Ein weiterer Beitrag im Zusammenhang mit der Tagung: Perspektiven der Verknüpfung von Kunst, Medien und Bildung 2: Das kulturelle Imaginäre | 25./ 26.11.2011 | Wissenschaftliche Sozietät Kunst, Medien, Bildung zu Gast an der Kunsthochschule Mainz | kunst-medien-bildung.de/category/tagungen/
Das Interview mit Thomas A. Schmidt wurde in Mainz verabredet, als sich dort herausstellte, dass es bislang noch keinerlei schriftliche Publikation zu den von Thomas A. Schmidt vorgetragenen Einblicken in die Arbeit der Künstlergruppe inges idee gibt.
Die Syntax zeitgenössischer, künstlerischer Zusammenarbeit mag vielleicht allgemeinhin als selbstverständlich oder bekannt erscheinen. Stellen wir uns genauere Fragen nach den modi procedendi multipler, pluraler Künstlerformationen, also dezidiert nicht Künstlerpaaren, so wird deutlich, dass in der Bildenden Kunst eben gerade der Komplex kollaborativer Muster und Vorbilder weniger scharf zu sehen ist, als dies zum Beispiel im Musik-, Performance, Theater- oder Filmbereich der Fall ist, wo Zusammenarbeit eine pragmatische, aus der Sache heraus motivierte und dadurch tradierte Praxis ist (vgl. Gisbourne/Kueingdorf 2007, S. 15). Die Bildende Kunst weist im Abgleich zu diesen Dimensionen durchaus mehr Schärfe auf was die Tradierung und Normierung von Einzelkünstlerinnenkulten angeht (ebd.). Künstlerisches Schaffen wird größtenteils immer wieder verstanden als die individuell-mächtige Schöpferkraft eines einzelnen Individuums (vgl. Majetschak 2007, S. 109). Sichtbar wird dies unter anderem in globalen Rankings wie der Künstlerliste für die documenta (vgl. 3sat, 2012) oder den artfacts (vgl. artfacts.net 2001). Es herrscht vorwiegend Einzelnamenmentalität. Und dies trotz etablierter Konzepte von „kollektiver“ (Strunk 2000) oder „multipler“ Autorenschaft (Clegg/Guttmann 2007, S. 8). Aktuell zeigt sich jedoch neu ein verstärktes Interesse an Kollaboration und Vernetzung (vgl. Billing, Lind et.al. 2007).
Die Auseinandersetzung mit kollaborativen Positionen – Multiplen, Gruppen, Kollektiven, Teams, die dezidiert aus mehr als zwei Mitgliedern bestehen – wird gerade deshalb relevanter, weil die Begriffe und Konzepte des Kollektivs und der Kollaboration eine gewandelte, juvenile Berücksichtigung erfahren (Richard 2008). Die künstlerischen Aktivitäten sind immer stärker verschränkt mit den wachsenden, medialen Kollaborationsformen. Latours Konzept der Hybriden, der Mischwesen (Schroer 2008, S. 362) klingt hier an. Gemeint ist, dass sich nicht-menschliche und menschliche Wesen „immer stärker miteinander vermisch[en], vermeng[en] und vernetz[en]“ (ebd.). Neu taucht damit auch die Frage auf, ob sich kollaborative Konzepte der Kunstpraxis im Kontext der nun mehr alltäglichen „kollektive[n] Intelligenz“ (Lévy 1997) verorten lassen und wie diese konkreten Strategien tatsächlich beschaffen sind. Es lässt sich erahnen, dass eine klassische Dichotomie – Kollektiv- vs. Einzelkünstler – aktuell nicht mehr als zutreffend erscheint. Umso drängender ist eine spezifische Exploration im Feld kooperativer Formen in der Bildenden Kunst. Deshalb gehe ich im Rahmen meines Forschungsprojektes der Fragestellung nach, welche Formen kollaborativer Strukturen sich in aktueller künstlerischen Tätigkeit ausfindig machen lassen und welche Rückschlüsse sich aus diesen Strategien für kunstbezogene Bildungsprozesse ziehen lassen.
