FabLabs und Makerspaces. Übungsräume für postdigitale kollaborative Kunstpädagogik

Das Maker-Phänomen

Making hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem gesellschaftlichen Phänomen entwickelt. Maker oder (Selbst-)Macher*innen nutzen dabei digital angesteuerte Maschinen und Technologien, um selbst entwickelte Werkstücke bzw. Produkte herzustellen (vgl. Knaus/ Schmidt 2020: 3; Schön et al. 2016: 8). Orte, an denen Making stattfinden kann, wie Fabrication Laboratories (kurz: FabLabs), Hackerspaces und Makerspaces, unterscheiden sich in Organisationsform, Philosophie und Nutzungsprofilen[1], werden jedoch zur Vereinfachung in diesem Beitrag synonym verwendet. Gemeinsam ist diesen Orten, dass Menschen dort gemeinschaftlich arbeiten, lernen und mit digital angesteuerten Maschinen für sich selbst relevant erscheinende materielle oder virtuelle Produkte erschaffen können. Durch die Verbindung von kreativen Entwurfsprozessen mit technischem Wissen über Hard- und Software sowie einem spielerischen, experimentellen und informellen Lernsetting wurde das Feld des Making in den letzten Jahren zunehmend auch für den Bildungsdiskurs im Allgemeinen und die Kunstpädagogik im Besonderen interessant (vgl. Krebber 2020: 170; Dicke 2023: 198). In diesem Beitrag wollen wir daher die Relevanz des Making für die informelle und formale Bildung erläutern, indem wir seiner geschichtlichen Entwicklung seit den 1970er Jahren nachgehen und anhand von Praxisbeispielen universitärer und schulischer Lernsettings analysieren, inwieweit kollaborative Makingprozesse die Kunstpädagogik bereichern.

Geschichte des Making

In den Anfängen der Digitalisierung definierte der Mathematiker, Psychologe und Pädagoge Seymour Papert Lernen als das aktive Sich-zu-eigen-Machen von Wissen: „Nimm das Neue und […] mach etwas Neues damit, spiel damit, bau damit.“ (Papert 1985 [1980]: 152) Der Informatikdidaktiker und Software-Entwickler Gary S. Stager bezeichnet Paperts Buch „Twenty Things to Do with a Computer“ (1971) als die Geburt des modernen Maker-Movements (Stager 2016: 308). Papert war Mitbegründer des MIT Media Lab am Massachusetts Institute of Technology, welches sich 1985 gründete, um die Erforschung, Weiterentwicklung und den kreativen Umgang mit digitaler Technologie um neuartige Ausdrucks- und Kommunikationsformen zu erweitern. Als Begründer des Konstruktionismus (nicht zu verwechseln mit dem Konstruktivismus von Jean Piaget, auf dem er allerdings aufbaut) vertritt Papert eine Lerntheorie, die davon ausgeht, dass die Bedeutung des aktiven Handelns für den Lernprozess von zentraler Relevanz ist. Besonders das Herstellen und Konstruieren von Artefakten spielt hierbei eine Rolle, bei dem Wissen durch die Lernenden selbst aufgebaut, konstruiert und rekonstruiert werden muss und nicht einfach vermittelt werden kann. Auch Logo, die erste visuelle Programmiersprache für Kinder, wurde von ihm entwickelt, denn in „Papert’s eyes, the computer was an object to think with“ (ebd.) und das für alle Altersstufen.

