraschende und neue Einsichten beschert haben. Luisa Vogt danken wir für ihre Unterstützung beim Korrektorat und Carmela Fernández de Castro y Sánchez danken wir für das Layout der Texte und die umsichtigen Absprachen. Für die freundliche Beteiligung an den Tagungskosten danken wir dem Dekanat der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln.

 

Literatur

Alloa, Emmanuel/Haffter, Christoph (2022): Ästhetische Erfahrung. In: Siegmund, Judith (Hrsg.): Handbuch Kunstphilosophie. Wiesbaden: Springer, S. 357-371.

Audehm, Kathrin (2017): Habitus. In: Kraus, Anja/Budde, Jürgen/Hietzge, Maud/Wulf, Christoph (Hrsg.): Handbuch Schweigendes Wissen. Erziehung, Bildung, Sozialisation und Lernen. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 167-178.

Bourdieu, Pierre (1993): Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

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Noë, Alva (2015): Strange tools. Art and human nature. New York: Hill and Wang (ePub).

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Rittelmeyer, Christian (2017): Warum und wozu ästhetische Bildung? Über Transferwirkungen künstlerischer Tätigkeiten. Ein Forschungsüberblick. Oberhausen: Athena.

Rosenberg, Florian von (2011): Bildung und Habitustransformation. Empirische Rekonstruktionen und bildungstheoretische Reflexionen. Bielefeld: transcript.

Sabisch, Andrea (2018): Bildwerdung. Reflexionen zur pathischen und performativen Dimension der Bilderfahrung. München: kopaed.

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Waldenfels, Bernhard (2013): Ordnungen im Zwielicht (2. Aufl.). München: Wilhelm Fink.

 

Anmerkungen

[1] Vgl. dazu Iris Laner in diesem Band, die Noës Argumentation in ähnlicher Weise bei dem französischen Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty wiederfindet. Noës Argumentation erinnert an Michael Polanyis „Implizites Wissen“ (1985) und auch an Pierre Bourdieus Konzept des Habitus, der habituellen, routinierten menschlichen Praktiken (vgl. dazu Bourdieu 1993; Audehm 2017; in bildungstheoretischer Perspektive: von Rosenberg 2011: 71 und in kunstpädagogischer Perspektive: Schnurr 2022).

[2] Ausnahmen bilden z.B. Andrea Sabisch (2018), Gesa Krebber (2020), Iris Laner (2021) und Katja Lell und Manuel Zahn (2024). Zudem weist Laner (2021: 32), in Bezug auf Rittelmeyer (2017) darauf hin, dass der gemeinschaftliche Aspekt ästhetischer Erfahrung in der Musikpädagogik eine weitaus größere Rolle als in der Kunstpädagogik spiele.

Von Fatma Kargin, Manuel Zahn

Veröffentlicht am 11. Februar 2025

Zitiervorschlag

Kargin, Fatma; Zahn, Manuel: Ästhetik der Reorganisation. Zur Einleitung, in: Fatma Kargin, Manuel Zahn (Hg.): Ästhetik der Reorganisation, Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2025. Quelle: https://zkmb.de/aesthetik-der-reorganisation-zur-einleitung/; Letzter Zugriff: 22.02.2025

Review-Verfahren

Der Text wurde durch zwei Fachgutachter/innen doppelblind hinsichtlich wissenschaftlicher und publizistischer Güte eingeschätzt und ggf. mit Hinweisen zu Überarbeitungsvorschlägen an die/den Autor/in zur Veröffentlichung empfohlen.

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