The Art of Memes

Zusammenfassung

Memes zirkulieren im World Wide Web, auf Smartphones sowie anderen digital vernetzten Endgeräten dieser Welt. Sie sind Ausdrucksmittel von Jugendkulturen ebenso wie von politischen Gruppierungen und zeichnen sich durch einen starken Gegenwartsbezug aus. Art Memes, als eine Form von Memes, bringen Werke der Kunstgeschichte und die digitale Kommentarkultur in einem gemeinsamen Bildraum zusammen. Der Beitrag liefert einen Einblick in verschiedene Bildhandlungen mit Art Memes. Dieser wurde anhand von Ergebnissen des Workshops „Meme, myself and I“ abgeleitet, der wiederum mehrmals mit Kunst-Studierenden, Lehrer*innen und Museumsmitarbeiter*innen durchgeführt wurde. Die Ergebnisse sind via @poorimagearteducation auf der Plattform Instagram einsehbar.

 

Memes zirkulieren im World Wide Web, auf Smartphones sowie anderen digital vernetzten Endgeräten dieser Welt. Sie sind Ausdrucksmittel von Jugendkulturen ebenso wie bestimmter politischer Gruppierungen und zeichnen sich zumeist durch Witz und Aktualität aus. Mit dem Aufkommen internetfähiger Geräte hat sich die Gruppe der digitalen Bilderzeuger*innen und der Bildbearbeiter*innen massiv erweitert. Menschen mit Internetanschluss haben global und zeitgleich Zugriff auf unterschiedlichste Webinhalte. Durch die gegenwärtigen technischen Möglichkeiten ist es eine weitgehend gängige (Mikro-)Praxis geworden, digitale Bilder als Rohstoff zu verwenden, weiterzuverarbeiten, zu remixen, zu kommentieren und zu verbreiten. Eine Praxis, die anknüpft an ein Verhalten, das Toffler bereits 1980 als „Prosuming“ bezeichnete und mit dem gleichsam das Konsumieren und Produzieren von kulturellen Artefakten einhergeht. Dieses erweiterte Bildhandeln ist als postdigitales Phänomen zu bezeichnen, da es sich einerseits auf aktuelle Ereignisse der analogen Welt bezieht und diese ggf. auch verändert und sich zugleich aus den digitalen, unendlich reproduzierbaren, global zirkulierenden Bildern speist. Den Begriff des Memes hat die Internetcommunity aus der Wissenschaft übernommen – der Evolutionsbiologe Richard Dawkins beschreibt 1976 Memes als „small units of culture that spread from person to person by copying or imitation” (nach Shifman 2013, S. 2). Memes sind Mikroformate, welche vor allem auf Plattformen der Sozialen Medien als (audio-)visuelle Bildphänomene geteilt werden.

“Memes are an internet phenomenon particularly popular among young people. What is generally meant thereby is an image or animation file which quickly spreads across the Internet which poignantly comments on a currently significant use.” (Landwehr 2016, S. 166)

Mittlerweile haben sich unzählige Kategorien von Internet-Memes in Form meist mit Text kommentierter Bilder gebildet, die sich dadurch auszeichnen, dass sie nach gewissen Schemata funktionieren und so Wiedererkennungswert haben. Memes werden in der Alltagskommunikation, zur Illustration von Emotionen oder als Kommentar tagesaktueller politischer Ereignisse eingesetzt. Trotz ihrer schlechten Auflösung, der teilweise laienhaften Verarbeitung und meist humoristischer Inhalte sind Memes keinesfalls ohne Wirkmacht, denn ihre Verbreitung geschieht massenhaft und schnell. So spielen Memes gegenwärtig eine immense Rolle in gesellschaftspolitischen Debatten (on- und offline). Spätestens seit der US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 ist die politische Schlagkraft dieser Bilder im Zuge sogenannter Meme-Wars, in denen man etwa politische Gegenspieler*innen mithilfe von Memes zu denunzieren suchte (Nagle 2016), bekannt geworden.

