Wie kann Kunst Menschen verbinden und zu gemeinsamem Handeln führen? – Die Klasse Kooperative Strategien von Irene Hohenbüchler der Kunstakademie Münster beschäftigt sich mit Fragen zu Gemeinschaftlichkeit und kollektiven Formen des künstlerischen Arbeitens und Gestaltens. Dabei werden unterschiedliche Lebenswelten erkundet und künstlerische Formen der Aneignung und Bearbeitung in vielfältigen Kooperationen entwickelt. Durch das gemeinsame und gemeinschaftliche Handeln rücken immer wieder aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen und Kontexte in den Fokus der künstlerischen Auseinandersetzung. Es entstehen Arbeiten, bei denen beispielsweise Pflanzen untereinander den Klimawandel beflüstern oder aus denen durch kooperatives Zusammenarbeiten mit den Besucher*innen künstlerische Projekte erwachsen. In ihrem Beitrag berichtet die Klasse Kooperative Strategien über ihre Arbeitsweise, diskutiert über die Herausforderungen des Zusammenarbeitens in kreativen Prozessen und stellt einzelne Projekte vor, die sie gemeinsam im Kunstkontext oder in Kooperation mit Schulen in den letzten Jahren realisiert hat.
In der gesamten Kunstakademie Münster herrscht ein offenes Arbeitsklima, in dem das gemeinsame Erarbeiten von Projekten erprobte Praxis war und ist. Deshalb verwundert es nicht, dass gerade an diesem Ort im Jahr 2011 eine Klasse eingerichtet wurde, in der das kooperative Handeln im Fokus steht und die ich, Irene Hohenbüchler, seitdem leiten darf. Zusammen mit meiner Schwester Christine bilde ich seit den frühen 1990er-Jahren ein Künstlerinnen-Kollektiv. Mit dem „Gemeinsamen“ als treibendem Motor laden wir immer wieder Menschen ein, mit uns Arbeiten zu entwickeln und zu realisieren. Das Ziel einer öffentlichen Präsentation hilft dabei, mit dem jeweiligen Projekt voran zu kommen. Es interessiert uns, mit Menschen zu arbeiten, die im Kunstkontext wenig bis gar nicht präsent sind. Fasziniert von deren visueller Sprache verfolgen wir den Ansatz, diese Faszination für die jeweils anderen Ausdrucksweisen durch gemeinsames Handeln sichtbar zu machen. Wir agieren aus einer partizipativen künstlerischen Praxis heraus und realisieren unsere künstlerischen Projekte im Sinne einer multiplen Autor*innenschaft.
Parallel zu unserer eigenen gemeinschaftlichen Arbeitsweise hat sich in den letzten dreißig Jahren auch im gesellschaftlichen Diskurs viel im Hinblick auf unterschiedliche Möglichkeiten der Zusammenarbeit getan. Versuchte Integration wurde zur versuchten Inklusion, kooperatives Arbeiten und gemeinsames Handeln immer wieder von zahlreichen Künstler*innen erprobt und erforscht. Teams und Kollektive sind in der Bildenden Kunst angekommen und sichtbar und nicht mehr nur in der Musik, in der Performance, in Schauspiel und Film selbstverständlich. Nicht von ungefähr wurde bei der documenta fifteen 2022 das prozessorientierte, gemeinschaftliche Handeln in den Mittelpunkt gestellt, wobei das solitäre Künstler*innensubjekt in den Hintergrund gerät zugunsten einer global ausgerichteten, kooperativen und interdisziplinären Kunst- und Kulturplattform (vgl. ruangrupa 2022).
