Die COVID-19-Pandemie hat als Treiberin einer Ad-hoc-Distanzierung und Ad-hoc-Digitalisierung weitreichende Veränderungen auch in Kunstunterricht und Kunstvermittlung angestoßen bzw. als Bedarfe oder Potentiale aufscheinen lassen. Wie auch in anderen Bildungskontexten wurden neue Erfahrungen von Nähe und Distanz in unterschiedlichen Modalitäten und Medialitäten gesammelt – analog, digital oder hybrid, in physischer oder virtueller Präsenz, synchron oder asynchron. Bisher weitgehend ungekannte soziale Situationen in digitalen oder hybriden Settings brachten neue Probleme und Möglichkeiten mit sich. Es wurde deutlich oder es ließ sich unter dem Eindruck dieser Erfahrungen zumindest besser erahnen, wo und inwiefern es notwendig oder sinnvoll ist, das Fach Kunst weiterzuentwickeln – nicht nur vor dem Hintergrund einer umfassenden „Kultur der Digitalität“ (Stalder 2016), sondern auch inmitten einer sich fortsetzenden „Polykrise“ (Tooze 2022).
Der vorliegende Text möchte mit Einblicken in zwei Praxisbeispiele einen Beitrag zur Reflexion und zum Verständnis aktueller kunstpädagogischer Praxen vor dem Hintergrund dieser besonderen Herausforderungen leisten. Anhand einer Online-Tagung mit dem Titel “Auf der Suche nach der 5. Dimension“ (vgl. Lübke/Schmidt-Wetzel 2023a) und anhand eines Projekts, das unter dem Motto “Vermittelt euch!“ zusammen mit Studierenden im Kontext der documenta fifteen in Kassel durchgeführt wurde (vgl. Beitrag von Claudia Roßkopf in diesem Band), soll gezeigt werden, wie ich – gemeinsam mit weiteren Beteiligten – in der Forschungs- und Vermittlungspraxis auf den aktuellen Handlungs- und Verhandlungsbedarf reagiert habe und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können. Meine kunstpädagogische Praxis und ihre Darstellung in dem vorliegenden Beitrag sind fundiert durch eine qualitativ-empirische Studie zur kunstdidaktischen Praxis im „Emergency-Remote-Modus“ (vgl. Schmidt-Wetzel/Zachmann 2021; vgl. Schmidt-Wetzel 2022). Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass aus der Analyse der im pandemiebedingten Ausnahmezustand praktizierten kurzfristigen Sofortmaßnahmen Ansatzpunkte für nachhaltige Strategien entwickelt werden können und müssen, um in der aktuellen und anhaltenden „Kultur des Kontrollverlusts“ (Bader et al. 2022: 11) weiter handlungsfähig in Kunstpädagogik und Kunstvermittlung zu bleiben.
Die beiden Beispiele im Zentrum dieses Beitrags sind als Versuche zu lesen, jene „Praxen zu stärken, in denen verschiedenste Akteurinnen und Akteure aus dem Bereich Kunstpädagogik/Art Education zusammenkommen, voneinander lernen und Neues (er)finden können“ (Bader et al. 2022: 13). Die beiden Entwicklungs- bzw. Vermittlungsversuche sind jeweils konzipiert als „Formate des Austauschs […], die sich weit zwischen Schule und Hochschule, Unterrichtspraxis und Forschung, Kunst und Pädagogik ausdehnen“ (ebd.), die Begegnungen und Beziehungen zwischen Akteur*innen und den durch sie vertretenen Themen, Bedürfnissen und Herangehensweisen kultivieren. Mit meiner fachlichen Position als Fachdidaktikerin, die einen Schwerpunkt auf die sozialen Dimensionen und das kollaborative Handeln im Kunstunterricht bzw. in der Kunstpädagogik legt (vgl. Schmidt-Wetzel 2017; vgl. Schmidt-Wetzel 2016a, 2016b, 2016c), ist ein spezifischer Textfokus verbunden: Im Zentrum steht der Nachvollzug einer Strategie, die retrospektiv als ein gemeinsames Umdenken aus dem Handeln heraus beschrieben werden kann. Von der selbstreflexiven Betrachtung und Deutung der von mir mitinitiierten Strategie ausgehend soll herausgearbeitet werden, inwiefern und insbesondere wie in diesen Entwicklungs- und Vermittlungsversuchen und darüber hinaus kunstpädagogisch und kunstdidaktisch mit gemeinschaftlichen Praktiken ein Umdenken in herausfordernden Zeiten und unter komplexen Bedingungen ermöglicht werden kann.
