Spannungsfelder interkulturelle Filmbildung

Spannungsfelder interkultureller Filmbildung. Zur Einleitung

Der vorliegende Forschungsbericht ist das Ergebnis der Begleitforschung des Projekts Interkulturelle Filmbildung, welches im Zeitraum 2016–2021 in Kooperation von vier Institutionen durchgeführt wurde: Der BpB – Bundeszentrale für politische Bildung, dem DFFDeutsches Filminstitut und -museum, VISION KINO – Netzwerk für Film- und Medienkompetenz und dem Österreichischen Filmmuseum. Im Zentrum des Projekts stand die Frage wie sich »[d]ie Vielfalt der Gesellschaft […] in der filmbildenden Arbeit widerspiegeln und filmdidaktische Programme bereichern [kann]« (Bachmann 2021).

Indem sie den Begriff der »interkulturellen Haltung« als zentrale Ausrichtung für ihr Projekt wählten, wollten die Projektinitiator*innen insbesondere die reflexive und kritische Arbeit an den eigenen Denk-und Wahrnehmungsmustern, am Filmkanon, an den Vermittlungsmethoden sowie an den institutionellen Strukturen in den Vordergrund stellen. Damit distanzierten sie sich von einem Verständnis von »Interkulturalität« und »Interkultureller Bildung«, welches vorrangig die Bildung der ›Anderen‹ im Sinn hat (vgl. Mörsch 2019 und Kapitel 2).[1]

Wir wurden im Juni 2019 für eine wissenschaftliche Begleitung des Projekts angefragt. In dieser Phase des Projekts (2019/2020) wurde eine Reihe von Fortbildungen zur interkulturellen Filmbildung durchgeführt (vgl. Kapitel 3). Gemeinsam mit der Projektgruppe – den Projektinitiator*innen sowie weiteren Projektteilnehmenden – entwickelten wir die Forschungsfrage: »(Wie) ›Gelingt‹ es der Projektgruppe, eine interkulturelle Haltung in der Filmbildung am Beispiel der Fortbildungen zu etablieren?«. Ausgehend von dieser Frage wurden fortan die Arbeits- und Aushandlungsprozesse der Projektgruppe in den Blick genommen, wobei im Rahmen der Aktionsforschung (vgl. Settele 2012, Mörsch 2016), welche wir als methodisches Vorgehen für die Begleitforschung wählten, die Teilnehmenden der Projektgruppe selbst zu Ko-Forschenden wurden (vgl. Kapitel 4 und 5). Im vorliegenden Forschungsbericht beschreiben wir, wie im Laufe des Projekts eine interkulturelle Haltung in der Filmbildung von der Projektgruppe herausgearbeitet und geübt wurde – und, welche Probleme dabei aufkamen.

In der Analyse und Interpretation der Forschungsdaten konnten wir die beobachteten Arbeits- und Aushandlungsprozesse zu vier Spannungsfeldern interkultureller Filmbildung verdichten: Der Begriff der »Interkultur«, die Filmauswahl, die Vermittlungsmethoden sowie die diversitätsorientierte Organisationsentwicklung (vgl. Kapitel 6). Diese Spannungsfelder verweisen auf grundlegende Frage- und Problemstellungen, die im Projektverlauf auftraten und nicht aufzulösen waren – und die vermutlich so oder ähnlich auch in anderen Situationen zutage treten, wenn Filmvermittler*innen sowie Filminstitutionen ihre Arbeit interkulturell und diskriminierungskritisch ausrichten. Die Spannungsfelder können sich als hilfreich erweisen, um eine stetige Selbstreflexion und Neuverortung gemäß dem Haltungsbegriff (vgl. Kurbacher 2017) zu praktizieren, stellen aber keine universell übertragbaren Anleitungen für das Üben einer interkulturellen Haltung in der Filmbildung dar (vgl. Kapitel 2.3.2). Zudem bieten sie Impulse, die über die spezifischen Bedingungen des Projekts hinausweisen und von denen sich Handlungsempfehlungen für zukünftige Vermittlungsangebote im Sinne einer diskriminierungskritischen, interkulturellen Filmbildung ableiten lassen (vgl. Kapitel 8).