“Until recently, the internet meme had largely been regarded as a politically negligible media object: a peculiarly iterative aesthetic container deployed by internet users to typically comedic – and occasionally profound – effect. But in 2016, an assortment of right-wing users made a provocative claim: that they had ‘memed’ Donald Trump into the White House.” (Goertzen 2017)

Abb. 1: me.me, 14.5.2020. https://me.me/i/remember-movies-by-rich-people-for-poor-people-opera-by-f83167fd5caa4f12a314bfb218a795aa

Das Art Meme als Mikroformat

Der vorliegende Text basiert auf einer Workshop-Reihe zu Art Memes. Wir verstehen darunter humoristische Bild-Text-Kombinationen zur Kommentierung gesellschaftspolitischer Ereignisse, die als Grundlage digitale Bilder von Kunstwerken (häufig klassische Malereien) nutzen. Art Memes bringen Werke der Kunstgeschichte und die digitale Kommentarkultur in einem gemeinsamen Bildraum zusammen. Eine Reihe von auf Art Memes spezialisierten Websites, Blogs und Social Media Accounts fokussieren ausschließlich darauf, memefizierte Werke der Malerei zu zeigen (Bsp. Facebook: @classicalartmemes, @classicalartshit, Instagram: @textsfromyourexistentialist, Twitter: @PGexplaining).

Ohne Anspruch auf eine vollständige Übersicht, die es im Feld einer sich gegenwärtig immer wieder verändernden Bildpraxis gar nicht geben kann, werden folgend einige Art Memes vorgestellt, welche gegenwärtige Ereignisse kommentieren. Einige der Beispiele verweisen auf die Gegenwart eines Schreibens in einem Corona state of mind (Kolb nach Chan 2011), denn wir schreiben diesen Artikel während der sogenannten „Corona-Krise“, die viele soziale Praktiken radikal verändert. In dieser Situation erreicht uns täglich eine Unzahl an Memes. Dabei scheinen vor allem Porträts bzw. Darstellungen von Personen, häufig aus religiösem oder mythologischem Kontext, sich zu eignen, um den Alltag „quasi in Echtzeit zu kommentieren“ (Grünwald 2020, S. 18). Das Art Meme ist ein Mikroformat, das extrem diverse Inhalte stark verkürzt miteinander verschränkt, wie etwa in der Art Meme-Serie Pre Raphaelite Girls Explaining.

 

Spiel mit Klischees

Der Account @pgexplaining verwendet häufig Frauendarstellungen in Malereien der Präraffaeliten, um ironisch-feministische Kommentare auf die klischeehafte Darstellung von Frauen in den Bildern sowie hinsichtlich der gegenwärtigen Lebenssituationen von Frauen und damit verbundenen Ungerechtigkeiten zu geben. Oft werden dabei Bilder mit unterschiedlichen Slogans versehen. Der Account ist auf Twitter und Instagram zu finden, wobei auf Twitter deutlich mehr Tweets und Retweets zu finden sind. Die gezeigten Frauen werden häufig in selbstvergessenen, dramatischen, romantischen und überfeminisierten Posen gezeigt. Die dazu verwendeten Texte verweisen hingegen oft auf empowernde Inhalte, auf Arbeitsverhältnisse und Rollenklischees. Aus dieser Diskrepanz zwischen Bild und Text entsteht eine gewisse Absurdität, die zum Lachen bringt – aber auch Relationen zur eigenen Lebenswelt herstellt, wie etwa die in einem Garten stehende und in die Betrachtung einer Blüte versunkene Nonne (Abb. 2), deren Kontemplation textlich mit der verlorenen Zeit auf Social-Media-Kanälen in Verbindung gebracht wird.

Abb. 2: @pgexplaining, https://www.instagram.com/p/B_c9_ZaH7AI/, 25.04.2020. Kunstwerk/ Malerei: Charles Allston Collins: Convent of Thoughts, 1850–51

Visual Literacies

Abb. 3: @classicalfuck 19.02.2021. https://twitter.com/JamColley/status/937781666499776517 [6.03.2021] Malerei: Biagio d’ Antonio (1446-1508): Christus mit dem Kreuz, 1466, Musée Louvre, INV 296