In beiden Beispielen kommt dem Denken und Handeln in Metaphern – sowohl auf Ebene der Konzeption als auch der Kommunikation – eine besondere Bedeutung zu. Daher werden im Folgenden zunächst aktuelle Anwendungsbeispiele im kunstpädagogischen Diskurs skizziert und zentrale Merkmale eines Denkens und Handelns in Metaphern zusammengefasst. Nach einem Exkurs, in dem relevante Erkenntnisse aus meiner o. g. Studie zur kunstpädagogischen Praxis im Emergency-Remote-Modus formuliert und in Bezug zu wissenschaftstheoretischen Schlussfolgerungen aus der Pandemieerfahrung gesetzt werden, folgt die Darstellung der beiden Praxisbeispiele: die Online-Tagung „Auf der Suche nach der 5. Dimension“ und das Projekt „Vermittelt euch!“. Hier geht es einerseits um einen anschaulichen Nachvollzug der jeweiligen konzeptuellen Begründungen und praktischen Umsetzungen. Andererseits werden wesentliche Merkmale und Strategien, die über die konkreten Beispiele hinaus relevant werden können, herausgearbeitet. Der Beitrag schließt mit Überlegungen, inwiefern Denken und Handeln in Metaphern sowohl notwendiges als auch mögliches Umdenken in Kunstpädagogik, Kunstdidaktik und Kunstvermittlung in fragilen Zeiten (vgl. Bayramoglu/Castro Varela 2021) und unter herausfordernden Bedingungen begünstigen kann – in den referierten Beispielen und darüber hinaus.
In seiner auf Aristoteles zurückgehenden Bedeutung bezeichnet der Begriff Metaphorá eine „räumliche Metapher, denn die Sinnproduktion wird als eine Übertragung, ein Transport von einem Ort an einen anderen bestimmt“ (Huss 2019: 11). Metaphern tragen damit als Prozesse der Sinnproduktion durch Übertragung in sich eine permanente Aufforderung zur Vermittlung und Kommunikation sowie das Potential, Diskurse zu initiieren und zu konturieren. Metaphern können als ein „integraler Bestandteil“ von Sprache gesehen werden, wodurch „zwei bis heute wirksame Dichotomien zu einem dynamischen Verständnis hin auf[gelöst werden]: die Oppositionen von Eigentlich und Uneigentlich wie auch von Bild und Begriff“ (ebd.: 20). Die Arbeit mit Metaphern bietet nicht nur in dieser Hinsicht die Möglichkeit, die Komplexität eines Betrachtungs- oder Verhandlungsgegenstandes so weit wie nötig und so wenig wie möglich zu reduzieren, um in ein sachgerechtes und produktives Denken und Handeln zu kommen. Dank ihrer Eigenschaft, intuitive und direkte Assoziationen zwischen zwei getrennten Bereichen herzustellen, können Metaphern auf heterogene, zuvor unbekannte Felder verweisen (vgl. van der Tuin/Verhoeff 2022: 125). Dabei fungieren sie nicht als bloßes Synonym für einen Sachverhalt, sondern machen es möglich, den Sachverhalt „in der Begriffsbildung in seinen Momenten“ (Zimmer 2015: 28) zu entfalten.
