Kollaborative Praktiken. Zwischen kunstvermittelnder, kuratorischer und künstlerischer Praxis

Wo und in welchem Kontext arbeitest du als Kunstvermittlerin?

Seit 1993 arbeite ich in unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen (Honorarvertrag, Werkvertrag, Festanstellung) als Kunstvermittlerin und Kuratorin in der Kunsthalle Osnabrück, einem institutionellen Ausstellungs- und Vermittlungsraum, der sich der Kunst der Gegenwart und ihren zeitgenössischen Diskursen widmet.[1]

Ich hatte von Anbeginn in unterschiedlichen Zusammenhängen Kontakt zu dieser Institution. Angefangen hat es im Rahmen eines Volontariats. Ich habe aus einem Interesse für Ausstellungen und museales Vermitteln nach einem Wirkungsort, nach einer Verlinkung gesucht. Mit dem damaligen Direktor André Lindhorst habe ich dann angefangen über Ausstellungen nachzudenken. Er begann damals dort als Archäologe, kam also aus einem ganz anderen Kontext und sollte dann eine Institution für zeitgenössische Kunst aufbauen und leiten. Wir sind dabei nicht nur ins Gespräch über das Kuratieren gekommen, sondern er hat in den ersten zehn Jahren viele Dinge ausprobiert, die ich mitgetragen habe. Ich kann das für meinen Teil nicht Kuratieren nennen – noch nicht, würde ich sagen – aber ich habe über das Machen von Ausstellungen nachgedacht und konnte mich auch selbst erproben, indem ich eigene Ausstellungen mit lokalen Künstler*innen organisiert habe. Das Besondere des Ausstellungsraumes, einem ehemaligen Kirchenschiff, spielte eine wichtige Rolle im Rahmen meiner ersten Erfahrungen, künstlerische Arbeiten darin einzurichten. Auch Überlegungen und erste Konzepte, wie ein Publikum mit diesem Ort in Kontakt kommen könnte, fallen in diesen Zeitraum. Was für ein Raum mit einer Höhe von über zwanzig Metern! Ein immenses Raumvolumen, dem die eigene physische Bemaßung im ersten Moment wenig entgegenzusetzen hat. Wie diese Situation, diesen Raum erfahrbar machen? Wie ein Staunen über diese Architektur gleichzeitig bewahren? Wie eine vielleicht nicht immer mit eigenen Erwartungen konforme Kunstausstellung vermittlerisch öffnen – und doch in einen Ermächtigungsprozess umleiten, der emanzipierende Momente aufweist? Da gab es so ein Initialisierungsmoment, als mir aufgefallen ist, dass das Kuratieren eigentlich immer eine Auseinandersetzung mit dem Menschen und dem Raum ist. Mit denjenigen Menschen, die künstlerische Arbeiten in diesem Raum zeigen wollen und denjenigen Menschen, die sich mit dem, was dort passiert, auseinandersetzen wollen – oder sollen. Und das spiegelt sich auch in den Vermittlungseinheiten, die da drinstecken.

Die Kunsthalle als Institution hat sich mit den nächsten Direktionen weiterentwickelt und parallel hat sich auch mein Verständnis von Kuratieren und Vermitteln erweitert, wurde geprägt und ausgeprägt durch die einzelnen Leitungen und die Konzepte, die dort vorgestellt, umgesetzt und diskutiert wurden.

 

Wie würdest du beschreiben, was sich verändert hat seit den 1990er Jahren, als du angefangen hast, in der Kunsthalle zu arbeiten, im Vergleich zu dem, was ihr heute macht? Spielt dieses Zusammenarbeiten und das Gemeinsame – also dass Kunst nicht nur abgeliefert und ausgestellt wird, sondern etwas macht mit den Menschen, die in dieser Institution tätig sind – jetzt eine größere Rolle?

Mein Verständnis einer gemeinsamen vermittlerischen und kuratorischen Praxis im institutionellmusealen Kontext hat sich fortwährend und parallel zur Entwicklungsgeschichte des Hauses verändert. In den ersten Jahren des Bestehens der Kunsthalle ging es noch um eine strikt ausstellungs- und werkadressierte Vermittlung, die auch zunächst als eine Basis für eine generelle Legitimierung erarbeitet werden musste. Doch im Laufe der Zeit hat sich das Verständnis von Kunstvermittlung immer wieder stark gewandelt. Inzwischen geht es um eine Vermittlung, die nicht mehr als sekundärer, nachgeschalteter Vorgang verstanden wird, sondern sich selbst als Raum für Aushandlungsprozesse versteht und die sich um Publikumsbeteiligung bemüht. Dies erprobe ich in unterschiedlichen Kontexten und gemeinsam mit einem multiperspektivischen Team von freien Vermittler*innen (wir sind zu zwölft!) und internen wie externen Kolleg*innen. Beispielsweise wurden neue Formen von Vermittlung in Zusammenarbeit mit Julia Draganović, Susanne Bosch, Manila Bartnik, Sibylle Peters, Rosalie Schweiker und Simon Niemann sichtbar. Ein Netzwerk von Kolleg*innen konstituierte sich. Bis heute tauschen wir uns aus, arbeiten gemeinsam, streben auseinander und bilden anschließend wieder temporäre Arbeitsgemeinschaften.

Im Zeitraum von 2014 bis 2018 war die Kunsthalle Osnabrück zudem Teil des CAPP/Collaborative Arts Partnership Programme, einem Netzwerk von neun europäischen Partner*innen, zu denen Agora (Berlin), Create Ireland (Dublin), Hablar en Arte (Madrid), Heart of Glass (St. Helens, UK), Live Art Development Agency (London), Ludwig Museum (Budapest), M-Cult (Helsinki) und Tate Liverpool gehörten.2 CAPP ist dann in der Institution Kunsthalle mit der Fragestellung gelandet, wie ein gemeinsames Denken von Kurator*innen und Vermittler*innen und auch ein gemeinsames Handeln mit dem Künstlerischen in den institutionellen Raum kommen kann. Vier Jahre des Denkens, Aushandelns und Forschens in zahlreichen Workshops, Veranstaltungen und Residenzprogrammen für Künstler*innen folgten. Das beschreibt einen weiteren Initialisierungsmoment für die theoretische wie praktische Weiterentwicklung meiner kunstvermittlerischen Arbeit.