Art Memes zu verstehen, erfordert ganz unterschiedliche Formen von Visual Literacy bzw.: Visual Literacies, da sie mit verschiedenen Kontexten zu unterschiedlichen Lesarten führen können. Ein gutes Beispiel dafür ist das ,Merch‘ Meme mit der Kreuztragung Christi (Abb. 3). Das Meme zeigt eine Fotografie des im Louvre gehängten Gemäldes Christus mit dem Kreuz von Biagio d’Antonio (ca. 1480–1520), wobei die Heilige Veronika, die das Sudarium trägt, hervorgehoben ist. Der Text darüber lautet: „Shout out to this hustler who tried to sell merch at the crucifixion.“ Er bezieht sich auf das nachträglich in grün eingekreiste Schweißtuch, welches ohne kunsthistorisches Wissen auch wie ein Tuch mit einem Konterfei Christi, mithin einem Fanartikel zur Passion Christi gelesen werden kann. Dieses Meme ist an mehreren Orten im Internet zu finden – auf der Facebook-Page Classical Art Memes, am Instagram-Account classicalfuck wie auch auf Twitter. Wie es für Memes typisch ist, existiert das Bild in verschiedenen Versionen – teils als Ausschnitt, teils mit eingekringelter Veronika, teils mit unterschiedlichen Schriftarten. Keines der Memes trägt Quellenhinweise oder sonstige Hinweise auf den Ursprung der Malerei. Was wir an diesem Art Meme sehen können, ist die Kombination zweier ,Häppchen‘, zweier völlig unterschiedlicher Momente der Kulturgeschichte: einerseits eine Darstellung aus der Passion Christi, welche Kenntnisse der christlichen Ikonografie voraussetzt und andererseits eine Anspielung auf (gegenwärtige) Fankultur und Merchandise-Artikel, wie wir sie aus der Vermarktung etwa von Popstars oder Sportler*innen kennen.

Die Geschichte der Veronika ist verbunden mit dem Begriff der Ikone (vera icon = das wahre Bild) – in dem Art Meme treffen völlig unterschiedliche Konzepte der Ikone aufeinander. Als das Gemälde um 1500 entstanden ist, gab es weder das Internet noch digitale Bildkopien. Es bestanden völlig andere Umstände der Auftraggeber*innenschaft, der Entstehungszeit, Materialität, Medialität und Autor*innenschaft. Wohl aber gab es einen Bildkanon, der es uns bis heute erlaubt, verschiedene Figuren und Handlungen im Bild im historischen Sinne zu rekonstruieren. Hinzu kommt jedoch ein völlig anderes Bildverständnis – denn mit Humor hat diese Darstellung nichts zu tun, im Gegenteil zeigt sie die in der christlichen Glaubenslehre entscheidende Situation des Kreuz- und Leidenswegs Christi. Als Meme verwendet soll die Figur der Veronika, die eben ein Tuch mit dem Abbild Christi zeigt, aber lustig sein, unabhängig davon, ob die kunsthistorische Allegorie des Schweißtuchs entzifferbar ist oder nicht. Die Darstellung des Gesichts Christi in Kombination mit dem Text macht bereits den suggerierten Kontext des ersten Merchandising der westlichen Geschichte klar, obwohl das nichts mit der dargestellten Geschichte zu tun hat. Aus heutiger Sicht spielt es für die Konsument*innen der Memes nicht unbedingt eine Rolle, in welchem Kontext das Ursprungsbild entstanden ist und welche Bedeutung es damals hatte. Das Bild ist als Art Meme in einem völlig anderen Raum-Zeit-Gefüge wiederum ,ikonisch‘ geworden. Die gegenwärtige Internetcommunity fungiert hier als ,virtuelle Bildwerkstatt‘, in der Rezeptions- und Produzent*innenperspektive verknüpft werden, wobei teilweise völlig außer Acht gelassen wird, aus welchem Kontext der ,Rohstoff‘ des Mikroformats (in diesem Fall das Gemälde) ursprünglich kommt.

Das beschriebene Beispiel ist eines von vielen, doch es macht auf mehreren Ebenen deutlich, warum Memes Potenzial für eine kunstpädagogische Auseinandersetzung haben: Sie erlauben es zu zeigen, welche (und wie viele) Möglichkeiten es gibt, Bilder zu verstehen und zu kontextualisieren. Dass dies zugleich mit einer großen Portion Humor geschieht, möchten wir als zusätzliches Potenzial verstehen.