Aber worin liegt die Stärke des gemeinsamen Agierens? Birgt es nicht auch die Gefahr des Scheiterns? Die Aufmerksamkeit für kollektives Handeln ist nicht immer gleich intensiv. Manchmal gibt es auch Schwierigkeiten mit der Motivation und dem Durchhalten. Öfter kommt es vor, dass sich einige sehr engagieren, andere froh sind, die Arbeit nicht machen zu müssen und sich eher als Begleitende oder Beobachtende im Hintergrund halten. Das hat damit zu tun, wie viel Verantwortung Einzelne übernehmen wollen und können. Aber letztlich sind alle Beteiligten froh über eine Arbeit, die funktioniert und Interesse weckt. Als Klasse Kooperative Strategien der Kunstakademie Münster möchten wir im Folgenden anhand von Praxisbeispielen diskutieren, was für uns das gemeinsame (Nach-)Denken und Handeln in der Kunst und als Kunst bedeutet.
Die Klasse ist ein Ort, wo Studierende intensiv an ihrer eigenen künstlerischen Entwicklung arbeiten, die in wöchentlichen Kolloquien besprochen wird. Darüber hinaus ist ein wesentlicher Aspekt der Teilnahme an der Klasse eine Offenheit gegenüber kollektiven Arbeitsprozessen, die als Ausstellungsund Kooperationsprojekte meist zum jährlichen Rundgang der Akademie oder außerhalb der Institution konkret realisiert werden.
Es gibt kein Manifest, keine strikten Vorgaben. Es gibt nur die gemeinsame Entscheidung, ein Projekt zu entwickeln und zu bearbeiten. Ideen und Themen werden zu Beginn in den Handlungsraum gestellt, diskutiert und von mehreren Seiten betrachtet, wieder verworfen und anders zusammengesetzt. Dieser Prozess dauert und verteilt sich über mehrere Kolloquiumssitzungen. Dabei gibt es viele Stimmen, unterschiedliche Meinungen und trotzdem muss ein gemeinsamer Weg gefunden werden. Das kann auch bedeuten, dass die eigene Vorstellung zugunsten anderer aufgegeben werden muss. Dann ist soziale Kompetenz und Empathie gefragt. Ein dialogischer Prozess beginnt, und parallel dazu braucht es Arbeitsteilungen, um die unterschiedlichen Vorgänge auf die verschiedenen Kompetenzen zu verteilen.
In den gemeinsam erarbeiteten Projekten werden die künstlerischen Mittel und Medien je nach Bedarf einer möglichen Umsetzung gewählt und können daher sehr unterschiedlich sein, beispielsweise Fotografien, Soundpieces oder Ready-mades wie die ferngesteuerten Autos in der Gemeinschaftsarbeit „Pimp my floor“ beim Rundgang 2019, die mit Kreidestiften ausgestattet über den Boden flitzen und dort großformatige Zeichnungen hinterlassen (vgl. Klasse Kooperative Strategien 2019). Aber auch mit Draht und Holz über digitale Medien bis hin zum Tattoo wird gearbeitet. Es geht dabei immer um die Frage der Autor*innenschaft: Können die Autor*innen nicht auch viele sein und sich mit unterschiedlichen Medien wie Materialien ausdrücken und auseinandersetzen?
Notausstieg, sekundärer Rettungsweg, Fluchtweg
Zuflucht: Schutz, Hilfe oder Rettung
Rückzugsort
Zone – abgelöst von der Erde
Eskapimus
of a better Place
Exit
Innere Migration
Exit Pink
Selbstoptimierung?
Kontrolle über die eigene kleine Welt
Die Klasse Kooperative Strategien befasst sich im Rundgangsprojekt 2023 mit Ausflüchten von und innerhalb des Alltags. Ausgangspunkt des Projektes sind einerseits die immer strikteren Sicherheitsbestimmungen an der Akademie, die künstlerisches Agieren in den Akademieräumen erschweren, und andererseits der irritierende Fluchtweg des Atelierraumes über ein großes Fenster im ersten Stock. Dieser Hauptakteur beherbergt mehrere künstlerische Inszenierungen, in denen der reale Fluchtweg zum Zufluchtsort für individuelle oder kollektive Vorlieben und Sehnsüchte wird. In einem gemeinsamen Arbeitsprozess werden einzelne Positionen ge- und erfunden, Gruppen gebildet und die Ausstattung im Zwischenraum der zwei Fensterflächen des Fluchtweges erarbeitet. Es entstehen großformatige Fotos von nachgestellten Situationen an so unterschiedlichen Orten wie einer Werkstatt, einem Garten, einer HotBox, einem Gym-Raum, einem Nachtclub, einer Kinderbude oder einem Golfplatz. Schauplätze, die ein Ein- und Abtauchen in Parallelwelten zeigen.