Ein besonderer Moment markiert für mich das Jahr 2017. CAPP hatte damals begonnen, während der regelmäßigen Zusammenkünfte der Beteiligten öffentliche Veranstaltungen zu organisieren, um kollaborative, künstlerische Praktiken, die den Kern ihrer Forschung bildeten, jeweils einem breiteren lokalen Publikum vorzustellen und dieses darin zu involvieren. Wir stellten unsere Präsentation dieser Reihe, die von den CAPP-Partner*innen „Staging Posts“ genannt wurde, unter dem Titel „Back to Babel“ vor. „Back to Babel“ kreiste um Herausforderungen, die mit Fragen zu Sprache und Kommunikation verbunden sind. Mir wurde bewusst, dass man in Teilhabeprozessen Verständigung auf der Basis einer gemeinsamen gesprochenen Sprache nicht voraussetzen kann. Kommunikation erfordert ständige Aufmerksamkeit und Fleiß sowie Empathie, Geduld, Durchhaltevermögen und Mut. Das Verhältnis zwischen Kommunikation und gesprochener Sprache blieb weiterführend ein neuralgischer Punkt nicht nur bei transeuropäischen Projekten wie CAPP, sondern auch als Impuls für die Arbeit mit beispielsweise schulischen Partner*innen in Räumen unterschiedlicher Lehr- und Lernkonstruktionen. Es ist schön, eine so reiche, inspirierende, kritische und gleichermaßen zugewandte Vielzahl an Stimmen und Perspektiven im unmittelbaren Arbeitsumfeld zu wissen – und gleichzeitig in einem Haus zu arbeiten, in dem immer wieder neue „Verbündete“ mein Anliegen und mein Arbeitsfeld inspirieren und unterstützen.

 

In welchem Verhältnis siehst du das Kuratieren und Vermitteln?

Mit Eva Randelzhofer, die aus der Perspektive der Künstlerin über Autor*innenschaften in partizipatorisch angelegten Kunstprojekten nachdenkt, möchte ich diese Frage um die Dimension der künstlerischen Praxis ergänzen. Sie findet meiner Meinung nach ein treffendes Bild für das Zusammenbinden des Kuratorischen, Vermittlerischen und Künstlerischen und vergleicht es „[…] mit drei Texten, die man nicht hintereinander als abgeschlossene Werke liest, sondern als drei Texte, die miteinander sprechen, die miteinander verzahnt sind und so einen neuen Text generieren“ (Randelzhofer 2015: 4).

Heute kann ich das eigentlich nur noch zusammen denken und praktizieren. Und gleichzeitig geht es auch immer um diesen Öffentlichkeitsbegriff. Wir liegen oft dazwischen, zwischen Publikum und Institution, zwischen Laien und Professionellen, zwischen Kunst und Öffentlichkeit. Deshalb ist Vermitteln auch zu erweitern um das Kuratieren und um das Künstlerische. Liegt also der Sinn von Kunstvermittlung außerhalb ihrer selbst, in ihrer eher allgemeineren Ermächtigung des Menschen?! Ich glaube: ja. Und ich glaube, dass einem immer klar sein muss, dass diese Öffentlichkeit und der Begriff von Öffentlichkeit ganz stark damit zu tun haben, vor allem, wenn man sich fragt, wie das miteinander verbunden sein kann. Denn am Ende wendet sich bei einer Ausstellung irgendwie alles in das Öffentliche, um dann aber wieder eine Retourbewegung zu machen, also nach innen zurückzufließen in die Institution.

 

Kannst du an einem Beispiel genauer beschreiben, was du mit diesem Zusammendenken des Künstlerischen, Kuratorischen und Kunstvermittelnden meinst?

Reiche Erfahrungen brachte für mich das Ausstellungs- und Beteiligungsprojekt mit dem Titel „24/7“ im Jahr 2013. Die Idee und das Konzept entwickelten Julia Draganović, die damalige Direktorin, und ich gemeinsam. Wir haben die leergeräumte Kunsthalle eine Woche lang, täglich 24 Stunden, für Interessierte mit dem Angebot zur öffentlichen Präsentation eigenständig erarbeiteter künstlerischer Positionen geöffnet. „24/7“ bot Raum für kreative Ideen, eine eigene Sprache und den individuellen Gestaltungswillen einzelner Akteur*innen. Dieses Konzept verfolgte eine zeitgenössische, künstlerisch-kuratorisch-vermittlerische Strategie, die dem System „Kunstinstitution“ Impulse gab: In der Zeit von „24/7“ fanden zeitgleich Performances, Bildausstellungen und Malworkshops in einem gleichberechtigten Nebeneinander statt. Weder kuratorische noch vermittlerische Vorgaben oder Konzepte bestimmten die Präsentationen im Raum.

„Das Glück des Zufalls“ brachte viele Menschen in einem Raum zusammen und produzierte eine Atmosphäre des Willkommenseins. Wir machten die Erfahrung, dass durch unser verändertes Ausstellungskonzept plötzlich ein ganz anderes Publikum in die Kunsthalle kam. Es gab Übernachtungen von Schüler*innengruppen, Nachbar*innen verabredeten gemeinsame Mittagspausen, nächtliche Klavierkonzerte lockten Nachtschwärmer*innen und Menschen ohne Obdach in einen temporären Schutzraum, der städtische Presseamtsleiter baute eine Großinstallation aus Holzklötzen … zahlreiche Momente des Zusammenseins diverser Publika schienen die Idee des vernetzenden Gemeinsamen, des Entgrenzenden, womöglich barriereärmeren Zugangs einzulösen. Ein solches „Versprechen auf immer“ lag in der Luft und konnte doch nicht eingelöst werden. Was zeitlich begrenzt einen Zauber entfalten kann, ist aber – absehbar – kein dauerhaftes Konzept für die Realität eines Ausstellungshauses.