 

Zum Workshop Me(me) Myself and I

Um das Mikroformat Art Meme mit seinen Handlungspotenzialen durch das Selbst-Machen, Kontextualisieren und Veröffentlichen kunstpädagogisch fruchtbar zu machen, haben wir den 90-minütigen Art Meme Workshop Me(me), myself and I entwickelt. Dieser wurde in verschiedenen Kontexten (etwa mit Kunst-Studierenden, Lehrer*innen und Museumsmitarbeiter*innen) durchgeführt und die Ergebnisse sind im Instagram-Account @poorimagearteducation dokumentiert und einsehbar.

Nach einem kurzen Input zum Meme als zeitgenössischem Bildphänomen und einer kulturwissenschaftlichen Einordnung desselben in die postdigitale Gegenwart durch die Workshop-Leitung bilden sich Kleingruppen, die bereits existierende Art Memes recherchieren. Dabei wird 1) eine kleine Bildersammlung angelegt, 2) der Aufbau und Inhalt der Memes besprochen und 3) werden Bildstrategien verglichen.

In einem nächsten Schritt skizzieren die Teams Ideen für eigene Memes. Dabei verwenden sie Bilder von Kunstwerken, die sie online recherchiert haben, sowie eigens für die Memes erstellte Fotografien oder digitale Collagen. Mittels Meme-App, Meme-Maker im Browser oder eigenen Bildbearbeitungsprogrammen (z. B. Photoshop) werden die Bilder nun im Stil des Image-Macros mit Text versehen. Die fertigen Memes werden von den Gruppen auf einen zuvor eingerichteten Instagram-Account geladen, wobei es nun vor dem Hintergrund der Kunstvermittlung wichtig ist, diese mit Quellenangaben, Beitext und Hashtags zu versehen. (Textergänzungen in Form von Hashtags könnten zudem optional in einem gesonderten Input, auch in Verbindung mit etwa dem Deutschunterricht, behandelt werden.)

Abschließend kommen die Gruppen wiederum im Plenum zusammen, um gemeinsam die Ergebnisse zu besprechen. Dabei werden Bezüge zwischen den einzelnen Ergebnissen hergestellt und herausgearbeitet. Fragen können dabei sein: Welche Memes sind für spezifische Betrachter*innen lesbar oder auch nicht? Welche Bildkonventionen gibt es (im kunsthistorischen Kontext und heute)? Welche Qualitäten haben Bilder, die für Art Memes verwendet werden? Was ist die Qualität von Humor – und wo gibt es Grenzen? Welche kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Kenntnisse werden beim Lesen und Verstehen von Memes vorausgesetzt?

 

Der Witz als subversives Element

Wie in den vorherigen Beispielen schon gezeigt, ist der Witz einer der Hauptmerkmale eines Memes. Dies zeigte sich auch während der verschiedenen Durchführungen des Workshops, was wir folgend anhand ausgewählter Workshop-Ergebnisse illustrieren werden.

Beispielsweise ist in der Abb. 4 der Zugriff auf das „common knowledge“ einer gewissen Gruppe– hier Kunst-/Bildnerisches Gestalten-Lehrpersonen, nämlich jene, die die latente Abwertung der Notenrelevanz ihres Faches durch die Naturwissenschaften thematisieren – das Gestaltungselement. Bei Abb. 5 wird ein Homonym der Sängerin und Muttergottes „Madonna“ als Wort-/Bildspiel eingesetzt, welches noch zusätzlich auf ein bekanntes Lied der Sängerin (Like A Prayer) referenziert. Zugleich werden im Meme zwei Ikonen zueinander geführt, die aus dem Pop und der christlichen Bildsprache stammen. Abb. 6 bezieht sich auf ein Erfahrungswissen von Museumsbesucher*innen und auch Kunstvermittler*innen bezüglich des zumeist verbotenen Berührens der Exponate in Ausstellungen. Der Hinweis darauf führt häufig dazu, die eigenen Hände noch deutlicher bzw. als ,zu groß‘ wahrzunehmen. Um dieses Gefühl in Meme-Form auszudrücken, wurde eine Fotografie einer Aktion der Performance-Künstlerin Silvia Palacios Whitman als Meme-Bildvorlage verwendet. Bei ihrer Performance Green Hands trägt sie überdimensionierte künstliche Hände mit gespreizten Fingern, mittels denen sie ihren Körper in den Bühnenraum erweitert.