Metaphern können damit sowohl epistemologisch als auch ästhetisch bedeutsam werden. Zwar ist es möglich, dass eine Metapher als verkürzter Vergleich und bildhafter Ausdruck allein für den Zweck rhetorischer Ausschmückung zum Einsatz kommt. Doch in der Regel sind Metaphern „mehr als nur Umschreibungen oder Ersetzungen, die sich ohne Verlust wieder in die ‚eigentliche‘ Sprache zurückübersetzen lassen. Sie konkretisieren, fokussieren oder ermöglichen allererst den Zugang zu etwas“ (Huss 2019: 8). Metaphern kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn es darum geht, neue Phänomene zu bezeichnen. Der Kunsttheoretiker Till Julian Huss erklärt dies wie folgt: „Abstrakte Phänomene werden oftmals statt durch neu eingeführte Begriffe durch Metaphern bestimmt. Besonders bei Dingen, die der direkten sinnlichen Erfahrung unzugänglich sind, springt die Metapher ein, indem sie das weniger Konkrete oder auch gänzlich Abstrakte durch eine konkrete Erfahrung verstehen lässt. Unser Denken und unsere mentalen Prozesse sind in der Sprache nur mit Metaphern benenn- und beschreibbar.“ (ebd.)
Diese Funktion von Metaphern kommt in dem folgenden ersten Praxisbeispiel, der Tagung „Auf der Suche nach der 5. Dimension“, fast prototypisch zum Ausdruck, ist jedoch keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal. Metaphern werden vielmehr aktuell vermehrt genutzt, um über Kunst und Kultur und dabei insbesondere über zeitgenössische Vorstellungen von Gemeinschaftlichkeit und Zusammenarbeit in künstlerisch-ästhetischen und kunstpädagogischen Feldern zu sprechen (vgl. Krebber 2020; vgl. Schmidt-Wetzel 2017; 2023: 29 f.; vgl. Hallmann et al. 2021). Die folgenden drei Beispiele veranschaulichen schlaglichtartig, mit welchen Metaphern und auf welche Weise in jüngerer Zeit in Kunst, Kunstpädagogik und Kunstvermittlung operiert wurde und wird:
In der Studie „Erzählungen über Distanz und Nähe“ (vgl. Schmidt-Wetzel/Zachmann 2021; vgl. Schmidt-Wetzel 2022), einer qualitativ-empirischen Untersuchung über die Vermittlungspraxis in Art Education im pandemiebedingten Ausnahmezustand, konnte rekonstruiert werden, dass die ersten Berufspraktika von Bachelor-Studierenden im Studiengang Art Education an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) unter den besonderen Lockdown-Bedingungen wesentlich gekennzeichnet waren von den Merkmalen eines Modus, den Hodges et al. (2020) als Emergency Remote Teaching bezeichnen: Die Konzeption und Durchführung der Vermittlungspraktika im außerschulischen Bereich (in Museen, Kulturzentren und sozialen Einrichtungen) mussten ad hoc, innerhalb kürzester Zeit und unter einem enormen Handlungsdruck vollzogen werden, und zwar mit dem Wissen und unter Einsatz der Mittel und Techniken, die unmittelbar verfügbar waren. Darüber hinaus zeigte sich in der Studie ein weiteres Phänomen: Nicht nur die Unterrichts- und Vermittlungspraxis, sondern auch deren Erforschung im Rahmen des „Forschenden Lernens“ der Studierenden selbst war unter dem unmittelbaren Einfluss und Eindruck der Pandemie konzipiert und durchgeführt worden. Das heißt auch die forschungsmethodischen Entscheidungen und die Durchführung der Untersuchungen sowie Erhebungen waren – wie der eigentliche Forschungsgegenstand – wesentlich von pandemiebedingten Einschränkungen geprägt. Diese waren zudem getrieben von dem dringenden Bedarf, schnell und gezielt zu reagieren: In einer dynamischen, bisher unbekannten Situation sollten Daten erhoben werden, welche die Auseinandersetzung mit den durch die Pandemie ausgelösten Entwicklungen aus einer Forschungsperspektive heraus gemeinsam mit Studierenden und Dozierenden als Akteur*innen in Art Education möglich machten.