Wie also weiter? Wie müssen wir Zugänge neu gestalten und organisieren? Ohne zu versprechen, dass alles allen gehört? Wie können wir institutionelle Ressourcen, sowohl materielle als auch ideelle und ebenso konzeptuelle Ressourcen eines öffentlichen Raumes, gerecht (um-) verteilen? In welcher Weise öffnet sich ein institutioneller Raum dann genau – und für wen bleibt ein Zugang trotzdem schwierig? Und was passiert, wenn nach vollständigem Verzicht auf Leitung/Kuratierung gerufen wird? Was bedeutet Kollaboration in der Praxis? Wie kann eine Institution in Einklang mit ihrem Auftrag einer der Öffentlichkeit bestimmten Rolle, in ihrer inneren, hierarchischen Konstruktion, eigentlich Teilhabe realisieren? Welche Autor*innenschaften wollen wir abgeben? Welche müssen wir als Institution selbst verantworten?Für mich wird hiermit ein weiteres Argument für eine gemeinschaftliche Arbeit deutlich, denn es stellen sich Fragen, die nicht Kurator*innen, Vermittler*innen oder Künstler*innen allein bearbeiten und beantworten sollten. Ein im Jahr 2014 realisiertes Ausstellungs- und Vermittlungsprojekt ging diesen Fragestellungen nach. Und setzte die Frage nach Raum und seiner Öffnung in einer zunächst minimalistisch anmutenden, konzeptuell-künstlerischen Arbeit von Michael Beutler und Etienne Descloux um. Künstler und Architekt haben ihre Rollen verbunden, vermischt, um den in „24/7“ begonnen Paradigmenwechsel fortzusetzen. Sie bauten eine Kirchenbank. Eine Kirchenbank, wie es sie in jedem Kirchenschiff gibt, die in der Regel aber eine auf den Chor ausgerichtete Sitzordnung aufweist. Anders diese Bank: Sie wurde als Bank für Akteur*innen des (ehemals sakralen) Raums konzipiert, die den Grundriss des Raumes nachvollzog, sozusagen umrundete und zunächst zu einem Dialog mit dem Raum selbst einlud (man schaute automatisch in die Höhe des Kirchenschiffs mittels der dafür geschaffenen Bankkonstruktion). Aber vor allen Dingen initiierte sie Begegnungen mit Sitznachbar*innen. Was sich nämlich als Kommentar auf Sitzordnungen generell (im Theater, in Konzerthallen, im Bundestag etc.) lesen lässt, war hier eine zuerst körperliche und dann handlungsorientierte Verwandlung einer Frontalausrichtung in ein auf Gruppenprozesse ausgerichtetes Setting.

Wenn also Vermittler*innen mit Künstler*innen über Lernstrukturen und deren körperlichen Rhetoriken sprechen, sind Bänke und Sitzordnungen in Klassenräumen plötzlich bewusster Untersuchungsgegenstand. Solche Nutzungsverschiebungen sind dann Anlass, die eigene Positionierung in Bildungssituationen zu reflektieren. Die 110 Meter lange Bank im Kirchenschiff bot annähernd 500 Sitzplätze und in der Mitte des Kirschenschiffs konstituierte sich ein Handlungs- und Verhandlungsraum – ein konzeptueller Raum für gemeinschaftliches Denken und Handeln. Ein Konzept, das sich ohne die eben formulierten Fragen nach Verlinkung innerinstitutioneller Perspektiven nicht denken lässt. Das haben wir damals zu verstehen begonnen. Dieses künstlerische Konzept beinhaltete nämlich zum ersten Mal eine Fragestellung nach Vermittlung. Die Frontalausrichtung als regulär im Raum festgeschriebene Sitzordnung verwandelte sich zu einem gegenseitigen Anschauen, regte zu gemeinsamer Betrachtung des Raumes an, öffnete den einzelnen Blick auf die anwesende Gruppe und im selben Moment auf sich selbst. Gemeinschaftsbildung, verbildlicht in einer sich immer wieder neu zeigenden Versammlung. Das Publikum bemächtigte sich der Bank auf unterschiedlichste Weise: Beispielsweise forschten verschiedene Gruppen gemeinsam mit eingeladenen Künstler*innen zu akustischen Potentialen des Bank-Materials Holz. Der institutionelle Ausstellungsraum etablierte sich als Handlungsraum, als ein Raum, der erstmals für eigenständige Experimente wahrgenommen und aktiviert wurde.

Um ein drittes Beispiel zu beschreiben, mache ich einen Zeitsprung. Aktuell, 2023, feiern wir das 30-jährige Bestehen der Kunsthalle. Aus diesem Anlass hat die Kunsthalle unter der Leitung der beiden aktuellen Direktor*innen Anna Jehle und Juliane Schickedanz Einladungen anAkteur*innen der lokalen Szene ausgesprochen. Für mich knüpft sich das an die Idee des „24/7“-Programms (vgl. oben). Wieder gibt es eine Carte Blanche, unter dem Titel „Bist Du bereit?“ Dieses Mal verbunden mit einem eigenständig zu verwaltenden Budget und der Freiheit, zu realisieren, was die jeweilige Person, Initiative oder der Verein zeigen oder tun möchte. Ein Teil der Ausstellungsfläche, der Neubau mit einer Fläche von ca. 200 Quadratmetern, ist für dieses Projekt reserviert. Zu „Bist Du bereit!?“ sind 30 „Geburtstagsgäste“ in aufeinanderfolgenden Zeitslots beteiligt (vgl. Kunsthalle Osnabrück 2023). Darunter auch der Kunst- Container der Heilpädagogischen Hilfe Osnabrück, der Menschen mit geistiger und/oder körperlicher Behinderung Raum für Kreativität und Selbstbestimmung bietet. Bemerkenswert war die Freigabe der kuratorisch-vermittlerischen institutionellen Autorität. Eine Woche lang war der KunstContainer Gast. Die Farbe Rosa stellte sich als gemeinsamer Nenner für kreatives Gestalten in der Gruppe heraus. Das Setting gestaltete sich als „offener Kunstraum“, in dem sich das Publikum mit den Teilnehmer*innen treffen, sprechen und künstlerisch arbeiten konnte. Gleichzeit gab es Begegnungen mit Schulklassen, die selbst entscheiden konnten, ob überhaupt und wie lange sie mitarbeiten wollten.

Gelang es uns, eine feste Rahmung vorzubereiten, die dann Entfaltungsprozesse, Verknüpfung und kreatives Arbeiten in Gang setzen konnte? Ich halte „Bist Du bereit?“ insbesondere deshalb für interessant, weil sich ein bisher wenig beschriebener Vermittlungsansatz hier noch stärker einlöst als damals bei „24/7“: das Moment der Beiläufigkeit. Es finden dabei zwar angekündigte Präsentationsmomente im Ausstellungsraum statt. Aber diese öffnen sich dem Publikum eher zufällig und vor allem beiläufig, während es sich durch die Ausstellung bewegt. Denn „es stellt sich“ eine arbeitende Gruppe des KunstContainers eher überraschend „in den Weg“. Eine Beteiligung wird hierbei für das Publikum nicht extra von der Kunstvermittlung organisiert, sondern kann sich aus einem eigenen, situativen Interesse ergeben. Und zwar in beide Richtungen: Die vor Ort arbeitende Gruppe des KunstContainers stellt kein „Vermittlungsangebot“ dar, sondern ihre Anwesenheit ist ein Anlass, kreativ zu werden. Nicht konzipierte, mit kalkulierten Erwartungen an Bildungsprozesse gerichtete Situationen werden hier organisiert, kuratiert oder vermittelt. Stattdessen ereignen sich Verlinkungen zwischen Menschen – einfach, weil sie da sind und sein dürfen in dieser Kunstinstitution – auf eine dem jeweils gerade stattfindenden Prozess entsprechende, beiläufige Weise. Vielleicht ist es das gemeinsame Malen in Rosa? Oder das Zusammenfinden anderer Interessen? Ich denke, dass in einem derart dem Prozess gewidmeten Raum ein hohes Maß an Zutrauen notwendig ist und im Tun überhaupt erst erlernt werden kann.