Die digitale Fabrikation im persönlichen Maßstab nahm ihren Anfang unter anderem 1998 mit dem Seminar „How to make (almost) everything“ des Physikers und Informatikers Neil Gershenfeld, der noch heute (2024) am MIT tätig ist. Ein FabLab sollte nach der Idee von Gershenfeld alles enthalten, um 2D und 3D scannen und gestalten sowie subtraktiv (schneiden, fräsen, schleifen etc.) und additiv (3D-Druck, sticken etc.) produzieren zu können. Zusätzlich sollten elektronische Schaltkreise entworfen und erstellt werden können. Gershenfeld beschreibt in „Fab: The Coming Revolution on Your Desktop – from Personal Computers to Personal Fabrication“ (2007) seine Überraschung über die Art und Weise, wie die Studierenden in seinem Seminar lernten: Sie eigneten sich die Technik an, die sie im Prozess gerade benötigten, beispielsweise die Nutzung des Wasserstrahlschneiders[2], und erklärten dann den anderen begeistert, wie dieser funktioniert. Aus der Beobachtung seiner Studierenden im FabLab schloss Gershefeld, dass sie eine neue, physische Art der Literacy erfunden hatten und praktizierten: „These students were correcting a historical error, using millions of dollars worth of machinery for technological expression every bit as eloquent as a sonnet or a painting“ (ebd.: 7).

Im Jahr 2000 wurden mit Unterstützung des MIT die ersten FabLabs außerhalb der USA in Indien, Costa Rica, Norwegen und Boston gegründet. Mittlerweile gibt es weltweit mehr als 2.000 FabLabs in über 120 Ländern (Fab Foundation o. J.; Fab City Research Lab 2014) und ihre Zahl nimmt stetig zu. Auch Institutionen wie Hochschulen und Bibliotheken richten inzwischen FabLabs ein und können dabei i. d. R. auf öffentliche Mittel zurückgreifen und dadurch stark serviceorientiert die Vermittlung von Wissen über Anwendungsmöglichkeiten und Nutzung der jeweiligen Maschinen an Studierende sowie ein breites Publikum ins Zentrum stellen.

Die aus Privatinitiativen an der Basis entstandene Bewegung – im Englischen grassroots movement genannt – besteht aus Gruppen, die sich als Vereine organisieren und zusammen Hacker- oder Makerspaces gründen. Sie statten angemietete Räume mit Geräten aus, um zusammen zu experimentieren, zu basteln, zu reparieren und zu kreieren. Die Finanzierung läuft meist über Mitgliedsbeiträge und Spenden oder Kooperationen mit lokalen Unternehmen.

Mit der Vision, bis zum Jahr 2054 so gut wie alle jeweils notwendigen Lebensmittel, Produkte und Energien lokal zu produzieren, haben sich 41 Städte dem Erdball-umspannenden Fab-City-Netzwerk angeschlossen (vgl. Fab City Foundation o. J.). Dabei sollen möglichst nur noch Daten, keine Produkte und kaum Rohstoffe um die Erde geschickt werden, um so durch Recycling der Grundstoffe vor Ort möglichst ressourcenschonend und nachhaltig zu wirtschaften. Die Fab Foundation, die das Fab-City-Projekt unterstützt, hat sich nicht nur der globalen Verbesserung der Lebensumstände“ (Bettinger et al. 2020a: 2) verschrieben, sondern sich grundlegend zum Ziel gesetzt, niederschwellige Zugänge zu Werkzeugen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie finanziellen Mitteln zu schaffen: „to educate, innovate and invent using technology and digital fabrication” (Fab Foundation o. J.).

 

Making als Zukunftskompetenz

Innovations- und Technikkompetenz ebenso wie Prozess-, Kommunikations- und Reflexionskompetenz sind Ziele einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), wie sie die gleichnamige UNESCO-Bildungskampagne bis 2030 weltweit umsetzen möchte (UNESCO 2020). Ein wesentlicher Aspekt, der das BNE-Konzept kennzeichnet, ist die Verlagerung von der Vermittlung von Faktenwissen hin zur Entwicklung von Zukunftskompetenzen, die selbstverantwortliches und interdisziplinäres Lernen, kreatives, kritisches und demokratisches Denken umfassen. Diese Kompetenzen sollen projekt- und erfahrungsbasiert erworben werden, wobei den prozessualen Lernerfahrungen ein eigener Wert zuerkannt wird (vgl. UNESCO 2020: 8, 14). In diesen wesentlichen Aspekten entspricht das BNE-Konzept dem „Maker-Centered Learning“ (vgl. Clapp et al. 2017), zu dem die Forscher*innengruppe Agency by Design das Making erweitert hat und das sich durch interdisziplinäres, projektorientiertes, experimentelles und selbstorganisiertes Lernen auszeichnet und Selbstwirksamkeitserfahrungen ebenso wie das Verständnis für Nachhaltigkeit fördern will.