In einer Art Emergency Remote Research (vgl. Schmidt-Wetzel/ Zachmann 2021) wurden unter diesen Bedingungen auch in der Kunstpädagogik und mit Blick auf die genannten Intentionen neu etablierte digitale Tools mit vertrauten und bewährten Methoden und Methodologien kombiniert: Narrative Interviews und Gruppendiskussionen wurden als Videokonferenzen geführt, aufgezeichnet, transkribiert und nach dem Verfahren kunstpädagogischer, phänomenologisch orientierter Analyse (vgl. Peez 2007: 105 f.; Schmidt-Wetzel 2017: 111 ff.) ausgewertet. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Lehre und Vermittlung als auch Forschung im pandemiebedingten Ausnahmezustand vor ähnlichen Problemen standen und ähnliche Lösungswege wählten. In allen drei Bereichen wurden insbesondere zu Beginn der Pandemie digitale Möglichkeiten, Räume, Tools etc. genutzt, um das Funktionieren von Unterricht, Vermittlung oder Forschung auf Distanz schnell sicherzustellen. In allen drei Bereichen ließ sich zunächst häufig nur vermuten oder spekulieren, welche Potentiale oder Schwierigkeiten sich durch die räumliche und mediale Ausdehnung ins Digitale und in die Distanz eröffnen oder zeigen könnten, wenn diese nicht durch den (Ein-)Druck des Notfallmodus dominiert gewesen wären. Dass die im Notfallmodus gewählten naheliegenden, vermeintlich funktionalen Mittel und Wege angesichts der aktuellen Fragestellungen und Herausforderungen weiterhin passend, wirksam und erkenntnisversprechend sein können, muss vom heutigen Standpunkt aus stark bezweifelt werden. Rückblickend und (selbst-)kritisch stellen sich daher Fragen, die zunächst etwas salopp unter der Frage „Geht da noch was?“ zusammengefasst werden können. Differenzierter formuliert:
Um nicht nur Antworten auf diese Fragen, sondern zuallererst Zugänge zu finden, um diesen Fragen unter den aktuellen Bedingungen konstruktiv nachzugehen, bieten wissenschaftstheoretische Reflexionen der Pandemiekrise verschiedene Anhaltspunkte. So sieht etwa der Wissenschaftsjournalist Gert Scobel in einem „veränderten Möglichkeitssinn“ (Scobel 2020: 165) nicht nur eine schlüssige Reaktion auf die ausgehend von der COVID-19-Pandemie „veränderte Wirklichkeit“ (ebd.). Vielmehr verbindet er damit den „zentrale[n] moralische[n] Imperativ der Aufklärung: Den Möglichkeitssinn optimal und breit zu entwickeln, um durch konsequentes, aber auf neue Hindernisse achtendes Handeln die Zukunft, die erst noch wird, in möglichst vielen Hinsichten besser zu gestalten als die Zukunft, die wir hatten“ (ebd.). Aus diesem Postulat lässt sich fachbezogen die Aufforderung ableiten, spezifisch kunstpädagogische Strategien zu erarbeiten, welche die Orientierung, Positionierung und Bewegung unter unbekannten Bedingungen möglich machen: sowohl im und in Bezug auf den sich kontinuierlich erweiternden und verändernden digitalen Raum als fachdidaktisches Handlungs- und Forschungsfeld als auch innerhalb globaler Rahmenbedingungen, die durch die Pandemie und weitere Krisen höchst unsicher und dynamisch bleiben.