Die Szenerien werden mit einer digitalen Großbildkamera fotografiert, anschließend müssen die Fotos nachbearbeitet werden, da sich im Fensterglas das gesamte Atelier spiegelt. In der Fotowerkstatt der Akademie können die großen Formate gedruckt und geklebt werden, um diese im Klassenraum in der gleichen Größe wie das Fluchtfenster an die Wände zwischen die Fenster zu bringen. Für die Besucher*innen des Rundgangs beginnt dadurch ein Verwirrspiel: Welches Fenster ist das Original mit dem tatsächlichen Notausgang?
Zahllose Male thematisiert, zelebriert oder belächelt, gilt der Fokus weiterhin dem Selbst als zentrales Thema der zeitgenössischen Kunst, werkintern und -extern. Dem Wunsch nach fortdauernder Individualität steht in unserem Projekt „ANT ON“ das Formicarium[1] mit seinen Bewohner*innen gegenüber, welches still auf den Wert der sozialen Ähnlichkeit verweist. Organisiert und altruistisch arbeiten die Insekten bis zum Lebensende füreinander und miteinander. Evolutionär hat sich ihre Zusammenarbeit als überlebenswichtig erwiesen. Die einzelne Aufgabe einer Ameise ist zwar marginal, aber dennoch Voraussetzung für die Lebensgemeinschaft, so dass man den Ameisenstaat insgesamt als einen Organismus sehen kann. Würde der Ameise das Sozialverhalten fehlen, würde der Staat zusammenbrechen. Es kommt also auf jedes einzelne Insekt an, ohne dass es dabei eine wirklich markante Rolle spielt. Ausnahme ist hierbei lediglich die Königin, die sich in ihrer Größe, Aufgabe und Einzigartigkeit von ihren Artgenoss*innen unterscheidet. Stärker als bei den Arbeiterinnen steht im Zentrum ihrer Rolle, die Erhaltung ihres Staates durch Fortpflanzung zu sichern. Die relative Eindimensionalität einer Ameise – ob Arbeiterin, Drohne oder Königin – ist mit ihrer Lebenssituation sicher nicht holistisch auf die des Menschen übertragbar. Der Vergleich erlaubt eine Rückbesinnung auf die Relevanz der menschlichen Synergie, deren Produktionen einen persönlichen Ausdruck in Geschmack und Stil erst ermöglichen. Ein Bewusstsein für diese Hierarchie der Dinge gerät an klassischen Orten der Bildenden Kunst gerne in Vergessenheit. Der Ameisenstaat als Metapher für gemeinsames Handeln, wobei das singuläre Tun hilft, das System aufrecht zu erhalten und selbst zu überleben.
In der Ausstellung hängen an den Wänden unterschiedliche Namen – jeweils stellvertretend für eine Ameise, die man sich auf der Empore des Klassenateliers von Studierenden tätowieren lassen kann. So verbreitet sich der Ameisenstaat mit den Körpern der Besucher*innen symbolisch aus den Wänden der Akademie hinaus, dauerhaft in die Öffentlichkeit der Stadt und weiter in die Welt. Der ausgewählte individuelle Name wird auf den Körpern jedoch als immer gleiches Motiv gestochen. Die scheinbare Einzigartigkeit von Tattoos wird über ein wiederholtes Motiv ironisch befragt. Minimale Variationen entstehen lediglich durch unterschiedliche Hautstrukturen der Protagonist*innen und die jeweilige Ausführung des Tattoos.