Making entspricht der Logik eines Lernens „on demand“ (Gershenfeld 2007: 7), bei dem über Tutorials und andere Materialien im eigenen Tempo (vgl. Schön et al. 2016: 9) Fertigkeiten und Kenntnisse zum Zeitpunkt ihrer Anwendung erworben werden, weil das aktuelle Projekt sie erfordert. Dieses „Just-in-time“-Lernen (Gershenfeld 2007: 7) steht im Gegensatz zu einem „Just-in-case“-Lernen, wie die schulischen Lehrpläne es vorsehen und bei dem Schüler*innen in der Annahme lernen sollen, dass sie die Kenntnisse oder Fertigkeiten irgendwann einmal gebrauchen können werden. Maker-Centered Learning verfolgt keinen „langfristige[n] Aufbau von Expertise bei relativ steilen Lernkurven“ (Jörissen et al. 2020: 73) in einem singulären Gebiet, sondern vervielfältigt sich auf verschiedene Domänen, in denen wie im informellen Lernen generell immer wieder „Tiefenbohrungen“ vorgenommen und Erfahrungen domänenübergreifend transferiert werden. Agency by Design betont, dass genau mit dieser Lernlogik im Verlaufe der Menschheitsgeschichte die Auseinandersetzung mit der Welt stattfand, Probleme gelöst, Ideen generiert und Erfindungen vorangetrieben wurden (vgl. Clapp et al. 2017).

 

Kreativ-kollaboratives Problemlösen im Making

„Making vollzieht sich […] als kollektiver Prozess, bei dem für Jugendliche vor allem gemeinsames Arbeiten im Vordergrund steht und Lernen sich als Nebenprodukt dieses Prozesses vollzieht“ (Bettinger et al. 2020b: 628). Neil Gershenfeld beobachtete bei den Studierenden seines Seminars „How to make (almost) everything“ (siehe oben), dass sie einen nahezu missionarischen Eifer an den Tag legten, ihre gerade erworbenen Kompetenzen an ihre Kommiliton*innen weiterzugeben – persönlich synchron sowie digitalisiert asynchron: „Along the way, they would leave behind extensive tutorial material that they assembled as they worked” (Gershenfeld 2007: 7). Nicht nur hier weicht die Hierarchie eines klassischen formalen Lernsettings einer kollaborativen Heterarchie (vgl. Krebber 2020: 173). Auch sind die Mitarbeitenden, die Makerspaces betreuen, weniger Instrukteur*innen, sondern mehr Lernbegleiter*innen, Assistent*innen und Mitforschende. Im Rahmen ihrer Studie „Hackerspaces“ (2017) beobachtete Sarah Rachel Davies in zwölf US-amerikanischen Maker-Werkstätten, dass neben der technologischen Ausstattung vor allem die Community die Triebfeder des Maker-Movements ist (vgl. Davies 2017: 158ff). Das zeigt auch unser erstes Beispiel des Seminars „Grundlehre Design: Physical Computing and Makerspaces. Making als Prozess in Bildung und künstlerischer Praxis“ im Makerspace des Lehrstuhls „Medien und Design“ am Institut für Kunst/Kunstpädagogik der Universität Osnabrück.

