„[Die Moderne ist eine Heterotopie, ein] Zeitalter der Gleichzeitigkeit, des Aneinanderreihens, des Nahen und Fernen, des Nebeneinander und des Zerstreuten“ Michel Foucault (2005: 931).
Das werbehistorische Phänomen des Plakats, das sich ab den 1880er-Jahren von einem typographischen zu einem medialen Träger mit überwiegend bildhaften Anteilen durch die lithographisch-technischen Erfindungen z.B. von Jules Chéret (1836-1932) veränderte (vgl. Buhrs 2011), steht in diesem durch das Forschungskolleg AEiT.lab geförderten Projekt im Zentrum der Überlegungen. Die Ausprägungen des Werbeplakates, das sich ebenfalls mit dieser ikonischen Entwicklung auch immer weiter als Künstler*innenplakat etablierte, flankiert die in meinem Projekt angestrebte Betrachtung des bisher aus kunsthistorischer und medienwissenschaftlicher Perspektive nur marginal betrachteten Typus des Zaubererplakates.
Das Forschungskolleg AEiT.lab, als ein dezidiert interdisziplinär verstandener Werkstattraum für Studierende der Kunst- und Medienforschung sowie der Kunstpädagogik, ermöglichte mir, mein damals noch in den Anfängen begriffenes Projekt über die Zaubererplakate des 19. Jahrhunderts vor Kommiliton*innen und Dozierenden aus einem breiten Fächerspektrum zu präsentieren und von dem gemeinsamen fachlichen Austausch zu profitieren. Der genuin interdisziplinäre und auch pädagogisch geprägte Ansatz des AEiT sowie die Vor- und Nachbereitung meines Vortrages sorgten für eine neue Ausrichtung des Projektes, das ich heute nach abgeschlossenem Masterstudium der Medienkulturwissenschaft und der Kunstgeschichte als mein Dissertationsprojekt an der Universität zu Köln fortführe.
Die symptomatischen geistesgeschichtlichen Einflüsse des 19. Jahrhunderts aus dem kulturellen, technischen sowie ikonographischen Repertoire der Grafik und der Malerei spiegelten sich in ihrer Motivik nicht nur in den Bühnenauftritten der Zauberer um 1900 wieder, sondern verstanden sich gleichsam als Ausdrucksmittel ihrer Werbung.
Bevor jedoch diese Plakate in thematisch gegliederten Kapiteln untersucht werden können, soll den Überlegungen und Forschungsergebnissen eine im Fachdiskurs bisher nicht vorgenommene Typologisierung vorangestellt werden. Hierfür soll die zeitliche Einordnung des Beginns der modernen Bühnenmagie ab den 1860er-Jahren als Ausgangspunkt sowie das Abnehmen der öffentlichen Auftritte auf den großen Bühnen Europas und Amerikas in den 1930er-Jahren als Endpunkt der Materialeinordnung gesetzt (vgl. Steinmeyer 2003). Durch die zu treffende Kategorisierung der Zaubererplakate, die sich der Fülle an ungesichtetem Material, beispielsweise in der Library of Congress in Washington D.C. mit ca. 150 Exemplaren und auch der Sammlung des American Museum of Magic mit ca. 100 Plakaten, annehmen wird, kann die chronologische, räumliche sowie auch thematische Verortung der verschiedenen Sujets mittels der illustrativen Ausprägungen auf den Zaubererplakaten nach der folgenden Vorannahme bestimmt werden:
Nach dieser erfolgten Bestandsaufnahme des zu untersuchenden Materials werden einige paradigmatische Diskurse aus dieser erarbeiteten Kategorisierung exemplarisch herausgegriffen und schließlich hinsichtlich ihrer Überschneidungen unter dem Aspekt des ‚Fremden’ gegenüber der eigenen Identität im sozialgeschichtlichen Milieu um 1900 zusammengeführt. Die von Edward W. Said begründete Debatte des Orientalismus, die das Verlangen der Gesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nach ‚Exotischem’ und dem Bestaunen des ‚Fremden’ beschreibt (vgl. Bernd 2013; Lemaire 2010), das durch die kolonialistischen Bestrebungen der europäischen Großmächte zum einen vermeintlich in greifbare Nähe gerückt wurde, zum anderen aber auch über Bilder, Berichte und Handelsobjekte in den europäischen und amerikanischen Gesellschaftsschichten Verbreitung fand, bildet den Ausgangspunkt der folgenden narratologischen und ikonografischen Analysen. Die bei Said herausgearbeitete Faszination des ‚Anderen’ wird weitergehend durch den Aspekt der Zunahme des Interesses an technischer Raffinesse und an maschinellen Neuerungen ergänzt. Die sensationshafte Präsentation technischer Geräte und Maschinen in den internationalen Zaubershows wurde jedoch nicht nur zur immer fortschreitenden Entwicklung der ‚Zaubertricks’ auf der Bühne verwendet, sondern fand ebenfalls in der Plakatwerbung der Zauberer ihre facettenreiche Verbildlichung (Abb. 1). Hieran anschließend ist ebenfalls die medienhistorische Verflechtung der Inszenierung der Zauberei mit dem neuen Medium des Films anzusprechen, die sich insbesondere in den Arbeiten des frühen Filmemachers Georges Méliès (1861-1938) als Verbindung zwischen Kinematographie und Bühnenmagie auf intermedialer Ebene wiederfand und sich gleichsam für die Visualität der Plakate als ein Vorbild der Sujet-Präsentation identifizieren lässt.