Diese Arbeit zum Rundgang der Akademie 2022 behandelt implizit unser kollektives Tun und ermöglicht Besucher*innen, mit der Arbeit zu interagieren und selbst Träger*in eines Kunstwerkes zu werden. Dabei ist nicht nur die Idee wichtig, sondern auch die Umsetzung im Raum. Das Formicarium ist von den Studierenden angefertigt worden und steht auf einem erhöhten Holztisch. Die Plexiglashaube reproduziert die Dachgeschoss-Architektur des Klassenateliers und wird zu einem verkleinerten Modell dieses Raumes. Die zwei kleinen Ameisenstaaten bewegen sich darin und laden zum Beobachten ihrer Gemeinschaft ein.
Im Rahmen des KEINrundgangs ermöglicht die Klasse Kooperative Strategien im pandemiebedingten Ausnahmejahr 2021 Teilnehmenden, in Kontakt miteinander zu treten. Trotz coronakonformer Ausstellungsbedingungen, die dazu führen, dass die Akademie nicht von akademiefremden Personen betreten werden darf, wird die Möglichkeit eröffnet, digitale Beiträge zu empfangen, sich digital miteinander auszutauschen und in Kontakt zu kommen. Nutzer*innen werden zu Akteur*innen und können sich virtuell durch ihre Kommentare im Live-Chat in den physischen Raum indirekt einschreiben.
In der Klasse der Kunstakademie sind dafür die Studierenden zu gewissen Zeitslots anwesend und in einem Livestream online sichtbar, darüber hinaus kommunizieren sie digital über einen Live-Chat mit dem Publikum. Teile dieses Chats werden von den Studierenden mit Farbe an die Wände des Klassenraumes geschrieben. Eine Kamera dokumentiert diesen Vorgang auf der Website der Akademie öffentlich, macht ihn dadurch für andere beobachtbar und lädt zugleich zur Teilnahme ein. So kann jede*r Teil des Geschehens werden.
Ausgehend von den anhaltenden Fridays-for-Future-Protesten, an denen die Studierenden teilweise beteiligt sind, und der intensiven Beschäftigung mit der herausfordernden Thematik der Klimakrise sucht die Klasse gemeinsam nach einer Möglichkeit, diese komplexen Inhalte zu thematisieren und in die Wirkungskraft der Bildenden Kunst zu übersetzen.
Eine begehbare Installation bespielt den Raum. Sie besteht aus fünfzehn hölzernen, drei Meter hohen Balken, auf denen je eine Zimmerpflanze Platz findet. Die Pfähle wirken wie künstliche Bäume und stehen in gleichmäßigen Abständen voneinander entfernt, verbunden durch den Sound flüsternder Stimmen. Ein dialogisches Mit- und Gegeneinander, das schwer zu verstehen ist. Diese synthetischen Bäume stellen zugleich Entwicklung und Bilanz dar; denn jeder von ihnen steht für den Versuch, ein Problem zu lösen, das wir selbst provoziert haben. Heraufbeschworen durch Gier: der Gier nach mehr, nach Effizienz, Luxus und Wachstum. Durch Ignoranz gegenüber den Warnungen, die Wissenschaftler*innen seit Jahrzehnten aussprechen, und der Uneinsichtigkeit gegenüber den Zeichen, die der Planet uns gibt. Hervorgerufen durch die Selbstverständlichkeit, mit der wir ganze Kontinente ausbeuten, auf Kosten der Menschen, die dort leben.