So führen meine Überlegungen zu den Fragestellungen nach den Bewegungen, Richtungen und Tendenzen im Bereich der vernetzten Kunstpraxis heute, den zeitgenössischen ästhetischen Gemengelagen unter aktuellen Bedingungen. Material für meine Forschung sind u.a. Interviews mit KünstlerInnen in Bezug auf Kollaboration. Im Folgenden lesen sie Ausschnitte aus dem Interview mit Thomas A. Schmidt, der Teil der Künstlergruppe inges idee ist (Berg/Baier 2001; Fricke 2007). Neben Schmidt, der in Köln lebt und in Mainz lehrt, gehören Axel Lieber aus Malmö sowie Hans Hemmert und Georg Zey aus Berlin zu der vierköpfigen Künstlergruppe. Gegründet haben die vier inges idee im Jahr 1992. Jedes der Mitglieder führt neben der kollektiven Identität auch ein Leben als Einzelkünstler. Innerhalb von inges idee arbeiten die Teilhaber ausschließlich für öffentliche Ausschreibungen, sprich: Arbeiten im öffentlichen Raum, Public Art, Kunst am Bau, Kunst und Bau.
Die Fragen in folgendem Gespräch beziehen sich auf ganz konkrete alltägliche Abläufe und das Selbstmanagement von inges idee, auf das hybride Phänomen künstlerischer Zusammenarbeit und auf die spezifischen Formen, Sprachen und Probleme, welche sich aus dieser ergeben.
Die Künstlergruppe selbst blickt auf eine sehr tiefe Auseinandersetzung zurück, in der es über Jahre immer wieder um die Frage geht, welche Werkzeuge sich für das gemeinsame Entwerfen, das gemeinsame Entwickeln von visuellen Produkten eignen. Bedingung hierfür, so bestätigt sich im Interview, scheint die vorhergehende individuelle Entwicklung, die Thomas A. Schmidt nicht ohne Schmunzeln als eine Art notwendiges Reenactment des romantischen Einzelkünstlerideals begreift, aus dessen Erfahrungsschatz für die Arbeit in der Gruppe geschöpft werden kann und muss. Dabei stellt sich der Künstler auch die Frage, inwieweit das Mittel der Sprache dominantes Werkzeug wird oder welche weiteren Vermittlungsebenen den kollektiven Entstehungsprozess tragen. Induktiv stößt das Quartett auf sozialpsychologische Erkenntnisse, die sich im Bereich der Gruppenmoderation oder der Kreativitätstechnik ansiedeln lassen. Dabei erinnern manche Vorgehensweisen von inges idee an das, was John Cleese in seinem Vortrag „On Creativity“ mit Verweis auf Robin Skynner benennt (Cleese 1991): Der Wechsel zwischen open mode und closed mode. Gemeint ist ein Wechsel zwischen Zuständen bei der Entwicklung neuer Ideen. Der open mode entspricht dem Zustand im Team, bei dem sämtliche Vorschläge geäußert werden. Sie dürfen zu diesem Zeitpunkt nicht bewertet oder mit rationalen Maßstäben auf ihre Durchführbarkeit überprüft werden. Der closed mode stellt genau das Gegenteil dieses Zustands dar: Die Schar an Ideen wird überprüft und auf Praxistauglichkeit getestet. Diese Erarbeitung passender modi für die kollaborative Künstleridentität wird beschrieben als ein unendliches Austarieren zwischen den Teilhabern an inges idee und ihren ausdifferenzierten Subsystemen individueller künstlerischer Ausdrucks- und Schaffensformen. Thomas A. Schmidt vergleicht das eigene System inges idee mit einem Testprogramm, einer Art Computersimulation als Testlauf für Ideen. Und es geht darum, ein Surplus im Vergleich zur Einzelkünstleridentität zu erreichen, das in diesem Wir verborgen liegt.
Gesa Krebber
Köln, 23. Januar 2012
Inges Idee, das sind vier Jungs, damals waren es noch Jungs. Wir haben uns 1992 zusammen getan, die Mitglieder sind Axel Lieber aus Malmö, Georg Zey und Hans Hemmert aus Berlin, und … ich hatte damals auch schon in Köln gewohnt.