Neben diesen beiden Aspekten, die ihren jeweiligen Anteil an der ambivalenten Verbindung von Ehrfurcht, Faszination sowie Angst vor dem ‚Anderen’ und dem Technischen stets mit einschlossen (vgl. Holmes 2009) wird der spezifische kulturelle Bezug der Plakate zu ihrem sozial- und kunsthistorischen Milieu schließlich von der verwendeten tradierten Ikonographie unterstrichen. Die in der typologischen Vorannahme bereits formulierte Kategorie des Aufgreifens kunsthistorisch überlieferter Sujets und Kompositionen bildete neben Einzeldarstellungen, beispielsweise des ‚Faustischen Pakts’ in der Studierstube, eine vielgestaltige Vermischung weiterer, aus dem Okkultismus und dem um 1900 erstarkenden ‚Neuen Spiritismus’ stammender visueller Elemente ab. Die Folie für diese bewusste Inszenierung der Bühnenzauberei als eine dem Okkultismus und seinen diversen Segmenten nahestehende Kunst ebenfalls als ambivalent zu bezeichnen (vgl. Henderson 1995; Pytlik 2005). So wurden die Salonauftritte der Anhänger des Okkulten und des Spiritismus, die vorgaben Geister zu beschwören und übernatürliche Ereignisse hervorzurufen, von den Bühnenzauberern demonstrativ kritisch beurteilt und oftmals durch gleichartige Tricktechnik öffentlich als Betrügereien entlarvt. Es sei an Sir Arthur Conan Doyles (1859-1930) und Harry Houdinis (1874-1926) Auseinandersetzung zum Wahrheitsgehalt der Geisterfotografie und der Bannung von ‚ektoplasmatischen Erscheinungen’ mittels einer Kamera erinnert (vgl. Stiegler 2014). Diese Debatte steigerte sich schließlich in ihrer Heftigkeit bis zu der berühmten ‚Geisterfotografie’ Houdinis, auf der er durch fototechnische Manipulation eine Fülle an ‚Geistern’ um sein Porträt arrangierte und somit der Diskussion um die Geisterfotografie einen entscheidenden argumentativen Beweis für die Fälschung der Geisterabbilder lieferte.
Diese Manipulation als Strategie der Bühnenzauberei fand sich auch in den Gender-Aspekten der ikonographischen Tradition der Zirkus- und Varieté-Werbung wieder. Die Assistentin, – ebenso wie das ‚Exotische’ ein neuer technischer Apparat oder auch ‚unheimliche’ Sujets –, trat gleichsam als werbendes Element auf den Plakaten in Erscheinung (vgl. Diamond 2003).
Hierbei wurde die Figur der Assistentin in diversen inferioren Positionen während der Aufführungen inszeniert und manipuliert, wobei sich die dominierende Rolle des Zauberers gegenüber seiner Assistentin zu einer weiteren visuellen Attraktion herausbildete: Die Assistentin wurde im performativen Akt der Tricks erstochen, erschossen, zersägt, levitiert, oder fungierte als blindes Medium des Zauberers. Diese Einwirkungen und vielfältigen Penetrationen des weiblichen Körpers, die simuliert im Trick zu sehen waren, sind gleichsam plakativ in Szene gesetzt und bedienten sich der Faszination der „Women as Image“ (vgl. Solomon-Godeau 1996). Es traten jedoch vereinzelt auch Frauen, meistens an der Seite ihres Mannes, als Magierinnen auf den Bühnen der USA und in Europa auf. Neben diesen Bühnenmagierinnen, die ihre Ehemänner während der Shows durch selbst vorgeführte Tricks unterstützen, gab es auch einige wenige Beispiele, die ihre eigenen unabhängigen Trick-Präsentationen und individuel- len Performances auf der Bühne – und natürlich auch auf dem werbenden Plakat – inszenierten. Adelaide Herrmanns Solokarriere (1853-1932) steht hierbei paradigmatisch für eine neue Verortung der Frau im komplexen männlichen Repräsentationssystem der Bühnenmagie, indem sie auch typisch ‚männliche‘ Tricks wie das Fangen einer Gewehrkugel oder das Töten von Assistentinnen im Trick vorführte. Diese Muster der Bildnarration auf den Plakaten, die sich im Diskursfeld der Bühnenmagie um 1900 bewegten, sind hierbei nicht nur Indikatoren der Sozial- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts, sondern bieten darüber hinaus auch einen dezidierten Einblick in die Inszenierung der ‚New Women’, wie sie Tina O’Toole für den diskursiven Nexus aus politischer Ambition, literarisch-künstlerischer Expression und Gender-Experiment beschreibt (vgl. O’Toole 2016).