 

Was bedeuten diese Entwicklungen und Veränderungen für dein Verständnis von Kunstvermittlung und was verstehst du heute unter Kunstvermittlung?

Ich möchte hier Beispiele nennen, die für die Kunsthalle Osnabrück in ihrer Entwicklung ganz wichtig waren und auch mein Verständnis von Kunstvermittlung geprägt bzw. verändert haben: Zum Jahresthema „Enttäuschung“ 2020/21 war die Künstlerin Rosalie Schweiker in der Kunsthalle zu Gast. Für Rosalie ist Kunst ein soziales Ereignis, d. h. sie erarbeitet nicht alleine im Atelier Kunstwerke, die dann ausgestellt werden, sondern ihre Kunst entsteht gemeinsam mit anderen Künstler*innen und Menschen. Bei uns verband sie kuratorische, vermittlerische und künstlerische Aspekte, indem sie ganz praktisch die Ausstellungsmöglichkeit, also den Ausstellungsraum, der ihr zur Verfügung stand, öffnete: Sie teilte den institutionellen Raum, den kuratorischen Raum, den finanziellen Raum, den künstlerischen Raum, den vermittlerischen Raum mit zehn anderen Künstler*innen, und zwar mit Teresa Cisneros, Joon Lynn Goh, Sahra Hersi, Kerri Jefferis, Jean Joseph, Sarah Jury, Sofia Niazi, Rose Nordin, Lisa Rahman, Nicola Singh und Sam Whetton in dem Projekt „Crisis Communication“. Das fand ich sehr interessant. Auch ihre Arbeit selbst, die sich im Innenhof der Kunsthalle als Ensemble eines realen Hühnerhofs mit lebendem Inventar zeigte, verwies auf diesen Moment des Teilens. Wir hatten tatsächlich Hühner in der Kunsthalle.

Das war bemerkenswert, weil das eben nicht nur eine Vermittlung nach außen, an ein Publikum, aufrief. Damit war auch eine Vermittlungsanfrage an das Team des Besucher*innenservice und an das Vermittlungsteam gestellt. Ich möchte es „Vermittlung nach innen“ nennen. Nur, wie verhält es sich mit partizipatorischen Offerten? Wer sollte sich um die Hühner kümmern? Das war die große Frage und auch eine, die nicht so leicht zu beantworten war. Es war plötzlich zu klären, ob Vermittlung und Museumsaufsicht auch das Füttern von Hühnern beinhaltete und ob sich, wie anschließend geschehen, ein solcher „Care-Gedanke“ im Aufsichtsteam tatsächlich würde anregen lassen. Wenngleich die Beauftragung einer externen Person notwendig wurde, ist der vorgeschaltete Aushandlungsprozess ein weiteres Beispiel für die hier beschriebene Entwicklung einer Institution im Wandel. Da kommt Bewegung in die Frage, wie Vermitteln, Kuratieren und künstlerisches Arbeiten gemeinsam gedacht und auch praktiziert werden können bzw. müssen.

Wichtig ist für mich jedenfalls, dass wir uns die Zeit geben müssen, einander kennenzulernen, um dann gemeinsam arbeiten zu können. Und gilt das nicht auch für das Binnenverhältnis von Vermittlung, Kuratierung und diversen Publika?

Für mich beginnt „Vermittlung nach außen“ bei den Menschen, die in unsere Kunsthalle kommen. Und da beobachte ich manche Menschen, die kommen und die sich in Institutionen im Museumskontext, in Kunsthallen und in Häusern für Gegenwartskunst gut auskennen. Ich glaube, es gibt welche, die so eine Institution nicht fremd finden, die vielleicht schon öfter im Museum waren und sich eigentlich auch mit Vermittlung schon in Kontakt gesetzt haben oder sogar Fachpublikum sind. Wenn du z. B. in die Kunsthalle kommst, würde ich mit dir anders sprechen als mit anderen Menschen, die es nicht so gewohnt sind.

Aber hauptsächlich habe ich mit Menschen zu tun, die sich eben noch nicht auskennen, die nicht die Sprache sprechen, die ich z. B. mit dir oder einem Fachpublikum spreche, die sich unwohl fühlen oder zumindest auch überrascht, womöglich überwältigt sind von dem Raum Kunsthaus oder Museum. Das Konzept einer „Kunsthalle“ ist meist sehr exklusiv, es gibt viele Barrieren, die eine Vielzahl von Menschen daran hindern, in Berührung mit der dort ausgestellten Kunst zu kommen. In den Jahren 2021/22 hat sich die Kunsthalle Osnabrück deshalb ein interessantes, gesellschaftlich höchst relevantes Jahresthema gesetzt, es lautete „Barrierefreiheit“. Auch hier komme ich wieder auf das meiner Meinung nach passende Bild des „gemeinsamen Textlesens“ (vgl. oben) zurück „Barrierefreiheit“ führte mich zu zahlreichen, neuen Überlegungen. Mir wurde klar, dass die Kunstvermittlung noch stärker im Sinne einer Vermittlung der Räume, in denen sich die Kunst befindet, und der Beziehungen, die sich darin ereignen, agieren sollte. Denn bevor Kunst vermittelt werden kann, muss oft zuerst der Raum vermittelt werden.

 

Das heißt, der Raum an sich bzw. als institutioneller Raum wird in der Kunstvermittlung häufig noch unterschätzt?

Mir geht es dabei jetzt um eine Art Anwartschaft, auf einen berechtigten Anspruch auf die materiellen sowie immateriellen Ressourcen institutioneller Kunsträume wie der Kunsthalle Osnabrück. Darauf möchte ich achten. Meine Vermittlungspraxis ist daher eher eine Begleitung. Sie legt Wert darauf, dass sich Menschen wohlfühlen. Ich möchte auch verstehen, warum sie sich vielleicht nicht wohlfühlen. Wenn wir sagen und beteuern, dass alle eingeladen seien, dass wir die Institution „für alle öffnen wollen“, heißt das ehrlicherweise nicht, dass man auch damit rechnet, dass „alle“ kommen – und wie man „allen“ begegnet. Mein Verständnis von Kunstvermittlung orientiert sich an diesen Problematiken und ist in diesem Sinne von Menschen, Raumsettings und ihren innewohnenden Beziehungen motiviert.