Jedes inge-Mitglied hat zwei Identitäten, einmal als Einzelkünstler und einmal als Gruppenmitglied. Natürlich ging es zu Anfang darum, eine Infrastruktur herzustellen. Und das heißt ein Büro, ein Telefon, ein Briefkopf, ein Computer, eine Art Anfangsarchivierung von unseren Vorgängen in Form einer Ideenbank und eine geschäftliche Grundlage: Wir haben eine GbR gegründet, das ist die einfachste Form für eine Gesellschaft. Insofern lief das parallel ab: Nach außen eine Identität herzustellen, also eine Folie, ein Formular; und nach Innen eben diese Frage, wie man gemeinsam entwirft.
Jeder hatte schon erste Schritte gemacht, eine eigene Künstlerkarriere versucht. Es war bei jedem unterschiedlich erfolgreich. Die Zusammenarbeit entstand nicht im universitären Kontext, sondern danach – einfach als eine strategische Entscheidung, zu fragen, wie kriege ich ein zweites Standbein als Künstler. Wie kann ich mich auch gedanklich breiter aufstellen.
Das ist immer an einen Wettbewerb als konkreten Anlass gebunden. Deswegen funktioniert es auch schon so lange, weil es einen sehr pragmatischen Hintergrund hat. Ich habe etwas Bestimmtes zu bedenken, zu besprechen und zu einem Abgabetermin zu lösen, und dann geh ich wieder zurück in meine zweite Identität und kann das reflektieren aus einem Abstand. Was passiert da eigentlich bei inges idee? Das war immer ein ganz guter Rhythmus, damit man nicht aufgefressen wird von dieser Idee und den Abstand behält.
Es war erst einmal eine Behauptung, dass die Arbeit mit inges idee uns als Einzelkünstler bereichern könnte – im doppelten Wortsinn nämlich, dass wir damit Geld verdienen können und auch durch die Erfahrungen und das Können des anderen zu profitieren. Eine ganz zentrale Erinnerung an die Gründungszeit von inges idee Anfang der 90er Jahre ist, dass wenige Künstler/-innen in der Lage waren, sich vorzustellen, dass man sich etwas teilt und danach mehr hat als vorher. Die Teile müssen sich aber ergänzen, sonst funktioniert es nicht. Wenn zwei Leute dasselbe können, dann kann man es auch alleine machen.
Wenn wir bei inge sind, sprechen wir nicht über die individuellen Arbeiten. Wenn ich zu Hause bin, dann versuche ich, inge zu vergessen. Das eine ist immer Urlaub vom anderen. (lacht)
Vielleicht eine interessante Beobachtung: In den ersten Jahren war inges idee natürlich schwächer als das eigene Werk. Wir waren über 30 als wir uns zusammen getan haben. Jeder hatte eine starke künstlerische Haltung entwickelt. Jeder hatte für sich dezidiert an etwas gearbeitet. Und das war am Anfang auch ein Problem. inge war zunächst ein Leichtgewicht, weil wir wenige Ergebnisse hatten. Die Präzision, mit der man als Einzelkünstler über die eigene Arbeit denkt, war erst mal nicht möglich. inge war das zweite Bein. Und das andere das Richtige. Das hat sich aber dann mit der Zeit sehr stark ausgeglichen und durch die Dichte der inge-Arbeit kann man das jetzt eher als gleichgewichtig sehen.
(Lacht) Ja, man muss dazu sagen, viele Künstler, die ich kenne und die uns schon lange kennen, sind etwas neidisch, weil sie eben diese Möglichkeit nicht haben sich zu entlasten, dieses Pendel herzustellen.
Als Einzelkünstler entdeckt man für sich selber ja Techniken, wie man im Atelier und außerhalb des Ateliers arbeitet, in welchen Rhythmen, welchen Anspannungen und Entspannungen. Das meiste davon ist nonverbal. Ich kenne viele Leute, die im Atelier sitzen und das mit sich selber ausmachen, und zwar anhand von etwas. Also im klassischen künstlerischen Sinne gedacht: Da ist ein Gegenüber und man hat ein Gespräch mit dem Gegenüber – was immer das auch ist, ob ein Bild, eine skulpturale Arbeit, ein Video – man hat etwas, was einen anguckt.