Es zeigt sich demnach eine zu untersuchende Verschränkung der innerhalb der Typologie zu treffenden Sujet-Kategorisierung hinsichtlich der Attraktion des Publikums über die Präsentation von ‚Neuem’, ‚Fremdem’, oder bedrohlich aggressiven Bildinhalten. Die oben bereits angesprochene Ambivalenz, die sich beispielsweise bei Houdini zeigte, konterkariert jedoch diese Visualität der Zauberer auf ihren Plakaten. Mit dem Beginn des gewählten Untersuchungszeittraums der Zaubererplakate ab den 1860er-Jahren bestimmten Aspekte der säkularen Magie, des „Modern Enchantments“ (vgl. During 2002), die Bühnen-inszenierung der Zauberei. Es manifestierte sich ein Spagat zwischen einer mise-en-scène des Glamourösen, der Werbung sowie dem aufgeklärten Duktus der säkularen Magie, mit dem der moderne Bühnenzauberer vor seinem Publikum im Abendanzug in großen Theatern auf beiden Seiten des Atlantiks auftrat.
Respektive dieser mehrschichtigen Insbildsetzung der Inszenierung einer transitorischen und multinationalen ‚Modern Magic’ im Plakat, die sich tradiert, okkult und mystisch in der Werbung darstellte, sich jedoch in ihrem Anspruch säkular und rational verstand, verkörperte diese moderne Magie eine bereits vielfach formulierte Beobachtung über die Moderne. Bis ins 21. Jahrhundert bewegten sich Kunst, Literatur und Alltag in einem ständigen Netz der spirituellen, religiösen und auch esoterischen Interessen und alternativen Erklärungen (vgl. von Stuckrad 2004; Schmid Noerr 2015). In diesem Geflecht aus Faszination, Flucht vor der eigenen Lebenswirklichkeit oder auch in der Ambivalenz zwischen dem Sehnen nach und der Skepsis vor dem ‚Anderen’ bewegten sich auch die Bühnenzauberer um 1900. Sie umgaben sich gleichzeitig illustrativ mit dem mystischen und okkulten Zauber der Vergangenheit und den Neuheiten der zeitgenössischen Gegenwart. Deren Potential wurde in ihrem eigenen rationalen Gebrauch von Tricks auf der Bühne und in aufsehenerregenden öffentlichen Diskussionen sowie plakativen Werbekampagnen in kontroverser Antithetik zu nutzen gewusst und ihre eigene künstlerische Identität gerade durch diese hervorscheinende Ambiguität im Medium des Plakats immer wieder neu verhandelt.
Die oben skizzierten Inhalte konnten sich durch die Gespräche und Vorträge im Rahmen des Forschungskolleg AEiT.lab noch einmal aus einem neuen Blickwinkel heraus entfalten. Die buchstäbliche Migration des Topos des ‚Anderen’ in mein Projekt, sowie die dezidierte Ausrichtung der ikonographischen Betrachtungen auf die Rezeption des ‚Fremden’ im 19. Jahrhundert (Krug 2001), scheinen nicht nur den politischen und, nach Foucault, heterotopischen Herausforderungen unserer zeitgenössischen Diskurse entsprungen (Foucault 2005), sondern wurden gerade durch die Teilnahme am AEiT-Kolleg nachhaltig in meine Überlegungen über die Zauberei und ihre Werbung einbezogen. Künste verstehen sich immer in einem gesellschaftlichen Diskursfeld, das sich heute genauso wie im 19. Jahrhundert mit den Aspekten der Migration, Herrschaft und politischen Positionierung gegenüber dem ‚Fremden’ auseinandersetzen muss. Diese politischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts betreffen jedoch ebenso das gemeinsame Lernen und den fachlichen Austausch in der pädagogisch kreativen universitären Lehre. Das Forschungskolleg des AEiT stellte sich dieser Aufgabe und gestaltete einen interdisziplinären Diskussionsraum für Kunst, Ästhetik und Politik und stand somit meinen Kommiliton*innen und mir bei unseren Projekten zukunftweisend zur Seite.