 

Beispiel: Kollektive Entwicklung eines „Remote-Fingers“ im Mediendesign-Seminar

Ziel der Lehrveranstaltung ist es, die Studierenden in einen Making-Prozess zu involvieren, in dem sie gemeinsam ein selbstentwickeltes Projekt durchführen, welches technologische Komponenten beinhaltet und zugleich kreativen Ausdruck ermöglicht. Zunächst werden kurze Einführungen zu 3D-Druck, Laserschnitt, Programmierung von Mikrocontrollern und Elektrotechnik gegeben, um die vielfältigen Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen Techniken zu verdeutlichen. Die erste Hausaufgabe besteht darin, aufmerksam auf Irritationen im alltäglichen Umgang mit technischen Geräten oder Prozessen zu achten und diese zu notieren. Die Studierenden berichten, dass sie an viele technische Aspekte des Alltags schon gewöhnt sind und sie das kritische Erleben der Umwelt erst einüben müssen (vgl. Buhr 2022: 8). Die gemeinsame Sammlung der Irritationen ergibt eine Fülle von Ideen: „von einem durchsichtigen Toaster, über ein schreiendes Fahrradschloss bis hin zu einem Finger, der ferngesteuert Knöpfe und Schalter drücken kann. Nachdem wir lange über die Umsetzbarkeit unserer favorisierten Ideen diskutiert haben, schien uns der Finger in der verbleibenden Seminarzeit am realistischsten umsetzbar“ (Averhof 2022: 3). In der Projektplanung werden die einzelnen Schritte so weit wie möglich entwickelt, welche Materialauswahl und -beschaffung, Kosten sowie technologische Verfahren umfassen. Nach mehreren Iterationen kann am Ende des Semesters ein funktionierender Prototyp präsentiert werden (Abb. 5.1).

Abb. 5.1: Der „Remote-Finger“, gemeinschaftliche Seminararbeit im Bereich „Medien und Design“ am Institut für Kunst und Kunstpädagogik, Universität Osnabrück, 2022. Fotografie: Ilka Averhof.

Die Aufgabenverteilung innerhalb der Gruppe entwickelt sich von Anfang an dynamisch, nicht nur nach Stärken und Interessen der Studierenden, sondern auch nach Bedarfen des Projektes. So werden Steuerung und Fernbedienung des Fingers durch zwei Studierende entwickelt, die vorher angegeben hatten, nicht gut mit Computern umgehen zu können. Als „Learning“ aus ihrem Programmierprozess formulieren sie, dass „Problemsituationen der Anfang von neuen Ideen sein können. Denn bezüglich dieser Schwierigkeiten haben wir uns viel intensiver in das Programm und die technischen Verbindungen eingearbeitet, um die Ursache für Fehler zu [finden]“ (Potthoff 2022: 10). Ihr eigener intensiver Lernprozess überrascht die Studierenden. Während sie zu Beginn Zweifel daran haben, den Anforderungen des Seminars gerecht zu werden (vgl. ebd.: 2; Averhof 2022: 11), entscheiden sie sich am Ende des Semesters für zwei freiwillige zusätzliche Kurstage: Der Kurs hat „mir dabei geholfen […], über mich hinauszuwachsen und Potenzial in vorher unbekannten Gebieten zu sehen. Nicht nur, dass wir die Hürden überwunden haben, sondern der Trial-and-Error-Prozess an sich hat viel Spaß gemacht, trotz einiger Momente der Frustration“ (Wolf 2022: 18). Die Fehlerfreundlichkeit des Making stellt eine starke Motivationsquelle dar (vgl. Buhr 2022: 10f), vor allem aber zeigt das gemeinsame Arbeiten den Studierenden das Potential von Kollaboration auf: „[D]urch unser gemeinsames Projekt hatte ich das erste Mal im Studium das Gefühl, Teil eines Teams zu sein und nicht nur für mich an etwas zu arbeiten. Das hat mich sehr motiviert.“ (Averhof 2022: 11) „[Wir haben] gemeinsam etwas geschafft, von dem ich anfangs nicht gedacht hätte, dass ich dazu in der Lage wäre.“ (Buhr 2022: 10) Teamarbeit, Prozessorientierung und forschendes Lernen wünschen sich die Studierenden nicht nur verstärkt für ihr Studium, sondern sie wollen diese Prinzipien auch in ihrem zukünftigen Berufsfeld als Kunstlehrer*innen einsetzen: Durch die Prozessorientierung, die Multiperspektivität und das experimentelle Lernen im Makerspace „können Kinder begeistert werden und mehr über technisches Arbeiten, Vertrauen in ihre Fähigkeiten und Lösungsfindung lernen“ (Buhr 2022: 12).