Insbesondere diejenigen, die erstmal erfahren müssen, dass man sich in einem Museum frei bewegen kann, dass man willkommen ist, sich wohlfühlen kann, dass es gerade im schulischen Vermittlungskontext nicht so sehr darum geht, sich Informationen zu merken und danach abgefragt zu bekommen. Es sollte doch stattdessen erstmal darum gehen, überhaupt einen Ort für sich zu finden an dem Ort der Kunst, einen Ort, an dem man gut sprechen kann, an dem man sich verstehen kann und an dem man nicht das Gefühl hat, nicht willkommen zu sein. Deswegen beginnt Vermittlung schon viel früher. Wir starten übrigens, und das gilt für alle Schulprojekte, immer mit den ersten Terminen in der Schule selbst, d. h. in einem Raum, in dem die Gruppe, mit der man dann später arbeitet, „zu Hause“ ist.

 

Das heißt, ihr geht als Kunstvermittler*innen in die Schule?

Ja, wir trauen uns das zu. Und die Frage danach steht immer am Anfang, jedes Mal. Was könnte Lernen in der Kunsthalle bedeuten, wenn der Anspruch auf Belehrung einmal ausgesetzt würde? Vielleicht einmal nicht Urteile zu formulieren, sondern erstmal das Wahrnehmen als sinnliche Aktivierung zu lernen, überraschende Erfahrungen zu machen und darüber nachzudenken, was wir wirklich für Rahmungen benötigen, um das zu initiieren. Wir haben mit dem Vermittlungsprogramm „Schüler:innen für Schüler:innen“ im Jahr 2005 begonnen. Seither folgen wir der Idee, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Kontakt mit Kunst zu bringen. Es gibt in der Regel zehn Kooperationsschulen aller Schulformen und dementsprechend Schüler*innen aller Altersstufen, die ein Schuljahr lang mit uns zusammenarbeiten. Für die ersten Termine gehen wir in die Schule. Manchmal, um die Schüler*innen mit dem jeweiligen Ausstellungsthema in Kontakt zu bringen, manchmal aber auch, um die Klasse methodisch vorzubereiten und als Gruppe gemeinsam agieren zu lernen. Die ersten Beziehungen lassen sich gut an dem für die Schüler*innen bekannten Ort herstellen, besser als in der Kunsthalle selbst, die nicht nur architektonisch beeindruckend ist, sondern generell viele neue Eindrücke vorhält, inklusive dessen, dass ihnen ja plötzlich neue Personen begegnen, die nichts Geringeres als einen Erstkontakt mit Gegenwartskunst initiieren möchten. Erste Begegnungen finden also in der Schule statt. Erst anschließend machen wir uns auf den Weg in die Institution Kunsthalle und schauen, wie es da so weitergeht.

 

Wie startet ihr dann mit den Schüler*innen in der Schule?

Für den ersten konstitutiven Moment wenden wir oft „die Räumung“ an. Eigentlich sind es drei aufeinanderfolgende methodische Schritte, um den alltäglich benutzten Klassenraum neu zu erfahren, andere Perspektiven auf ihn zu erhalten und auch ungewohnte Handlungen auszuprobieren. Den meisten macht dieser Einstieg Spaß. Manchmal sind Gruppen auch überrascht und gleichzeitig zögerlich, ob beispielsweise der erste Schritt, das vollständige Ausräumen des Klassenraumes, wirklich passieren darf. Oder passieren soll? Gruppenentscheidungen, Verhandlungsprozesse, wie man sich auf welche Definition von „leerem Raum“ einigt, sind ein bewusster Teil im Rahmen des dreiteiligen Programms. Im weiteren Verlauf gibt es performative, körperliche Übungen und abschließend den sehr interessanten, dritten Teil, der die Aufgabe formuliert, das gesamte Mobiliar wieder zurück zu räumen, unter der Prämisse, dass alles sichtbar werden kann, nur kein Klassenzimmer.

Die „Räumung“ berührt dabei viele für das System Schule relevante Fragestellungen: Wer bestimmt die Vorgehensweise, was ist Gruppenarbeit? Wie wirken sich kollektive Entscheidungen aus? Wie fühlt sich das an? Welche Regeln kann man brechen, welche neuen entstehen dabei? Was ist künstlerisches Material bzw. machen wir gerade etwa Kunst? Im Moment einer solchen vermittlerischen Intervention kann Kunstvermittlung auch konträr zum vorhandenen System agieren und vorhandene, eingeschliffene Verhaltensmuster hinterfragen oder bewusst betonen. Welche Strategie dafür passend ist, darüber sollte in der Situation entschieden werden.

Was aber ebenso entscheidend für die Kunstvermittlung ist, und das zähle ich definitiv dazu, ist die Situation beim Eintreten in die Kunstinstitution selbst. Wie reagiert der Mensch, die Kolleg*in an der Kasse auf Besucher*innen, wenn diese als Gruppe oder als Einzelperson hereinkommen? Das im Blick zu behalten, ist ein wesentlicher Teil von Vermittlung, auch weil es immer noch fast unbemerkte Faktoren sind.

 

Das heißt, Kunstvermittlung ist nicht nur etwas, was ihr an die Besucher*innen herantragt, sondern was euch als Institution immer wieder auch innerhalb eures Teams beschäftigt?

Ja, und dazu gehört eben auch zu schauen, wie man auf eine barriereärmere Art und Weise dem Publikum begegnen, also Besuchende empfangen kann. Um ein praktisches Beispiel zu nennen: Wenn wir mit Gruppen aus der Heilpädagogischen Hilfe Osnabrück in Kontakt kommen und Menschen einladen, die zum Beispiel körperliche, seelische und/oder geistige Behinderungen haben, wenn z. B. jemand im Rollstuhl sitzt, dann ist es für diese Person als allererstes existenziell wichtig zu wissen, wo die sanitären Anlagen für Menschen mit Rollstuhl sind, und zwar noch bevor man irgendwie versucht herauszufinden, wie man jetzt als Vermittler*in mit dieser Person sprechen kann. Das zu verstehen, zielt natürlich nicht zuletzt auf das, was ich für Kunstvermittlung auch immer wichtig finde, nämlich Ermächtigungsprozesse in Gang zu setzen, damit man allein klarkommt.

 

Was aber nicht heißt, dass ihr nicht gebraucht werdet, oder? Sondern dass sich diese Positionen zwischen Kunst, Besucher*innen, Kunstvermittler*innen anders mischen?