Abb. 4: Workshop-Ergebnis vom 10.11.2018. Text: “Wenn dich ein Physiklehrer fragt / ob es im Fach Bildnerischen Gestalten auch ungenügende Noten gibt.” https://www.instagram.com/p/BqASOfSgCmv/ Malerei: Rembrandt van Rijn, Selbstportrait als Apostel Paulus, 1661.

Abb. 5: Workshop-Ergebnis vom 11.4.2019. https://www.instagram.com/p/BwHKywggWF5/ , Malerei: Himmelfahrt Mariae, Peter Paul Rubens, um 1611/14-1621

Abb. 6: Workshop-Ergebnis vom 17.12.2019 https://www.instagram.com/p/B6Lcpp-gR6F/ “Wie du dich fühlst, wenn im Museum irgendwo “Bitte nicht berühren” steht. “ Bild: Sylvia Palacios Whitman: Green Hands (Performance, 1977)

An diesen Beispielen zeigen sich einige weitere Aspekte, die das Art Meme für das Bildnerische Gestalten bzw. den Kunstunterricht interessant machen: 1) das Erfassen eines Bildes in seiner Wirkung, 2) das Umdeuten eines Kunstwerks für eigene Inhalte und Kontexte, 3) das Erfassen und Formulieren einer Situation innerhalb eines kurzen Textes, 4) der Bezug zwischen Text und einem Kunstwerk, der jedoch nicht unbedingt mit ursprünglich intendierten Bildinterpretation zu tun hat, 5) eine humorvolle Kommentierung einer Situation, bei der Hierarchien sichtbar werden sowie 6) das Erstellen/Fokussieren auf einen Bildausschnitt, um eine bestimmte Bildwirkung zu erzeugen.

Über die Aspekte des Bildersehens und -verstehens hinaus, verweisen die Bildbeispiele auch auf die Möglichkeit, die eigene Situation als Lernende in einer hierarchischen Situation zu kommentieren, welche innerhalb des Systems Schule nun sichtbar wird. Innerhalb unserer Aufgabenstellung wurde der Humor als Mittel genutzt, um auf den Kontext „Kunstunterricht“ und seine Bedingungen anzuspielen. Der Humor, der Witz hat nach Metahaven (2013) dieses subversive Potenzial: „Jokes are by virtue of their disruption of an existing order of “sense-making” very unwelcome guests in an age of austerity.“ (ebd., S. 53) Dieses Potential der Art Memes berührt wiederum elementare Inhalte von aktueller Kunstpädagogik: den rezeptiven, produktiven und kritischen Umgang mit Bildern, die innerhalb der Lebenswelt eingebettet werden können.

 

Fazit

Das Art Meme vereint als Mikroformat eine Vielzahl an kunstpädagogisch relevanten Inhalten und Praxen. Neben den Anknüpfungspunkten an die Kunstgeschichte, die in der Arbeit mit Art Memes eingehend behandelt werden können, bieten diese zudem die Möglichkeit, auf die Unterschiede historischer und zeitgenössischer Leseweisen von Bildern einzugehen. Auch Produktionsbedingungen wie Auftraggeber*innen und Autor*innenschaft, Materialität oder etwa Mobilität von Kunstwerken können im Vergleich zweier unterschiedlicher kultureller Bedingungsgefüge gemeinsam mit Schüler*innen analysiert werden. Natürlich gehören auch Bildkonventionen, die sich eventuell massiv, gegebenenfalls aber auch wenig verändert haben, in dieses soziohistorische Spannungsfeld. Komposition, Ikonografie, Form, Farbe und Schrift sind klassische bildwissenschaftliche Analyseelemente, die vor dem Hintergrund einer (sich stets transformierenden) ,Internet-Ästhetik‘ zu befragen sind. Dass Bilder unterschiedlich lesbar sind, ist klar. Doch scheint es oft, dass Lehrende und Lernende selten dazu kommen, den Zweifel der unterschiedlichen Lesarten von Bildern zuzulassen.