Und jetzt gemeinsam über Sprache zu entwerfen, ist natürlich etwas, das man erst mal lernen muss, weil es eben ein anderer Modus des Entwerfens ist.
Wir dachten anfangs, wir können nur über Sprache kommunizieren. Das war in den ersten Jahren auch tatsächlich hauptsächlich der Fall. Wir haben uns zusammengesetzt und haben ganz viel geredet. Einfach aus der Vorstellung heraus, dass jeder Künstler für sich zwar ein Werk haptisch realisieren kann, dass man aber zu viert zu keiner gemeinsamen plastischen Form findet.
Kunst über Sprache konzeptuell zu entwerfen ist natürlich etwas, das man erst mal erlernen muss. Das geht aber nur bis zu einem bestimmten Grad. Wir sitzen da und einer sagt: Wir machen ein Pferd. Und der andere: Lieber einen Esel. Und man weiß, es wird irgendwas mit vier Beinen. Aber am Schluss dreht man sich extrem im Kreis, weil man nicht sieht, was genau gemeint ist.
Wie kann man sich aus dieser Unschärfe, die Sprache ja doch letztendlich hat, retten? Bei uns ging das über eine riesige Spielzeugkiste mit Plastikfiguren vom Flohmarkt. Da kann man reingreifen und sagen: Meinst du dieses oder jenes? Und so klärt sich das mit dem Pferd oder Vierbeiner. Langsame Prozesse, in denen man sich nach heftigen Missverständnissen in den ersten Jahren auf das Sichtbare hin begibt, um zu sagen: Lass doch mal sehen, was meinst du denn? In unseren ersten Jahren wurde auch immer irgendwie gezeichnet oder eben anhand von Figuren verhandelt. So können wir Gedanken, Sprache und Bilder abgleichen und rausfinden, wo der genaue Punkt ist, wo alle sagen: Ja ich geh mit. Das ist der eigentliche Prozess.
Das ist glaube eine Filemaker-Datenbank mit Such- und Schlagwörtern. Das hat eine gewisse Ordnung, man findet auch nach Jahren Sachen wieder. Texte und Bilder. Wir bräuchten eigentlich einen Gehilfen, der dabei sitzt wenn wir brainstormen und das Zeug dann direkt weiterverarbeitet.
Wir haben ungefähr 500 Bilder in der Datenbank gesammelt, aber irgendwann haben wir das wieder aufgegeben. Es hat uns ein paar Jahre lang sehr geholfen, überhaupt diese Frage nach einer Systematisierung und Kategorisierung zu stellen. Es war gut, sich zu fragen, wo man bestimmte Ideen hinlegen oder einordnen würde und woran man solche Einordnungen festmacht. Daran sind wir teilweise auch gescheitert. Das Material ist einfach zu komplex
Ich habe inzwischen angefangen, das Ganze nach verschiedenen Entwurfstypen zu sortieren: Figürliche Arbeiten, found footage…… Auf vergleichenden Blättern sind dann jeweils ca. zehn Projekte drauf, die mit ähnlichen Formen arbeiten oder mit einer ähnlichen Entwurfsidee. So kommt man sich auf die Schliche, dass man über Jahre immer wieder auf bestimmte Denkfiguren und Strategien zurückgreift. In dem Moment, wo man das macht, merkt man das gar nicht. Und dann, in der Zusammenschau fällt auf: Ok, jetzt sind es wieder Kugeln, wieder eine Addition, wieder eine Skalierung mit einer Verzerrung oder eine Oberflächenspiegelung. Es zeigen sich so zentrale Entwurfsmodelle.
Ja, sozusagen in einer Selbstanalyse der Gruppenideen. Die werden ja immer vielfältiger. Du kannst nicht mehr beantworten, wer der eigentliche Autor ist. Man muss ständig Hin- und Herswitchen zwischen manchmal divergierenden Urteilen und Vorstellungen, die man als Einzelkünstler hat und als Gruppenmitglied. Das ist ein anstrengendes Training, flüssig von der eigenen zur gemeinsamen Haltung zu wechseln und eben nicht dran zu verzweifeln. Das Wir im Ich integrieren.