Ja, dass sie sich anders mischen. Und vor allem, dass man tatsächlich methodische Wege findet, in dem Raum, von dem ich eben sprach. Nicht nur als Rollstuhlfahrer*in, sondern überhaupt als Mensch Wege zu finden, sich allein in diesem Raum zu orientieren und sich auch allein in Kontakt zu setzen mit dem, was da kuratorisch vorbereitet wurde. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, diesen Aspekt in der Vermittlung zu stärken, um möglichst nicht diese Situation zu haben, die wir als Vermittler*innen gerade in klassischen Begegnungsmomenten, wie einer Führung, gelegentlich erleben. Nämlich, dass dann nachher Personen kommen, aus der Gruppe, die mir für neunzig Minuten gelauscht haben, und hinterher sagen: „Frau Schulte, ohne Sie hätte ich das überhaupt nicht verstanden. Ich wäre vollständig aufgeschmissen, wenn Sie nicht […].“

Solche freundlich gemeinten Formulierungen, die ich in früheren Jahren oft gehört habe, sind eigentlich das Gegenteil von dem, was wir mit Vermittlung wollen. Uns geht es nicht um dieses „Ohne Sie wäre ich nichts“, sondern um das genaue Gegenteil, also „Ich bin hier, und ich werde willkommen geheißen und löse mich von einer anfänglichen Abhängigkeit“. Durch pragmatische Infos, zum Beispiel, dass Rollstuhlfahrer*innen besagte Info brauchen. Aus Besucher*innensicht heißt das, auch methodisch in die Lage versetzt zu werden, sich sprechberechtigt zu fühlen, gleichberechtigt zu sprechen mit denen, die diese Vermittlungssituation anleiten. Nicht einen Ort vorzufinden, an dem man sich überwältigt fühlt oder womöglich belehrt wird, sondern wo man sich einfach eingeladen und tatsächlich aktiviert, mobilisiert fühlt teilzunehmen.

 

Mit wem hast du bisher zusammengearbeitet? Welche Formen der Zusammenarbeit haben sich dabei ergeben?

Ich würde den Bereich der Vermittlung in der Kunsthalle tatsächlich als multiperspektivisch und vielfältig beschreiben. Hier sind viele Menschen, die in der Kunstvermittlung zusammenarbeiten, allerdings in unterschiedlichen Positionen und Rollenverhältnissen. Das heißt, es sind nicht alle festangestellte Kolleg*innen in der Institution, sondern es sind hauptsächlich freiberuflich arbeitende Menschen.

 

Jetzt speziell in der Kunstvermittlung oder generell im ganzen Team?

Ich bin gerade noch beim Team der Kunstvermittlung, bei dem außer mir alle freiberuflich arbeiten. Aber das gesamte Team besteht hauptsächlich aus Festangestellten. Da gibt es von vornherein Gedanken und Fragen an die inneren Strukturen einer Verwaltungsinstitution, die auch die Kunsthalle ist, und natürlich an die damit verbundene machtstrukturelle Situation, die immer wieder befragt werden muss. Das ist schon so ein Punkt, der im Vermittlungsteam immer wieder ein Thema ist.

Das Vermittlungsteam besteht aus freien Kunstvermittler*innen, aktuell sind es zwölf, die mit mir als Leitung zusammenarbeiten, die aber zum Teil in der Vermittlung auch temporäre, kuratorische Vermittlungsprojekte durchführen. Wir versuchen verschiedene Methodiken auszuprobieren und das definiert sich dann jeweils über die Perspektive, mit der die jeweiligen Leute kommen. Es gibt Literaturwissenschaftler*innen, genauso wie Künstler*innen, Kunstpädagog*innen oder Geolog*innen und Kulturwissenschaftler*innen. Wir hatten auch schon eine Psychologin im Team. Es sind also sehr unterschiedliche Perspektiven durch die jeweiligen Personen im Team vertreten. Außerdem legen wir großen Wert darauf, unser individuelles Wissensgebiet für das gesamte Team zu öffnen. So arbeiten wir in Schwerpunkten, die sich aus unseren persönlichen Kompetenzen ableiten, stellen aber Rechercheergebnisse, Materialien und Praxiserfahrungen im Rahmen von regelmäßigen Teamtreffen allen zur Verfügung. Wir teilen Wissen.

 

Welche Erfahrungen hast du in der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen gemacht?

Schule ist natürlich ein fester Bestandteil in meiner Zusammenarbeit mit anderen Institutionen. Aber im Unterschied zu anderen sind Schüler*innen nicht ganz freiwillig da, das muss man immer voranstellen. Im Rahmen von Schule gibt es verschiedene Akteur*innen, ebe auch Lehrer*innen, Kolleg*innen, Schulleitungen. Es gibt jeweils sehr unterschiedliche Orte, den institutionellen Raum Schule beispielsweise. Und es gibt natürlich auch verschiedene Haltungen zu den Vermittlungsansätzen der Kunsthalle von Seiten dieser verschiedenen Personengruppen, also Erwartungshaltungen, z. B. von Lehrer*innen. Deswegen haben wir in Zusammenarbeit mit dem Regionalen Landesamt für Schule und Bildung Osnabrück aktiv Lehrer*innenfortbildungen in unser Vermittlungsangebot eingeflochten, weil ich es wichtig finde, auch auf dieser Ebene zu arbeiten.

Mit der Institution Schule zu arbeiten, ist eine große Herausforderung, gerade wenn man in der Kunstvermittlung tatsächlich interessiert ist an Kollaboration und an Enthierarchisierung typischer Lehr- und Lernsituationen. Wenn man daran interessiert ist, dass es andere Methodiken gibt, die nicht möglichst schnell von A nach B führen, sondern gerade interessiert ist an Nebenwegen, an horizontalen Bewegungen, an nichtlinearen Denkbewegungen, aber auch an Experimentalbewegungen. Das ist mit Schule meist nicht leicht. Trotzdem finde ich das superspannend!

Meine erste Erfahrung mit Schule war natürlich deren klassisches Zeitkorsett: maximal neunzig Minuten Doppelstunde Kunst in der Kunsthalle, als Wandertag, also etwas, was außerhalb der Reihe passiert. Manche Schüler*innen haben richtig Lust darauf, manche überhaupt nicht. Es ging immer um eine Motivation, die ich merkwürdig finde, nämlich mit einer Aussicht auf Entertainment und mit der „Verteilung von Bonbons“, damit das alles irgendwie klappt.