Im Hinblick auf den wissenschaftlichen Umgang mit den Unwägbarkeiten der COVID-19-Pandemie stellt Lisa Herzog Folgendes fest: „Um ein Problem zu diagnostizieren, genügen oft die Einsichten relativ weniger Fachdisziplinen. Um Lösungen zu finden, müssen hingegen viel mehr unterschiedliche Wissensformen zusammengebracht werden […].“ (Herzog 2020: 110) Die Philosophin liefert damit einen wichtigen Hinweis, der sich auch auf die Entwicklung von kunstpädagogischen bzw. kunstvermittelnden Lehr- und Forschungssettings, die den Herausforderungen der Zeit angemessen sind, anwenden lässt. Denn, so Herzog weiter, „[j]ede Perspektive, auch und gerade jede Expert*innenperspektive, stellt auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit scharf und blendet andere aus. Um überhaupt zu verstehen, was die eigenen blinden Flecken sind, braucht es den Austausch mit anderen Perspektiven“ (a. a. O.: 111). Die Bedingungen, unter denen diese Perspektiven zusammengebracht werden können, sind nicht nur fordernd, sondern auch fördernd. Denn es bestehe, so die Philosophin Sybille Krämer, ausgelöst durch die kollektive Pandemieerfahrung eine gesamtgesellschaftlich „nie dagewesene Bereitschaft, diese Gegenwartserfahrung als Wendepunkt zu theoretisieren und zu kommentieren und mögliche Zukünfte zu entwerfen“ (Krämer 2020: 37). Die gesellschaftliche, politische, planetarische Gesamtsituation fördert und fordert also gleichermaßen ein grundsätzliches, gemeinsames Umdenken auch in Kunstpädagogik und Kunstvermittlung. Sie schafft potentiell ein reflexions- und diskursfreudiges Klima und prägt als teils kontrastreiche, teils verschwommene Folie das Nachdenken über die Frage, in welche Richtung notwendige Veränderungen oder Neuorientierungen gehen sollten. Die folgenden zwei Beispiele greifen diese Herausforderung auf und zeigen mögliche Wege auf, wie hierzu im Bereich der kunstpädagogischen Praxis und Forschung in kollaborativen Settings gearbeitet werden kann.
Die zweitägige Online-Tagung „Auf der Suche nach der 5. Dimension – Arbeitstagung Fachdidaktik Kunst und Design“ (vgl. Lübke/Schmidt-Wetzel 2023a), stellt den konkreten Versuch dar, im zweiten Pandemie-Winter 2021/22 ein Denken und Handeln im „Modus Potentialis“ (vgl. Schmidt-Wetzel 2022) als Alternative zum Emergency-Remote-Modus in Lehre und Forschung anzuregen. Die Idee und Initiative zu der Tagung, die in einem rund dreimonatigen partizipativen und kollaborativen Prozess mit einer Gesamtgruppe von ca. dreißig Kunstpädagog*innen vorbereitet und im Dezember 2021 als Online-Konferenz mit rund sechzig Teilnehmenden durchgeführt wurde, sind daher als direkte Reaktion und Fortführung kunstpädagogischer Forschung zu verstehen (vgl. vertiefend Lübke/Schmidt-Wetzel 2023b). Über die Ergebnisse der o. g. Studie „Erzählungen über Distanz und Nähe“ hinaus wurden die persönlichen Beobachtungen und Intentionen der Initiatorinnen, Christin Lübke und Miriam Schmidt-Wetzel, bewusst als Ausgangspunkte der Tagung genutzt und entsprechend kommuniziert, dass sich etwas im bisherigen Gefüge, in dem wir leben, arbeiten, lehren und lernen, entschieden verändert hat. In Form einer Arbeitstagung sollte ein offener Raum zum Befragen, Reflektieren und Erproben eben dieser wahrgenommenen Veränderungen entstehen. Ziel war es, einerseits zurückzuschauen auf eine zurückliegende Zeit des Unterrichtens und Lehrens im Emergency-Remote-Modus, also auf die wirklich außergewöhnlichen Erfahrungen im Distanzunterricht aus der Notfallsituation der Pandemie heraus. Andererseits sollte es auch möglich werden, nach vorne zu schauen und gemeinsam mit Mitwirkenden aus verschiedenen kunstpädagogischen Feldern interdisziplinär und institutionenübergreifend daran zu arbeiten, ausgehend von den Praxisphänomenen unter Pandemiebedingungen nach Schlussfolgerungen, Veränderungen und Neuerungen zu fragen, die für Kunstpädagogik und Art Education anstehen – in der Pandemie und in post/pandemischen Zeiten (siehe Abb. 1). Mit Blick auf die zuvor gestellte Frage „Geht da noch was?“ sollte es bei der Tagung nicht nur darum gehen, die aktuelle Lage zu analysieren und über mögliche Zukünfte zu spekulieren. Sondern die Tagung selbst sollte als Form der Intervention in Vermittlung konturiert werden, in dem Sinne, dass die als Arbeitstagung den Rahmen dafür schuf, gemeinsam mit anderen konkrete, sowohl neue als auch alternative Ansätze künstlerisch-ästhetischen und kunstpädagogischen Handelns in Digitalität erarbeiten, ausprobieren und reflektieren zu können.