Die Stimmen derer, die Lösungen für Probleme fordern, die die Menschheit über das letzte Jahrhundert verursacht hat, wurden in den letzten Jahren lauter und lassen sich inzwischen kaum noch überhören. Leider sind die Lösungen, die der Gesellschaft politisch angeboten werden, in den meisten Fällen eher absurde Platzhalter: kleinschrittige Ansätze und zu kurz gedachte Konzepte; Kompromisse, die eher darauf abzielen, die Gesellschaft zu sedieren als wirkliche Veränderungen zu erreichen.
Die Arbeit der Klasse Kooperative Strategien zum Rundgang 2020 zeigt die Auseinandersetzung mit diesen Lösungen. Jeder künstliche Baum symbolisiert eine der Verfehlungen, von denen die Klimapolitik unserer jeweiligen Bundesregierungen durchsetzt ist. In der Installation stehen die Pflanzen auf hohen Holzsockeln, die die Besuchenden so deutlich überragen, dass die Pflanzen über ihren Köpfen kaum zu erkennen sind. Den Raum durchquerend, den Kopf in den Nacken gelegt, lauschen sie den flüsternden Stimmen aus den Mini-Lautsprechern und werden unbewusst Teil der Arbeit. Sie stellen den stillschweigenden Querschnitt einer Gesellschaft dar, der sich zu wenig mit den absurden Substitutionen auseinandersetzt.
Dieser Arbeit ging ein langer Vorlauf voraus. Neben der inhaltlichen Recherche und Auseinandersetzung mussten handwerkliche Tätigkeiten in der Holzwerkstatt verrichtet und das Tonstudio aufgesucht werden, um die Audioaufnahmen mit anschließender Programmierung zu fertigen, sodass jeder „Baum mit Pflanze“ eine einzelne, zeitlich versetzt abspielbare Stimme erhalten konnte. In der Siebdruckwerkstatt der Akademie wurde ein Folder mit den gesampelten Texten produziert, der anschließend in der Ausstellung zum Nachlesen mitgenommen werden konnte. Dem Textkonglomerat ging eine gemeinsame Recherche und Lektüre voraus, wobei jede*r entscheiden konnte, welche Texte zitiert oder ob selbst formulierte Texte eingebracht werden sollten.
Im Rahmen des Kooperationsprojektes „Neuyes Bauhaus“ auf Initiative des HeinrichNeuy-BauhausMuseums (Borghorst) werden wir 2019 vom Künstlerischen Leiter Jan-Christoph Tonigs ins Kloster Bentlage eingeladen, um uns mit einem Projekt auf das 100-jährige Gründungsjubiläum des Bauhauses zu beziehen. Wir reagieren mit einer Installation und einer Ausstellung, für die wir uns im Vorfeld mit dem Lehrkonzept und den modernistischen Ideen der damals revolutionären Hochschule auseinandersetzen.
Skizzenhaft erstrecken sich skelettartig angedeutete Räume über das Freigelände der Ökonomie[2] des Klosters Bentlage. Miteinander verbundene Holzbalken stellen das Kerngerüst der künstlerischen Installation dar. In ihrem Zentrum befindet sich ein großer runder Tisch, aus dem das gesamte Konstrukt wächst. Dieser lädt zum gleichberechtigten Austausch ein, rundum gruppiert befinden sich verschiedene Sitzgelegenheiten, die hinsichtlich Form, Material und Farbe singulär sind.