Adam, Bernd (2013): Saids Orientalismus und die Historiographie der Moderne. Der „ewige Orient“ als Konstrukt westlicher Geschichtsschreibung. Hamburg: Diplomica Verlag.
Anonym (2014): Gesichter von Toten auf einer Photoplatte. Sir A. Conan Doyles erstaunlicher zweiter Vortrag. [1929]. In: Stiegler, Bernd (Hrsg.): Arthur Conan Doyle. Spurensicherung. Schriften zur Photographie. Paderborn: Wilhelm Fink, S. 223-226.
Buhrs, Michael (Hrsg.) (2011): Jules Chéret. Pionier der Plakatkunst. Pioneer of Poster Art. Ausst. Kat. Villa Stuck, Stuttgart: Arnoldsche Art Publishers.
Diamond, Michael (2003): Victorian Sensation. Or the Spectacular, the Shocking and the Scandalous in Nineteenth-Century Britain. London: Anthem Press.
During, Simon (2002): Modern Enchantments. Harvard: Harvard University Press.
Foucault, Michel (2005): Von anderen Räumen. In: Ders. (Hrsg.): Dits et Écrits. Schriften in vier Bänden, hg. v. Defert, Daniel/Ewald, François, Bd. IV. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 931-942.
Henderson, Linda D. (1995): Die moderne Kunst und das Unsichtbare: Die verborgenen Wellen und Dimensionen des Okkultismus und der Wissenschaften. In: Loers, Veit (Hrsg.): Okkultismus und Avantgarde. Von Munch bis Mondrian 1900-1915. Frankfurt a. M.: Edition Tertium.
Holmes, Richard (2009): The Age of Wonder. How the Romantic Generation Discovered the Beauty and Terror of Science. London: Harper Press.
Krug, Christian (2001): Das Eigene im Fremden. Orientalismen im englischen Melodrama, 1790-1840. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier.
Lemaire, Gérard-Georges (2010): Orientalismus. Das Bild des Morgenlandes in der Malerei. Potsdam: h.f. ullmann Publishing.
Pytlik, Priska (2005): Okkultismus und Moderne. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
Schmid Noerr, Gunzelin (2015): Aberglaube in der entzauberten Welt. In: Wolf, Merlin (Hrsg.): Zur Kritik der irrationalen Weltanschauung. Religion, Esoterik, Verschwörungstheorie, Antisemitismus. Aschaffenburg: Alibri, S. 49-70.
Solomon-Godeau, Abigail (1996): The Other Side of Venus. The Visual Economy of Feminine Display. In: de Grazia, Victoria/Furlough, Ellen (Hrsg.): The Sex of Things. Gender and Consumption in Historical Perspective. Berkely/Los Angeles/London: University of California Press, S. 113-150.
Steinmeyer, Jim (2003): Hiding the Elephant. How Magicians invented the Impossible. London: Da Capo Press.
Stuckrad, Kocku von (2014): Was ist Esoterik? Kleine Geschichte des geheimen Wissens. München: C. H. Beck.
O’Toole, Tina (2016): The (Irish) New Woman. Political, literary, and sexual experiments. In: Laird, Holly A. (Hrsg.): The History of British Women’s Writing 1880-1920. London/ Heidelberg/New York: palgrave macmillan, S. 25-34.
Abb. 1: Anonym: George. The Supreme Master of Magic. Triumphant American Tour. Lithographie, 205,7 x 256,5 cm, Otis Lithograph Co., Cleveland, 1910.
Abb. 2: Anonym: Adelaide Herrmann and Company. Lithographie, 97,3 x 65,9 cm, The Metropolitan Printing Co., New York, 1900.
Abb. 3: Anonym: Thurston The Great Magician. Arrow Shot Through a Girls Body. Lithographie, 38 x 80 cm, The Strobridge Litho. Co., Cincinnati, 1910.
Der Text wurde durch zwei Fachgutachter/innen doppelblind hinsichtlich wissenschaftlicher und publizistischer Güte eingeschätzt und ggf. mit Hinweisen zu Überarbeitungsvorschlägen an die/den Autor/in zur Veröffentlichung empfohlen.