Abb. 5.2: 3D-Häuser aus dem Maker-Projekt der Stichting Tetem kunstruimte mit deutschen und niederländischen Schüler*innen, 2022. Fotografie: Coen Oudejans.

Beispiel: 3D-gedruckte Gemeinschaftshäuser von deutschen und niederländischen Schüler*innen

In diesem Sinne arbeitet auch die Stichting Tetem kunstruimte (übersetzt: Stiftung Tetem Kunstraum) in der niederländischen Stadt Enschede nach der in der niederländischen Kunstpädagogik weit verbreiteten prozessorientierten Didaktik. (Abb. 5.3) Die Phasen der prozessorientierten Didaktik sehen vor, dass die Jugendlichen im ersten Schritt Input aus verschiedenen Quellen und Materialien bekommen, den sie anschließend im zweiten Schritt gemeinsam untersuchen und eine Bedeutung für sich daraus generieren. Als dritten Schritt können sie ko-konstruktiv und kollaborativ – wie weiter unten zu sehen sein wird – mithilfe von analogen und digitalen Tools eine neue Form entwickeln, die nicht einfach das nachbildet, was sie schon gesehen haben, sondern im besten Fall eine neue Darstellung findet (vgl. Stichting Beeldend Onderwijs 2017). Auch das im Folgenden beschriebene Workshop-Angebot zur Förderung von digitaler Kultur und grenzüberschreitendem Austausch, in dem deutsch-niederländische Schüler*innen in Zweierteams jeweils eine Seite eines Hauses entwerfen, ist an den Phasen der prozessorientierten Didaktik orientiert. Die entstandenen Hausteile – vier Seiten und ein Dach – werden im 3D-Druck-Verfahren produziert und am Ende der Workshop-Reihe werden alle entstandenen Häuser als Dorf präsentiert (Abb. 5.3).

Abb. 5.3: Prozessorientiertes Didaktikmodell (nach Stichting Beeldend Onderwijs 2017).

Die Artefaktanalyse der Hausteile und der entsprechenden Entwürfe zeigen – unterstützt von den Protokollen der teilnehmenden Beobachtung von Jan Merlin Marski –, dass erfolgreiche Kollaboration auch dann stattfinden kann, wenn die Teilnehmenden sich sprachlich nur unbefriedigend verständigen können. Die national gemischten Teams finden im Verlauf des Workshops neue Wege der nicht-sprachlichen Kommunikation mithilfe analoger und digitaler Entwurfsverfahren.