Gemeinsam entwickeln wir im Kloster Bentlage die Vorstellung einer Arbeit, welche wir im künstlerischen Prozess kontinuierlich ausbauen. Kooperation – das Leitmotiv unserer Klasse – war auch in der von Walter Gropius vor mehr als hundert Jahren (1919) gegründeten Kunstschule, dem Staatlichen Bauhaus, von zentraler Bedeutung. Unsere Arbeitsweise in diesem Projekt zeichnet sich in Form eines gemeinsamen Bauprozesses ab, in dem individuelle Fähigkeiten und Ideen eingebracht werden. Zudem verweist die Zusammenführung verschiedener Ansätze, Perspektiven, Arbeitsweisen, Materialien und Stofflichkeiten auf die Vielfältigkeit der Bauhaus-Lehre. Dieser Pluralismus zeigt sich in der Verknüpfung von Leben, Handwerk und Kunst mit dem Ziel des Bauens. Unsere umgesetzte künstlerische Arbeit greift die typischen geometrischen Bauhaus-Formen und ihre charakteristischen Grundfarben Rot, Gelb und Blau auf. Im gemeinsamen künstlerischen Adaptieren dieser typischen Formen und Farben des Bauhauses transformieren wir diese jedoch zu einer neuen gestalterischen Umsetzung. In einem fünftägigen Workshop wird die Installation gefertigt, die anschließend nicht nur als Objekt betrachtet, sondern über den Sommer für die Besucher*innen der Anlage nutzbar bleibt.
In der Ausstellungsscheune erwartet die Besucher *innen eine Dokumentation zur Entwicklung und Realisation der Installation sowie weitere entstandene Licht- und Videokunst, die auf die Formensprache und den speziellen farbigen Kanon des Bauhauses reagieren und diesen durch eigene künstlerische Ideenvielfalt in die Gegenwart übersetzen.
Im Rahmen der Ausstellung „STEIERMARK SCHAU: was sein wird. Von der Zukunft zu den Zukünften“ widmet sich das Kunsthaus Graz 2021 den Spuren des Zukünftigen im Hier und Jetzt. Die Ausstellung zeigt dabei nicht die eine ferne Utopie oder den einen möglichen Entwurf für eine Idealgesellschaft auf, sondern will die Multidimensionalität von Zukünften im Plural verdeutlichen. Verschiedene gesellschaftliche Bereiche werden daher mit einbezogen, um aus der Gegenwart heraus wegweisende Szenarien zu identifizieren, Zukünfte zu skizzieren und Utopien zu entwickeln (vgl. Kunsthaus Graz 2021).
Das Themenfeld „Bildung“ in der Ausstellung wird von der Kunstvermittlung des Kunsthauses durch ein umfassendes Projekt unterstützt, in dem es um die Frage nach Teilhabe/ Mitbestimmung und die Rolle der Kunst und Kultur gehen soll. In diesem Zusammenhang entsteht das Projekt „Schulhof“ mit der Mittelschule St. Andrä, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Kunsthauses Graz befindet. Gemeinsam mit den eingeladenen Künstlerinnen Christine und Irene Hohenbüchler und dem Künstler Lukas Kaufmann soll das Projekt entwickelt werden, von dem die Schule längerfristig, also auch zukünftig profitiert.
Ausgangspunkt sind die Bedürfnisse, Vorstellungen und auch Träume der Schüler*innen, die in gemeinsamen Gesprächen thematisiert werden. Aufgrund der coronabedingten Situation des Lockdowns sind zwar zunächst nur digitale Treffen möglich, es kommt aber dennoch zu einem guten Austausch zwischen den Schüler*innen und den anderen am Projekt Beteiligten. Treffend beschriebt die Schülerin Sedanur ihren Wunsch: „Wenn ich auf den Hof gehe, will ich mich wohlfühlen.“ (zitiert nach Holzer-Kernbichler 2021: o. S.) Vielen Schüler*innen geht es ähnlich und schnell ist das Ziel des gemeinsamen Projektes gefunden, den Schulhof zu einem Ort zu machen, an dem es neu gestaltete Plätze gibt, die ein positives Klima schaffen. Zusammen mit verschiedensten Akteur*innen wie der Kunstvermittlung des Kunsthauses Graz, den eingeladenen Künstler*innen und den Studierenden der Technischen Universität Wien sowie der Kunstakademie Münster sowie den Schüler*innen der Mittelschule St. Andrä wird die Umgestaltung des Schulhofes über den Zeitraum eines Schulhalbjahres realisiert. Eine große, graue Mauer im Hof wird nach gesampelten Entwürfen der Schüler*innen gemeinsam mit den Kunststudierenden bemalt. Während einer Projektwoche können sich die Schüler*innen zudem unterstützt durch die Tischler der Zentralwerkstatt des Grazer Universalmuseums Joanneum im Handwerken erproben und Bänke für ihren Schulhof bauen. Auch der Trinkbrunnen „Mister Water“, entworfen von Architekturstudierenden nach Vorstellungen der Jugendlichen, findet seinen Platz auf dem Schulhof.