Das ist wahrscheinlich Schulwissen, aber wir wussten halt anfangs nicht, dass man am in der ersten Ideenphase alles zulassen sollte, was gedacht und gesagt wird, und dass in dieser Phase nichts zensiert wird durch eine höhere Instanz, die sagt: Das geht nicht. Das kostet zuviel. Das ist Quatsch. Killerargumente muss man am ersten Tag unterdrücken. Man braucht eine Art von Choreographie, eine Vereinbarung, die jeder dann irgendwann so stark verinnerlicht hat, dass er sie auch nicht bricht. Im Kollektiv zu arbeiten geht nur über solch eine vorherige Vereinbarung oder durch schmerzhafte Erkenntnisse im Prozess.
Nach dem ersten Brainstorming nimmt jeder seine Idee oder seine Vorstellungen mit, wie es weitergehen könnte, jeder entwirft selbständig weiter – alleine. Dann schickt man diese Visualisierungen ohne Kommentar einfach als Mail nach Schweden und Berlin und wartet aufgeregt auf Reaktionen. Und wenn dann Schweigen im Äther ist, dann heißt es, es war nix oder die anderen haben es nicht kapiert. Dann ist man ernüchtert. Manchmal kommt eine euphorische Reaktion und man weiß, man hat einen Treffer gelandet. Also ein sehr gutes Testprogramm.
Für die interne Kommunikation ist der Computer hilfreich, weil wir ja in Berlin, Köln und Schweden wohnen und ganz viel per Mail arbeiten. Wir können inzwischen auch schnell digital visualisieren. Das Zeichnen und Entwerfen in Photoshop ist ein wahnsinniger Gewinn, dass man quasi die Bilder echtzeitmäßig am Tisch entwirft. Dann collagiert man Sachen, skaliert, fügt räumlich in Situationen ein.
Bei der Kommunikation nach außen ist es immer wichtig, Menschen, die vielleicht kunstfern sind, die Möglichkeit zu geben, unsere Wettbewerbsbeiträge zu verstehen.
Dazu machen wir 3D-Animationen, Plakate, Booklets, Powerpoint-Vorträge neben den klassischen plastischen Modellen.
In den letzten Jahren ist sehr viel in der Kunst passiert in Richtung Entmaterialisierung, das hat viel mit den Computern zu tun, aber auch mit einem allgemeinen Wandel. Weil Leute sehr mobil geworden sind, hat sich das Verhältnis zum Körper und zum Körperhaften möglicherweise verändert.
Bei inges idee ist trotz des Einsatzes von neuer Technologie meistens eine ganz klassische skulpturale Präsenz das Ziel des Entwurfs.
Das ist das, was mich am meisten erfreut an inges idee, dass es nie – soweit ich mich erinnern kann – zur Frage der Autorenschaft Stress gab, weil wir erlebt haben, dass das Geniale oft passiert, wenn wir zusammen sitzen. Wir spielen sozusagen Tischtennis zu viert und irgendwann hört man das KLING und dann ist da irgendwas passiert.
Wir hatten das nicht absichtlich so geplant, aber es ist vielleicht ein angenehmer Nebeneffekt, die Künstlergruppe inge zu haben. Ich finde es entlastend und extrem tröstend. Wenn ich jetzt alleine einen Wettbewerb verlieren würde, würde ich zu Hause sitzen und heulen. Da inge mich ja tröstet, geht der Schmerz natürlich schneller weg. Sie ist schon auch so ’ne Mutter, die einen an die Brust nimmt, wenn es schwierig wird (lacht). Insofern stimmt das Bild natürlich schon. Als Einzelkünstler ist man schutzloser.
Der einsame Künstler ist eine historische Figur für mich, die aus der deutschen Romantik stammt. Auf dem Dachboden sitzen und sozusagen eine Randfigur in einer spießigen Gesellschaft zu sein, die etwas anderes repräsentiert als die anderen. Das Klischee hat sich meiner Meinung nach sehr überlebt. Wir sind in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die auch gelernt hat, besser zu kommunizieren und soziale Prozesse vielleicht auch besser zu verstehen als noch in den 1950er und 1960er Jahren, wo viel über autoritäre oder mystifikatorische Gesten geregelt wurde. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Für junge Künstler ist die Schwelle für Gruppenarbeit niedriger geworden, es gibt ja inzwischen ganz viele.