Der untersuchte Workshop findet in einer Gesamtschule im westfälischen Saerbeck statt. Je acht Schüler*innen im Alter zwischen 13 und 15 Jahren aus dem niederländischen Enschede und aus Saerbeck nehmen teil. Als Begleitung sind zwei niederländische Lehrkräfte und eine deutsche Lehrkraft vor Ort, eine deutsche und eine niederländische Dozentin von Tetem kunstruimte leiten den Workshop, so dass zwischen den Sprachen gewechselt werden kann. Trotz einer ausführlichen Vorstellungs- und Warm-up-Phase, in der kooperative Übungen die anschließende Zusammenarbeit über die Sprachbarriere hinweg vereinfachen sollen, bleibt den Jugendlichen ihre Distanziertheit und die Verunsicherung gegenüber der jeweils anderen Nationalität anzumerken. Der Kontakt über die Sprachgrenze hinweg fällt ihnen schwer und sie sprechen anfangs viel mit ihren vertrauten Klassenkamerad*innen, auch wenn sie in gemischtsprachlichen Teams zusammenarbeiten sollen. Ein Grund für die Hemmungen könnte darin bestehen, dass die Jugendlichen die jeweilige Nachbarsprache bis zu diesem Zeitpunkt nur drei bis maximal fünf Jahre als Fremdsprache gelernt haben und sich dadurch noch nicht fließend unterhalten können, so dass sie, wenn überhaupt, lieber Englisch miteinander reden. Erst als die Entwurfsarbeit beginnt, entwickeln die gemischtsprachlichen Teams eine Kommunikation über die gemeinsamen Bleistift-Skizzen zu ihren Entwurfsideen. Die Distanziertheit weicht einer konzentrierten Stille, in der die Teampartner*innen versuchen, sich ihre individuellen Ideen zeichnerisch zu vermitteln (Abb. 5.4).

Abb. 5.4: Bleistift-Skizze eines Teams, Tetem cultuureducatie, 2022.

Die Teams kommunizieren mithilfe ihrer Bleistift-Skizzen und mit dem 3D-Modellierungsprogramm TinkerCAD, das Elemente als Basics vorgibt, die in einem intensiven Interaktionsprozess kombiniert und zu eigenständigen neuen Formen verändert werden können. Die in den analogen Zeichnungen ausgehandelten Gestaltungsideen müssen nun in zahlreichen, digitalen Transformationsschritten aus den Basic-Formen erzeugt werden. Um beispielsweise ein Fenster mit Blumen auf dem Fensterbrett und einem Sturz über dem Fenster zu erzeugen, wie es in der Bleistift-Skizze (Abb. 5.4) notiert ist, muss in die Grundplatte, die die Hauswand in TinkerCAD darstellt, eine rechteckige Negativform eingebracht werden. Über diese Negativform muss ein halber Zylinder gelegt, darunter ein Quader als Fensterbrett positioniert werden. Die Blumen können dann entweder aus einem schmalen Zylinder und einem Kegel kombiniert oder als „Freeform“ generiert und dann auf den Fensterbrett-Quader montiert werden. Dieses kombinierte Denken in Negativ- und Positivform bedarf einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Programm und zahlreicher Trial-and-Error-Schritte, wie sie auch die Studierenden im „Remote-Finger“-Projekt beschreiben und wie sie nur mit Unterstützung der Teampartner*innen zu leisten sind.

Abb. 5.5: Ansicht des fertigen Doppelhauses, 2022. Fotografie: Coen Oudejans.

Das so entstandene Doppelhaus (Abb. 5.5) hat neben dem schwarzen Satteldach, das mit einem mehrteiligen und einem einteiligen Schornstein versehen ist, ein rotes Flachdach. Die Vorderseite des Doppelhauses scheint auf den ersten Blick eher einfach gehalten zu sein, doch die linke, hellgraue Wand ist an der unteren Kante mit Blumen und Gras verziert. Die rechte, rote Wand ist mit einem großen Flügelportal gestaltet, das zwei hohe schmale Fenster, einen runden Türgriff in der Mitte und rahmende Halbsäulen mit einem sie verbindenden Bogen aufweist. Die blaue Rückseite des Doppelhauses enthält neben den Fensterbänken und Blumenkästen viele andere komplexe Elemente wie halb aufgeklappte Fensterläden oder Tür- und Fensteröffnungen, die durch Sprossen, Türblatt u. a. variiert werden.