Die gemeinschaftliche Unternehmung verbindet sehr verschiedene Menschen mit künstlerischer wie kunstpädagogischer Ausbildung aus Schule, Hochschule, Handwerk und Kunstvermittlung und verlangt von allen, sich auf diese ungewöhnliche Situation einzulassen, sorgfältig zu beobachten sowie zuzuhören und loszulassen – und das besonders von den vermeintlichen Profis. Die Schüler*innen erleben dabei, dass ihre Wünsche und Ideen ernst genommen, aufgegriffen und durch die Gemeinschaft in ihrer unmittelbaren Lebenswelt realisiert werden.
„Mir gefällt, dass ich eine Zeichnung gemacht habe von der Wolke. Ich wusste gar nicht, dass die Wolke kommt, und bin begeistert, dass meine Wolke da ist. Ich finde es schön, dass wir auf Wänden malen können“, stellt der Schüler Fadi am Ende des Projektes fest. Seine Mitschülerin Sarah ergänzt: „Wir wollten die Kreise bunt machen, wir haben die Farben gemischt, dass es bunt wird. Zuerst war die Wand nicht weiß, und jetzt ist sie weiß und wird bunt. Ich glaube, wenn die zweiten Klassen kommen, werden sie große Freude haben, denn es ist sehr schön. Dieses Projekt ist sehr schön.“ (zitiert nach Holzer-Kernbichler 2021: o. S.)
Rückblickend sind für uns als Klasse Kooperative Strategien in diesem Schulprojekt insbesondere die intensive Zusammenarbeit und die künstlerischen Prozesse mit den Schüler*innen spannend gewesen. Wie sie ihre eigenen Ideen einbrachten und wir uns nach ihren Wünschen richten mussten. Die Jugendlichen verbringen viel Zeit in der Schule, und wenn sie ihre eigenen Bilder an die Wand malen, identifizieren sie sich gleich ganz anders mit dem Schulhof (vgl. Holzer-Kernbichler 2021: o. S.). Dieser über ein halbes Jahr dauernde Planungs- und Arbeitsprozess war nur mit tatkräftiger Unterstützung der vielen verschiedenen Personen und Institutionen möglich, da es ohne das Engagement aller am Projekt Beteiligten nicht umzusetzen gewesen wäre.
Kooperationen innerhalb und außerhalb der Kunstakademie Münster sind nur möglich, wenn alle beteiligten Partner*innen mit viel Engagement an der Sache und deren Umsetzung interessiert sind. Partizipatorische Projekte brauchen Durchhaltevermögen, Teamgeist und Toleranz offenen Ausgängen gegenüber.
Die vorgestellten Beispiele zeigen allesamt, dass Arbeitsprozesse in Gruppen lange dauern: Es muss auf einander eingegangen werden und vor allem auch die Freude an einer gemeinsamen Umsetzung vorhanden sein. Das verlangt gegenseitige Aufmerksamkeit und Sensibilität, da das Vorstellungsvermögen und Kunstverständnis sehr unterschiedlich sein kann und viele visuelle Sprachen zusammenfinden. Ist ein Prozess geglückt, kann sich die Realisierung einer Arbeit als komplex und vielschichtig erweisen. Unterschiedliche Gedanken und künstlerische Ansätze werden zu einem verdichteten Konglomerat zusammengefügt, in dem sich alle Teilnehmenden wiederfinden sollten und das dennoch weit über die Einzelnen hinausweist.