Positionierung – »Wir«

Wir schreiben an vielen Stellen in der ersten Person Plural und zeigen so unsere Involvierung als Forschende im Rahmen der Aktionsforschung in das Projekt Interkulturelle Filmbildung an. Im Sinne feministischer Wissenschaftstheorie versuchen wir im vorliegenden Bericht zudem, die Partialität und Situiertheit unserer involvierten Perspektive zu betonen (vgl. Haraway 1996). Wir schreiben als weiß[2] positionierte, nicht-behinderte Akademiker*innen, die mit klassistischen, heterosexistischen und migrantischen Erfahrungen sozialisiert sind. Die Begleitforschung ermöglichte uns, unsere eigenen Positionierungen sowie unsere Forschungsverständnisse zu reflektieren, ohne dass diese Reflexion abgeschlossen ist. Denn weiterhin – und trotz vieler Gespräche, Lektüren und Bemühungen – durchdringen weiße Flecken auch diesen Text.

Durch die Methodik unserer Begleitforschung sind wir also in das Projektgeschehen verwickelt und formen es mit unseren Perspektiven mit. Dennoch versuchen wir in großen Teilen des vorliegenden Berichts, einen beschreibenden Gestus beizubehalten, um den Ko-Forschenden Raum zu geben und auch ihre verschiedenen Perspektiven sichtbar zu machen. Es geht uns daher um ein detailliertes Nachzeichnen des Ko-Forschungsprozesses, das der diskursiven Arbeit am Konzept einer interkulturellen Filmbildung folgt – womit auch das Herausstellen von Problemen, Widersprüchen und Konflikten des gemeinsamen Arbeitsprozesses eingeschlossen wird.

Adressat*innen des Forschungsberichts

Der Forschungsbericht richtet sich an Menschen, die an den Schnittstellen von Film und Bildung arbeiten, zuallererst an Filmvermittler*innen und an Projektverantwortliche, die kommende Projekte im kulturellen Handlungsfeld der Filmbildung umsetzen möchten, sowie an Wissenschaftler*innen. Mit Carmen Mörsch gehen wir davon aus, dass die meisten in diesem Feld Arbeitenden weiterhin mehrheitlich als weiß, ›akademisch gebildet‹ und dementsprechend mit symbolischem Kapitel ausgestattet bezeichnet werden können (Mörsch 2022). Auch die Zusammensetzung der Projektgruppe entspricht diesen Zuordnungen. Daher fokussiert der Bericht die Perspektive der Kritischen Weißseinsforschung und nimmt die Arbeit weißer Institutionen im Feld der Filmbildung in den Blick.

Begriffsarbeit

Neben der Planung und Durchführung von Fortbildungen bestand die Arbeit der Projektgruppe wesentlich in der Überarbeitung des Konzepts Interkulturelle Filmbildung. Es handelte sich daher in erster Linie um eine diskursive Arbeit an Begriffen und an der Beschreibung filmvermittelnder Praktiken. Der Forschungsbericht zeichnet auf Basis von teilnehmenden Beobachtungen, Feldnotizen, Protokollen sowie Transkripten von Gesprächen und Interviews die Arbeitsweise der Projektgruppe nach und greift dabei die von den Projektteilnehmenden verwendeten Begriffe, Argumentations- und Sprechweisen auf. Diese markieren wir zum Teil durch den Einsatz von einfachen Anführungszeichen. Es ist unser dezidiertes Anliegen, in der Rekonstruktion der Gespräche und Aushandlungen der Projektbeteiligten die impliziten Bedeutungen, die konflikthaften sowie produktiven Missverständnisse herauszuarbeiten, um darauf aufbauend Spannungsfelder einer interkulturellen Filmbildung zu entwickeln. Dieses Forschungsdesign führt dazu, dass in die Ergebnisdarstellung auch problematische und ›unscharfe‹ Begriffe aus dem Arbeitsprozess der Projektgruppe zunächst übernommen werden, um sie dann bei der Beschreibung der genannten Spannungsfelder mit theoretischen Referenzen zu rahmen und kritisch zu diskutieren.