Alle für diese komplexen Elemente nötigen Transformationsschritte erfinden die Teams performativ im Prozess und entwickeln aus der Logik der Basic-Formen heraus gemeinsam mit dem digitalen Tool TinkerCAD einen Diskurs, der sich „in Artefakten materialisiert“ (Bettinger et al. 2020b: 633). Die Erfahrung dieses nicht rein sprachlich verfassten diskursiven Prozesses nehmen die Schüler*innen mit, auch wenn sie nie wieder mit CAD-Zeichnungen in Berührung kommen sollten. Das „On-demand“- oder „Just-in-time“-Lernen (s. o.) umfasst nicht nur technische Fertigkeiten, die direkt in einem praktischen Projekt umgesetzt und angewandt werden, sondern auch soziale Kompetenzen, die es den Lernenden ermöglichen, neue sprachliche und nicht-sprachliche Wege der Kommunikation in zeichnerischen oder computerprogrammlogischen Darstellungsweisen zu finden und gemeinschaftlich ein bedeutungsvolles Gesamtergebnis zu schaffen, zu dem alle beteiligten menschlichen, technischen und situativen „heterogenen Entitäten“ (Bettinger et al. 2020b: 634) beigetragen haben.

 

Making: Prototyp einer postdigitalen und posthumanistischen Kunstpädagogik?

In der postdigitalen Welt befinden sich digitale Medien, Individuen und Gesellschaft „in ständiger wechselseitiger Verflechtung“ (Herzig 2023: 107). Auch in den dargestellten Lernsituationen zeigt sich beispielhaft, dass Digitalität „nicht nur als technologisches Beiwerk pädagogischer Gefüge, sondern im Sinne einer anthropologischen Basisdimension als fundamentale in pädagogische Prozesse verwobene Größe“ (Bettinger et al. 2020b: 619) zu verstehen ist. Das menschliche Individuum ist in diesen postdigitalen pädagogischen Prozessen nicht mehr selbstverständlich im Zentrum zu verorten, wie es im Konstruktionismus und sogar wörtlich im aus dem Konstruktionismus entwickelten Maker-Centered Learning (vgl. oben) der Fall ist. Stattdessen kann der Prozess des Machens selbst als performativ ins Zentrum eines Making-Centered Learning rücken, denn er ist – wie alle performativen Verfahren – gekennzeichnet durch „eine experimentelle Frage-, Handlungs- und Denkform, in der durch wahrnehmbare Aktionen Vorstellungen erzeugt werden, die über Alltagsbeobachtungen und ein funktionsorientiertes Verständnis von Welt hinausgehen. Performative Verfahren ermöglichen veränderte Blicke auf die Wirklichkeit, die eigene Person und die anderen“ (Peters 2016: 119). Kunstpädagogik, die Kindern, Jugendlichen und Studierenden einen Zugang zu ihrer aktuellen Welt ermöglichen will, in der sie in hybride Verflechtungen eingewoben diese dennoch befragen, reflektieren und gestalten können, kann Making als prototypische Praxis nutzen und weiterentwickeln (vgl. Krebber 2021: 278).

Eine theoretische Grundlage dafür kann Karen Barads „agentiell-realistische Ausarbeitung von Performativität [… sein, die …] der Materie auf entscheidende Weise ihren Anteil als aktiver Teilhaber am Werden der Welt“ (Barad 2020: 13) einräumt. Barads „performatives Verständnis diskursiver Praktiken“ (ebd.: 9) geht davon aus, dass Menschen nicht außerhalb der Welt stehend diese reflektieren und beobachten, sondern dass sie als Teil der Welt und der Phänomene und Apparate diese gemeinsam mit Nicht-Menschen erst hervorbringen und selbst hervorgebracht werden (vgl. ebd. 11 ff.)[3]. Martina Leeker ergänzt diese performativen Verflechtungen mit der „Entwicklung einer diskurskritisch-posthumanen Bildung als Kulturen der operativen Vermittlung […], die über ihre Vermittlungsregime aufgeklärt sind und mit diesen engagiert […,] zaudernd und zweifelnd performen“ (Leeker 2022: 213) und so ihre eignen Grenzen und Kontingenzen offenlegen. In diesen performativen Praktiken verlieren operationalisierbare und funktionalistische Kompetenzen ihre Bedeutung zugunsten von Zukunftskompetenzen im Sinne einer BNE als „Fähigkeiten zum Umgang mit Kontingenz, zur Umorientierung, zum aktiven Erschließen neuer Erfahrungsräume und zum Einlassen auf Fremdes und Unbekanntes“ (Herzig 2023: 108).