Zu den beschriebenen Potenzialen für die Vermittlung kunsthistorischer Inhalte und pluraler Visual Literacies von und mit Art Memes kommen etwaige subversive und gesellschaftskritische Momente. Humor bietet dabei ein Spielfeld für Subversion und erlaubt es somit, auch in strukturell hierarchischen Systemen auf etwaige Missstände zu reagieren oder Unzufriedenheiten auszudrücken. Bewusst aus feministischer, antirassistischer und intersektionaler Perspektive arbeiten etwa die beschriebenen @pgexplaining oder der politische Satire-Account @ibiza_austria_memes, der sich auf Kritik der österreichischen Innenpolitik spezialisiert hat. Mit der an den Beispielen der Art Memes beschriebenen Internet-Meme-Kultur entstehen nach Martina Leeker online „neue Partizipationsverhältnisse der Vermittlung“ (Leeker 2018, S. 20), die durchaus auch darauf basieren, dass die Mikropraxis mit Memes eine ist, die bestehende Hierarchien zu adressieren vermag. Lehrer*innen und Lernende operieren hier mit unterschiedlichen Erfahrungsschätzen und pluralen Visual Literacies, die es zunächst zu erkennen gilt. Dabei ist es wichtig, bewusst post-digitale Bedingungen wie etwa „Kritikalität“ (Rogoff 2003), „Kontrollverlust“ (Seemann 2014) oder „Zweifel“ (Grünwald 2020) in der Vermittlungspraxis zuzulassen. Wenn also mit Art Memes das zur Sprache gebracht werden kann, was im Alltag Wirkung und Einfluss hat (Billmayer 2007), ist das Mikroformat im zweifachen Sinne produktiv: Denn das, was im Alltag Wirkung und Einfluss hat, wird zudem für Lernende als Autor*innen einer Praxis der postdigitalen Kunstpädagogik (hier: Art Memes) gestaltbar.

 

Literatur

Goerzen, M. (2017). NOTES TOWARD THE MEMES OF PRODUCTION. Texte Zur Kunst,

(ISSUE NO. 106 ‘THE NEW NEW LEFT’). Abgerufen am 15.05.2020 von https://www.textezurkunst.de/106/uber-die-meme-der-produktion/

Grünwald, J. (2020). Der Zweifel als produktive Möglichkeit in der kunstpädagogischen Praxis. Kunstpädagogische Positionen, 49. Hamburg.

Landwehr, D, (2016). Digital Kids. Edition Digital Culture, 4, Basel: Christoph Merian Verlag. Leeker, M. (2018). (Ästhetische) Vermittlung 2.0. Von Kunst-/Vermittlung und Kritik in digitalen Kulturen. Kunstpädagogische Positionen, 40, Hamburg.

Metahaven (2013). Can Jokes Bring Down Governments? Abgerufen am 15.05.2020 von http://theorytuesdays.com/wp-content/uploads/2016/12/Can-Jokes-Bring-Down-Governments-Metahaven.pdf

Nagle, A. (2017). Kill all normies: The online culture wars from Tumblr and 4chan to the altright and Trump. Winchester, UK; Washington, USA: Zero Books.

Rogoff, I. (2003). Vom Kritizismus über die Kritik zur Kritikalität. In: eipcp – European Institute for Progressive Cultural Policies 1/2003. Abgerufen am 15.05.2020 von https:// transversal.at/transversal/0806/rogoff1/de?hl=rogoff

Seemann, M. (2014). Das Neue Spiel. Strategien für die Welt nach dem digitalen Kontrollverlust. Freiburg: Orange Press.

Shifman, L. (2014). Memes in digital culture. Cambridge, Massachusetts: The MIT Press. Toffler, A. (1980). The third wave: The classic study of tomorrow. New York, NY: Bantam

Von Gila Kolb, Helena Schmidt

Veröffentlicht am 8. Januar 2022

Zitiervorschlag

Kolb, Gila; Schmidt, Helena: The Art of Memes, in: Peter Moormann, Manuel Zahn, Patrick Bettinger, Kai Kaspar, Sandra Hofhues, Helmke Jan Keden (Hg.): Mikroformate. Interdisziplinäre Perspektiven auf aktuelle Phänomene in digitalen Medienkulturen, Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2022. Quelle: https://zkmb.de/the-art-of-memes/; Letzter Zugriff: 29.03.2024