Das Konzept Interkulturelle Filmbildung

Das Konzept Interkulturelle Filmbildung, welches im Auftrag der Projektinitiator*innen von Alejandro Bachmann verfasst wurde, brachte den zentralen Begriff der »interkulturellen Haltung« in das Projekt ein und war eine wichtige Grundlage für die durchgeführten Fortbildungen und somit auch für den gemeinsamen Forschungsprozess. Aufgrund von sich im Laufe des Projekts verstärkenden Differenzen in der Projektgruppe, konnte das Konzept aber nicht publiziert werden (vgl. Kapitel 3). Aus diesem Grund mussten wir beim Verfassen des Forschungsberichts einen Weg finden, um die zentralen Thesen des Konzepts nachzuzeichnen, um deren Entwicklung im Arbeitsprozess, in der Umsetzung und Auswertung der Fortbildungen nachvollziehen zu können. Diese Thesen finden sich zu Beginn des zweiten Kapitels zusammen mit den theoretischen Perspektiven auf »interkulturelle Filmbildung«, die für die Begleitforschung leitend waren.

Dank

Schließlich möchten wir denjenigen von Herzen danken, die das Zustandekommen dieses Berichts möglich gemacht haben: Größter Dank geht an alle Mitwirkenden im Projekt Interkulturelle Filmbildung, für die immer respektvolle, wertschätzende und offene Zusammenarbeit, die uns viele Einsichten in das spannungsreiche Feld interkultureller Filmbildung beschert hat.

Für die kritische Lektüre des Forschungsberichts danken wir: Alejandro Bachmann, Jules Bieber, Maya Connors, Cristina Diz Muñoz, Stefan Huber, Michael Jahn, Christine Kopf, Aurora Rodonò, Sebastian Rosenow, Elena Solte, Noëmie Stähli und Katrin Willmann.

Ebenfalls großer Dank geht an Marie Schwarz für das sorgsame Lektorat und Korrektorat des Manuskripts. Camilla Ridha danken wir für ihren großartigen grafischen Entwurf, die Illustrationen, das gelungene Layout des Berichts und die umsichtigen Absprachen. Wir möchten zudem dem DFF und Sabine Imhoff für die großzügige Bereitstellung der Fotografien danken, die in den Illustrationen dieses Berichts Verwendung fanden.

 

Anmerkungen

[1] »Interkulturalität« ist ein vieldeutiger Begriff, der nicht einfach zu fassen ist und dessen unterschiedliche und teils auch widersprüchliche Bedeutungen im Laufe des Forschungsberichts aufgefaltet werden. Die Position von Mark Terkessidis diente der Projektgruppe von Beginn an als Folie, um sich diesen Begriff anzueignen. »Interkultur« wird dabei nicht als ein Zusammentreffen unterschiedlicher, voneinander abgegrenzter ethnisierter ›Kulturen‹ verstanden, sondern als eine »Kultur-im-Zwischen«, die unterschiedliche Differenzen in den Blick nimmt und sich nicht auf ethnisierende Zuschreibungen reduzieren lässt (Terkessidis 2010).

[2] Wir setzen den Begriff weiß kursiv, um darauf aufmerksam zu machen, dass er keine ›Hautfarbe‹ beschreibt, sondern eine gesellschaftspolitische Norm und Machtposition. Weißsein ist an Privilegien gebunden, die in der Kritischen Weißseinsforschung untersucht werden (vgl. Eggers, Kilomba, Piesche & Arndt 2017).

Katja Lell/ Manuel Zahn (2024): Spannungsfelder interkultureller Filmbildung, Schriftenreihe Kunst Medien Bildung, Band 15, München: kopaed.