Die Studierenden des Seminars „Grundlehre Design: Making als Prozess in Bildung und künstlerischer Praxis“ (vgl. oben), in dem der „Remote-Finger“ entstand, formulieren diese performative postdigitale und posthumane kunstpädagogische Praxis so: Künstlerischer Prozess bedeutet „immer wieder neue Ansätze auszuprobieren, Probleme von verschiedenen Seiten zu betrachten und gestalterisch oder auch die Praktikabilität betreffend Lösungsansätze zu erkunden. [… D]ie technischen Hilfsmittel und Gerätschaften [unterstützen] diese kreativen Prozesse.“ (Buhr 2022: 12) Lernbar wird so, „wie man Projekte Schritt für Schritt angeht, und dass man Fähigkeiten auch im Verlauf erlernen kann. Man wird ermutigt, an sich und seine Ideen zu glauben und dabei stets dazuzulernen“ (Averhof 2022: 11).

 

Anmerkungen

[1] FabLabs sind meist kommerziell angelegt zur Prototypenerstellung oder Kleinserienproduktion für Zielgruppen wie Studierende oder professionelle Entwickler*innen, Makerspaces sind eher selbstorganisierte, private Einrichtungen mit experimentelleren Ansätzen, während in Hackerspaces weniger das Produzieren, sondern das Umnutzen von bestehenden Dingen im Mittelpunkt steht.

[2] Maschine zum Schneiden von sehr harten Materialien wie Metall- oder Steinplatten durch einen mit Sand gemischten Wasserstrahl.

[3] Annemarie Hahn untersucht Karen Barads agentiellen Realismus darüber hinaus auf seine Tragfähigkeit für eine inklusive Kunstpädagogik: „Mein Vorschlag zielt nicht darauf ab, nach den Möglichkeiten und Fähigkeiten einzelner menschlicher Akteur*innen zu suchen, die durch entsprechende Förderung an verschiedenen Strukturen teilnehmen können. Vielmehr schlage ich vor, die Einflussgröße der Dinge auf gesellschaftliche Prozesse zu beleuchten.“ (Hahn 2019)

 

Literatur

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Abbildungen

Abb. 5.1: Der „Remote-Finger“, gemeinschaftliche Seminararbeit im Bereich „Medien und Design“ am Institut für Kunst und Kunstpädagogik, Universität Osnabrück, 2022. Fotografie: Ilka Averhof.

Abb. 5.2: 3D-Häuser aus dem Maker-Projekt der Stichting Tetem kunstruimte mit deutschen und niederländischen Schüler*innen, 2022. Fotografie: Coen Oudejans.

Abb. 5.3: Prozessorientiertes Didaktikmodell (nach Stichting Beeldend Onderwijs 2017).

Abb. 5.4: Bleistift-Skizze eines Teams, Tetem cultuureducatie, 2022.

Abb. 5.5: Ansicht des fertigen Doppelhauses, 2022. Fotografie: Coen Oudejans.

 

Von Nikola Dicke, Jan Merlin Marski

Veröffentlicht am 24. September 2024

Zitiervorschlag

Dicke, Nikola; Marski, Jan Merlin: FabLabs und Makerspaces. Übungsräume für postdigitale kollaborative Kunstpädagogik, in: Nikola Dicke, Kerstin Hallmann (Hg.): Gemeinschaftlichkeit. Perspektiven künstlerischer und kunstpädagogischer Kollektive und Kollaboration, Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2024. Quelle: https://zkmb.de/fablabs-und-makerspaces-uebungsraeume-fuer-postdigitale-kollaborative-kunstpaedagogik/; Letzter Zugriff: 18.12.2024