„It is the copying that originates“ (Clifford Geertz 1986: 380).
Im Rahmen einer Feldforschung habe ich die Kölner Stämme, einen Zusammenschluss von rund 80 Vereinen aus Köln und Umgebung, deren Mitglieder die Lebenswelten ihnen zeitlich und räumlich ferner Kulturen nachahmend darstellen, über mehrere Jahre mit der Kamera begleitet. So entstand ein umfangreiches audiovisuelles Archiv aus von mir erstellten Videos, Fotografien und Feldnotizen sowie Referenzen und Selbstdarstellungen der Akteur*innen, das die Basis für einen Kinodokumentarfilm[1] sowie eine schriftliche Ethnographie[2] lieferte, deren Aufbau an der Dramaturgie des Films orientiert. Für die textliche Ausarbeitung wurde der 90-minütige Film in 40 Szenen unterteilt, die jeweils durch einen analytischen Bildteil ergänzt werden.
Die hier veröffentliche Bildstrecke ist eine Kurzversion der Szene 13 Die Aura der Reproduktion. Zur lokalen Original-Kopie-Debatte in der die Praktiken der Medienaneignung jener Akteur*innen genauer in den Blick genommen werden, welche die Kultur und Geschichte der Mongolen zur Zeit Dschingis Khans reenacten. Wie die meisten Gruppen der Kölner Stämme haben auch sie ihren Ursprung im Kölner Karneval und der Grandprix-Hit Dschingis Khan soll Anfang der 1980er den Anstoß für die ersten ,mongolischen’ Verkleidungen im Karneval gegeben haben. Im Laufe der Jahre haben einzelne Akteur*innen ein ernsthafteres Interesse für ihre Vorbilder entwickelt und begonnen, für ihre Reenactments auf die unterschiedlichsten medialen Repräsentationen zurückzugreifen, von Historienfilmen über Reisebeschreibungen, Fernsehdokumentationen und populärwissenschaftliche Literatur bis zu ethnographischen Texten und historischen Quellen. Die wechselseitige Durchdringung von medialen Repräsentationen und körperlichen Aneignungen im Reenactment lässt sich als einen Remediationsprozess beschreiben, bei dem der Körper als Medium fungiert durch das bildliche, textliche und auditive Inskriptionen in materielle Artefakte und körperliche Handlungen im Raum übersetzt werden. Diese Übersetzungs- und Verknüpfungsleistungen unterliegen einem ständigen Wandel; neue mediale Darstellungen bringen im Reenactment neue Medienpraktiken und mediale Ausformungen hervor, mit denen sich räumlich und zeitlich ferne Welten in immer neuen Konstellationen zusammenfügen lassen.
[1] Die Stämme von Köln, D HD, 90 Min. Regie: Anja Dreschke. Köln: Realfiction (DVD).
[2]Dreschke, Kölner Stämme. Medienethnographie einer mimetischen Kultur, in Vorbereitung.
Abb. 1: Mitglied der 1. Kölner Mongolenhorde zeigt Vorlage für Gewandung auf seinem Smartphone, 2015.
Abb. 2: Cover des Grand-Prix-Hits Dschingis Khan der gleichnamigen Band, 1979.
Abb. 3: Filmplakat The Mongols, I, F 1961, Regie: André de Toth, Leoplodo Savona.
Abb. 4: Filmplakat Dschingis Khan, GB, D, YU, USA, 1965, Regie: Henry Levin.
Abb. 5: DVD-Cover Im Reich des Kublai Khan, I, F, AF, EG, YU 1965, Regie: Denys de la Patellière, Raoul Lévy.
Abb. 6: Filmprogramm Die goldene Jurte, DDR 1961, R: Rawsha Dorshpalam, Gottfried Kolditz.
Abb. 7: Filmplakat Mongol, RU, D, KZ 2007, Regie: Sergei Bodrov.
Abb. 8: Filmprogramm Dschingis Khan, GB, D, YUG, USA, 1965, R: Henry Levin.
Abb. 9: Jurte im Aufbau, Sommerlager der 1. Kölner Mongolenhorde, 2007.
Abb. 10: Mongolische Trachten, in Yadamsuren, Urjingiin 2004: National Dress of Mongolia, Ulan Baatar.
Abb. 11: Burjatische Trachten, Fotografie von 1890. In: Heissig, Walther/Müller, Claudius C. (Hrsg.) 1989: Die Mongolen. Innsbruck: Pingui, S. 116.
Abb. 12: Tanzende und musizierende Kalmücken in Jurte. Pallas P.S. (1776): Sammlungen historischer Nachrichten über die mongolischen Völkerschaften, Erster Theil, St. Petersburg, S. XXII, Tafel 2. In: Heissig, Walther/Müller, Claudius C. (Hrsg.) 1989: Die Mongolen. Innsbruck: Pingui, S. 127.
Abb. 13: Mongole Costums, Postkarten.
Abb. 14: Timen Kublai und Chabi in ihrer Jurte, Sommerlager der 1. Kölner Mongolenhorde, 2012.
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