Viele Leute staunen, dass wir seit zwanzig Jahren zusammenarbeiten, das wird als ungewöhnlich betrachtet, weil es eben nicht zu dem alten Künstlerklischee passt.
Ich beobachte, dass manche Studienanfänger Angst haben vor genau dieser Frage: Wer bin ich. Und wie halte ich mich selbst aus? Folglich müssen sie rausfinden, was das heißt, Kunst zu machen. Das ist eine anfängliche Dramatik: Ich muss das selbst irgendwie gestalten. Das kann mir niemand wegnehmen und auch dabei kann auch keiner helfen.
Ich glaube, dass unsere Hochschule eine Altersphase abbildet zwischen 20 und 30, wo eigentlich dieser Individualisationsprozess stattfindet. Sozusagen: „Ich muss mal wirklich diesen romantischen Künstler auf dem Dachboden nacherleben.“ Das ist eine wichtige Phase. Meine Beobachtung zeigt, dass die Leute in ihre ureigenste Enge gehen und zum teil auch an sich selber verzweifeln. Dabei aber auch eine sehr starke Selbstsicherheit entwickeln. Das kann man, glaube ich, in der Künstlergruppe, zum Beispiel wie bei uns zu viert, nicht so gut herausfinden. Wenn man sich später als Gruppe zusammentut, dann hat jeder für sich diese individuelle Erfahrung, die tief ist, hinter sich. Jeder kann sagen: Ich kann zwar wenig, aber das kann ich. Das gibt einem den Stand in einer Gruppe.
Trotzdem glaube ich, dass es auch für Studierende sehr spannend sein kann, das auszuprobieren und es wird ja auch gemacht.
Die Vorstellung von einem isolierten Künstler ist für mich völlig idiotisch. Das hat noch nie funktioniert. Wenn der mittellose van Gogh in seinem letzten Lebensjahr fast 300 Ölbilder malen konnte, hatte er einen Geldgeber. Ich glaube, er war ganz gut vernetzt und informiert. Da sind so viele falschen Vorstellungen am Start. Die Fähigkeit, zu kooperieren und zu kommunizieren ist sehr individuell ausgeprägt. Wenn man die als Künstler hat, ist das sicher sehr hilfreich, sowohl ökonomisch als auch als Anregung für die eigene Arbeit. inges idee arbeitet oft mit Architekten, Künstlern und Kunstvermittlern zusammen.
Als Künstlergruppe bezieht sich unser gemeinsamer Wille auf zweierlei: Einmal ganz profan Geld verdienen. Und das andere ist einen gemeinsamen kreativen Prozessen zu erleben, was man als einzelner Künstler im Atelier so nicht kann. Also eine Differenz zu dem erleben, was ich selber machen kann, sonst würd ich’s alleine machen. Es gibt sozusagen ein Surplus durch unsere Treffen. Worin genau der besteht, das kann ich nicht genau sagen. Es ist wahrscheinlich einerseits der kommunikative Spaß und andererseits die Inspiration. Man holt aus sich selber Sachen heraus, von denen man gar nicht wusste, dass die in einem drin sind. Ich kann Sachen aus mir hervorrufen, die ich sonst in meiner künstlerischen Praxis nicht hervorrufe. Zum Beispiel Humorgeschichten. Und in dem Moment gibt es dann vielleicht so etwas wie Identität über meine eigene Identität hinaus. Ein lustiges Wesen auf jeden Fall, die kollektive Imagination.
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Der Text ist durch ein partizipatives System der Begutachtung und Kommentierung von wissenschaftlichen Beiträgen durch die Fachcommunity („Open-Peer-Review“) gegangen, das die zkmb bis September 2019 verwendet hat. Für die Dauer von zwölf Monaten konnte der „Text im Diskurs“ von allen Personen der Fachcommunity durch öffentliche und namentlich gekennzeichnete „Reviews“ kommentiert werden. Nach Ablauf dieser Zeit hatten die Autoren/innen die Möglichkeit, ihren Artikel zu überarbeiten und dabei gegebenenfalls Hinweise der Reviews einzuarbeiten. Die endgültigen Publikationen wird hier zusammen mit den daran geknüpften Reviews veröffentlicht.