[1] Ein Formicarium ist ein Behälter oder ein Konstrukt aus mehreren Behältern zur Beobachtung und Haltung von Ameisen.
[2] Die Ökonomie ist der ehemalige Landwirtschaftsbetrieb des Klosters mit seiner Scheune und anderen Betriebsgebäuden.
Holzer-Kernbichler, Monika (2021): Ein neuer Schulhof für die MS St. Andrä. Online: https://www.museum-joanneum.at/blog/ein-neuer-schulhof-fuer-die-ms-st-andra%CC%88/ [31.08.2023].
Klasse Kooperative Strategien/Hohenbüchler (o. J.): Projektdokumentationen. Online: https://www.kooperativestrategien.net/start [31.08.2023].
Klasse Kooperative Strategien/Hohenbüchler (2019): Pimp my floor, Rundgang. Online: https://www.kooperativestrategien.net/rundgaenge/rundgang-2019[31.08.2023].
Kulturgericht (2021): Schüler gestalten neuen Schulhof für die MS St. Andrä. Ein Projekt des Kunsthauses Graz im Rahmen der STEIERMARK SCHAU. Online: https://www.kulturgericht.at/uebern-tellerrand/schueler-gestalten-neuen-schulhof-fuer-die-ms-st-andrae.html [31.08.2023].
Kunsthaus Graz (2021): STEIERMARK SCHAU: was sein wird. Von der Zukunft zu den Zukünften. Online: https://www.museum-joanneum.at/kunsthaus-graz/ausstellungen/ausstellungen/events/event/9763/steiermark-schau-was-sein-wird [31.08.2023].
ruangrupa (2022): documenta fifteen, Einführung. Online: https://documenta-fifteen.de/ueber/[31.08.2023].
Abb. 2.1 bis 2.8: EXIT, Klasse Kooperative Strategien Irene Hohenbüchler, Rundgang Kunstakademie Münster 2023. Fotografien: Jana Mengeu.
Abb. 2.9 bis 2.12: ANT ON, Klasse Kooperative Strategien Irene Hohenbüchler, Rundgang Kunstakademie Münster 2022. Fotografien: Klasse Kooperative Strategien.
Abb. 2.13 bis 2.15: Gez. et al., Klasse Kooperative Strategien Irene Hohenbüchler, Rundgang Kunstakademie Münster 2021. Fotografien: Jana Mengeu.
Abb. 2.16: Absurde Substitution, Klasse Kooperative Strategien Irene Hohenbüchler, Rundgang Kunstakademie Münster 2020. Fotografie: Klasse Kooperative Strategien.
Abb. 2.17 bis 2.23: Bau. haus, Klasse Kooperative Strategien Irene Hohenbüchler, Kloster Bentlage 2019. Fotografien: In Hee Cho/ Klasse Kooperative Strategien.
Abb. 2.24 und 2.25: Vor/stellen, Klasse Kooperative Strategien Irene Hohenbüchler 2021. Fotografien: Christine Hohenbüchler.
Jona Bal, Marie Christin Becker, Mara Lili Bohm, Alissa Breer, In Hee Cho, Melanie Dreuw, Maria El-Batoul Diab, Anne Gößling, Viktoria Gudzenko, Leonie Hafen, Elio Anne Hübecker, Vivienne Ibach, Malkhaz Khutsishvili, Yena Kim, Annika Madlen Krüdewagen, Lotta Liva Cäcilie Kuß, Antonia Lasthaus, Melina Laudenberg, Jana Katharina Mengeu, Jonas Julian Mülhausen, Sophia Nefe, Stella Neocleous, Jacks Richtering, Alina Schagidow, Anna-Lena Terwey, Sarah Thiel, Miriam Viola Thieme, Mari-Joy Tönnis, Jana Weigelt-Harth, Melisa Yilmaz, Ferdinand Zander u. a.