Davon rate ich inzwischen ab, wenn jemand aus der Schule anruft. Der wichtigste Faktor für Vermittlung ist aus meiner Sicht die gemeinsame Zeit, gerade wenn die Ebenen der Beziehungskontakte noch nicht so ganz geklärt sind. Zeit, um zu verstehen, um überhaupt eine Sprache des Miteinander zu lernen, um Verhaltensweisen und Methoden auszutauschen, um Curricula zu erweitern. Also um darüber zu sprechen, was Kriterien sein können für das, was wir da in diesem Erfahrungsraum Kunsthalle anbieten können. Und auch um verständlich zu machen, dass es ganz anders ist als in der Schule – im besten Fall. Deutlich zu machen, dass dies kein Gegenangriff ist, dass es nichts Feindliches bedeutet, ist immer sehr wichtig. Und zwar nicht nur zu verbalisieren, sondern auch wirklich glaubhaft zu machen.

 

Ist das aus deiner Sicht ein Problem von Seiten der Lehrer*innen, dass Vermittlungsangebote als Angriff auf die Institution Schule empfunden werden?

Am Anfang gibt es häufig so ein Gefühl eigentümlicher Konkurrenz, welches nicht zuletzt dadurch entsteht, dass es in der Schule nicht ausreichend Zeit gibt. Oder viel zu selten Zeit für interessensgeleitete Prozesse, wie wir sie uns wünschen. Deswegen bin ich irgendwann darauf gekommen, Schulen einzuladen, aber eben nicht für einen einmaligen oder zweimaligen Besuch, sondern für eine Kooperation, die ein ganzes Schuljahr dauert. Viele Lehrer*innen aus der Schule verstehen dann plötzlich, dass es da eine Option gibt, wirklich mal etwas anderes auszuprobieren. Wenn der Kunstunterricht eben nicht in der Schule stattfindet, sondern an einem außerschulischen Lernort, der aber nicht unbedingt die Schule ersetzt, sondern die Idee von Lernen erweitert – also methodisch, inhaltlich, strukturell.

Dass in schulischen Kooperationen diese Art von Aufwertung und Anerkennung nicht immer einfach zu haben ist, beschreibt Gesa Krebber. Sie hat grenzüberschreitende Kooperationen von Schule und Kunstvermittlung in Kunstinstitutionen im Rahmen des Schulunterrichts untersucht und beschrieben (vgl. Krebber 2020). Also etwas, was diese beiden Partner*innen eigentlich wollen, was aber bei der Umsetzung auf zahlreiche Hindernisse stoßen kann. Eine manchmal konfliktreiche Situation. Ich möchte dazu Susanne Bosch zitieren. Sie beschreibt in einer Reflexion zu partizipatorischen Prozessen:

„Partizipation beinhaltet die Komponente des Kontrollverlusts. Genauso wie man sagen kann, kollektiv kommt man zu besseren und komplexeren Ergebnissen, da es zu guten Synergien kommen kann. Wenn die Aufgeschlossenheit der Beteiligten für Vielfältigkeit und Feedback herrscht, kann man auch den umgekehrten Fall erleben:Ideen können missverstanden oder fehlinterpretiert werden, Begriffe und Vereinbarungen werden anders definiert, eigene Interessen werden zurückgehalten oder nicht kommuniziert und dennoch umgesetzt, Macht und Kraft werden demonstriert.“ (Eckert/Bosch 2015: 59)

 

Würdest du sagen, dass es etwas gibt aus den Erfahrungen, die du mit dieser Art der Zusammenarbeit gemacht hast, was im übertragenen Sinne auch grundsätzlich für Formen der Zusammenarbeit gelten könnte?

Ganz bestimmt. Am Ende unterscheidet es sich gar nicht so sehr. Die Konsequenzen dessen, was man da erfahren kann, haben einerseits mit dem bereits erwähnten Zeitfaktor zu tun und andererseits mit Gelingensprozessen, die nur dann wahrhaftig sind, wenn man sie immer superkritisch anguckt und hinterfragt: Welche Haltung hat man selbst als Kunstvermittler*in, gerade im Hinblick auf die angestrebte „Unsichtbarkeit“? Welche Rolle übernimmt man in Situationen, in denen es nicht gelingt? Welche Rollen reaktiviert man, wenn Dinge irgendwie nicht zu bewerkstelligen sind, wenn sie doch so unerwartet sind, dass man denkt, irgendwie lenken zu müssen? Es ist immer eine kritische Selbstprüfung notwendig, um zu sehen, was da eigentlich gerade passiert. Welche Rolle habe ich gerade und welche muss ich freigeben? Welche darf ich nicht einnehmen und welche auch nicht zurückerobern?

 

Das zeigt auch, wie schwer es ist, aus diesen Mustern rauszukommen und andere Wege zu gehen. Hattest du da mal ein Erlebnis?

Während meiner Arbeit mit einer Gruppe von Schüler*innen vom Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte Osnabrück (LBZ) gab es einmal eine solche Situation, bei der wir in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Alison O‘Daniel im Rahmen der Jahresausstellung „Barrierefreiheit“ (vgl. Kunsthalle Osnabrück 2021) arbeiten wollten. Alison O‘Daniel hat selbst eine Höreinschränkung und im Austausch kam von ihr die Idee auf, die ebenfalls hörbeeinträchtigten Schüler*innen an ihrem künstlerischen Projekt für die Kunsthalle zu beteiligen. In Form einer Raumforschung lud sie die Schüler*innen ein, den Ausstellungsort auf Grundlage bestimmter performativer Übungen zu erkunden und Beobachtungen sowie Erfahrungen zeichnerisch zu dokumentieren. O’Daniel wollte diese anschließend in die visuelle Ausgestaltung der eigenen Arbeit und damit wieder in den Raum zurückspielen.

Das hielt ich für den richtigen Weg, grundsätzlich von der Idee her. Aber in der Praxis hat das nicht geklappt. Wirklich verrückt, weil es dann tatsächlich so war, dass sich zu wenig Schüler*innen das zugetraut haben. Es gab plötzlich eine Barriere zwischen der eigenen Begeisterung – „Oh, wow, ich soll Kunst mit einer so berühmten Künstlerin aus Los Angeles machen?“– und den eigenen Vorbehalten gegenüber diesem Ermächtigungsmoment. Und da denkt man, das ist doch eigentlich eine gute Idee, wenn eine Künstlerin, die Vermittlung und künstlerisches Arbeiten gleichbehandelt, ihre Arbeit für andere öffnet. Doch dann kommt einem diese Barriere entgegen. Das ist sehr lehrreich, denn es gibt so gut wie immer einen Aspekt, den man noch nicht bedacht hat und der aufdeckt, wo man lernen muss.

 

Zum Abschluss würde ich dich gerne fragen, wie du dir die Zukunft der Kunstvermittlung vorstellst? Und ob es Fragen gibt, die du anderen Kunstvermittler*innen gerne stellen würdest?

Was die Zukunft der Kunstvermittlung betrifft, da habe ich die Idee, dass das mit Gegenwart zu tun haben muss, unbedingt! Es ist nicht so inspirierend für mich zu denken, was sein soll, sondern es ist eher eine Lust, daran zu arbeiten, zu gucken und zu denken, was jetzt gerade ist und mit vielen Menschen darüber zu sprechen. Mich interessiert eigentlich am Ende auch wieder diese Gestaltung des Raums, in dem genau das möglich ist, mit unterschiedlichen Stimmen zu sprechen und dies auszuhalten. Das finde ich tatsächlich immer so ein großes Thema, was auch mit einer Zukunftsvision zu tun hat.

Ich glaube, wir müssen weiter daran arbeiten, dass Menschen in Räumen der Kunst sein können und wollen. Dass der institutionelle Raum einer ist, in dem paternalistische Ansprüche ihre Macht verlieren. Dass diese Räume nicht verschlossen bleiben, weil es immer noch Eintritt kostet, wenn man sich darin aufhalten möchte. Weil es immer noch zu wenig Räume gibt, die wirklich konsumfrei sind. Und dass sich mit Kunst zu beschäftigen etwas sein kann, dass mit meinem Leben tatsächlich etwas zu tun hat, dass Transferpotential auf meinen Lebensbereich mitbringt.

Unser Jahresthema für 2024/25 lautet „KindesKinder“. Es ist inhaltlich dem transgenerationalen Lernen gewidmet und beinhaltet die Installierung eines festen Vermittlungsraumes. Dafür wird ein Teil des bisherigen Ausstellungsraumes freigegeben. Ich arbeite gerade mit Kurator*innen, Vermittler*innen und Künstler*innen an der Gründung eines Parlaments, eines Gremiums, das sich mit uns einem solchen Vorhaben widmet. Dazu passt ganz wunderbar eines meiner Lieblingszitate des documenta-Kollektivs ruangrupa. Sie antworten auf die Frage nach einer Methode für kollektive Arbeit mit einem fast poetischen Bild: „Wir öffnen den Wasserhahn, lassen es laufen und schauen, was, wohin und wie es fließt.“ (The Collective Eye im Gespräch mit ruangrupa 2022: 107) Das wäre so eine Frage an uns: Können wir es zulassen, gemeinsam zu fließen?

 

Anmerkungen

[1] Die Kunsthalle Osnabrück wurde 1993 in den Räumlichkeiten der ehemaligen Dominikanerkirche und dem angeschlossenen Kloster in der Innenstadt Osnabrücks eröffnet. Erster Direktor war André Lindhorst, der die Kunsthalle aufbaute, von 1993 bis 2013 leitete und vor allem Einzelausstellungen von Künstler*innen oder thematische Gruppenausstellungen zeigte. Von 2013 bis 2019 war Dr. Julia Draganović als Direktorin der Kunsthalle tätig, die sehr ortsspezifische Ausstellungen entwickelte und einen Schwerpunkt auf Performance Art setzte. Seit 2020 leiten Anna Jehle und Juliane Schickedanz die Kunsthalle, die zu spezifischen, aktuell gesellschaftlich relevanten Jahresthemen Künstler*innen einladen, um vor Ort eine neue künstlerische Arbeit zu entwickeln und im erweiterten Sinne zu präsentieren. Die Jahresthemen verstehen sich als Fragestellungen an gegenwärtige Umbrüche in Gesellschaft, Kultur und Politik. 2020 war das Jahresthema „Enttäuschung“, 2021 „Barrierefreiheit“ und im Jahr 2022 verhandelte die Kunsthalle das Thema „Romantik“ (vgl. Kunsthalle Osnabrück o. J.).

[2] Das übergeordnete Ziel von CAPP ist es, die Möglichkeiten für Künstler*innen, die in ganz Europa zusammenarbeiten, zu verbessern und zu öffnen, indem Mobilität und Austausch gefördert und gleichzeitig neue Öffentlichkeiten und ein neues Publikum für kollaborative Praktiken gewonnen werden (vgl. CAAP: About the Project o. J.)

Literatur

Collaborative Arts Partnership Programme (CAPP) (o. J.): About the Project. Online: https://www.cappnetwork.com/about-capp/about-the-project [07.11.2023]

Eckert, Constanze/Bosch, Susanne (2015): Constanze Eckert im Gespräch mit Susanne Bosch. Partizipationskunst und Gemeinwesen. In: Mission Kulturagenten – Onlinepublikation des Modellprogramms „Kulturagenten für kreative Schulen 2011-2015“, S. 57-61. Online: http://www.kulturagenten-programm.de/assets/Uploads/Modul-3-Reflexion.pdf [07.11.2023]

Krebber, Gesa (2020): Kollaboration in der Kunstpädagogik. Studien zu neuen Formen gemeinschaftlicher Praktiken unter den Bedingungen digitaler Medienkulturen. München: kopaed.

Kunsthalle Osnabrück (Hrsg.) (o. J.): Offizielle Website. Online: https://kunsthalle.osnabrueck.de [07.11.2023]

Kunsthalle Osnabrück (Hrsg.) (2021): Barrierefreiheit. Online: https://kunsthalle.osnabrueck.de/de/jahresthema/barrierefreiheit [07.11.2023]

Kunsthalle Osnabrück (Hrsg.) (2023): Bist Du bereit? Online: https://kunsthalle.osnabrueck.de/de/programm/bist-du-bereit [17.11.2023]

Randelzhofer, Eva (2015): Wessen Projekt ist es eigentlich? Die Frage nach der Autorschaft in partizipativen Kunstprojekten. In: Mission Kulturagenten – Onlinepublikation des Modellprogramms „Kulturagenten für kreative Schulen 2011-2015“, S. 65-72. Online: http://publikation.kulturagenten-programm.de/detailansichtd75c.html?document=181&page=reflexion.html [07.11.2023]

The Collective Eye im Gespräch mit ruangrupa (2022): Überlegungen zur kollektiven Praxis, Berlin: Distanz Verlag.

Von Kerstin Hallmann, Christel Schulte

Veröffentlicht am 24. September 2024

Zitiervorschlag

Hallmann, Kerstin; Schulte, Christel: Kollaborative Praktiken. Zwischen kunstvermittelnder, kuratorischer und künstlerischer Praxis, in: Nikola Dicke, Kerstin Hallmann (Hg.): Gemeinschaftlichkeit. Perspektiven künstlerischer und kunstpädagogischer Kollektive und Kollaboration, Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2024. Quelle: https://zkmb.de/kollaborative-praktiken-zwischen-kunstvermittelnder-kuratorischer-und-kuenstlerischer-praxis/; Letzter Zugriff: 12.10.2024