Für die kollaborative Entwicklung der Tagung, die vollständig digital und remote organisiert war, bestand eine besondere Herausforderung darin, ein gutes Gleichgewicht zwischen Offenheit und Orientierung, Freiwilligkeit und Verbindlichkeit zu halten – und zwar unter Bedingungen, die für alle Beteiligten neu und in mehrfacher Hinsicht anspruchsvoll waren. Studierende, Lehrer*innen im Schuldienst (auf unterschiedlichen Schulstufen sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz), Hochschuldozierende und freie Kunst- bzw. Designvermittler*innen fanden über ein geteiltes Interesse an Themenschwerpunkten zueinander und mussten sich in kleinen Planungsgruppen („Dimensionsgruppen“) sowie in der Gesamtgruppe verständigen und organisieren. Um die gemeinsame Tagungsvorbereitung über noch ungewohnte digitale Kommunikationskanäle, in Videokonferenzen, mit virtuellen Tools u. ä. transparent und vernetzt zu gestalten, fanden zum einen in einem etwa zweiwöchigen Rhythmus digitale Jours Fixes statt, in denen die Beteiligten sich wechselseitig über die Entwicklungen in ihren Dimensionsgruppen und mit Blick auf die Gesamttagung austauschten und informierten. Zum anderen wurde der Planungs- und Entwicklungsprozess von Beginn an auf einem virtuellen Whiteboard („Miro“) organisiert. Auf diese Weise nahm die Tagung auf zeitlicher, visueller, sozialer und ästhetischer Ebene im Prozess langsam Struktur an. Die regelmäßigen virtuellen Treffen dienten wortwörtlich der Synchronisation parallel verlaufender Entwicklungen. Das virtuelle Whiteboard machte diese Entwicklungen sichtbar, nicht nur dokumentarisch, sondern auch als Ausblick auf nächste Schritte. Beide genutzten, medialen Formate, also Videokonferenzen und virtuelles Whiteboard, eröffneten Raum für Beziehungsaufbau, Vernetzung, Gedankenaustausch und Wissensvermittlung – sowohl in den jeweiligen Kleingruppen als auch innerhalb der Gesamtgruppe.
Bedingt durch dieses prozesshaft angelegte Tagungssetting entstanden gemeinsam erarbeitete Erkenntnisse und neue Fragen hinsichtlich der Potentiale und Herausforderungen digitaler Formate für die kunstpädagogische Lehre, Kunstvermittlung und das Zusammenarbeiten auf Distanz. Insbesondere die digitalen Medien, die zur Kommunikation im Vorfeld und während der Online-Tagung zum Einsatz kamen, traten bei dem ausschließlich remote organisierten Entwicklungsprozess immer wieder ins Zentrum der Auseinandersetzung. Videokonferenzen, virtuelles Whiteboard und weitere digitale Kommunikations- und Gestaltungsmittel wurden in den Dimensionsgruppen teils spielerisch, teils kritisch und problematisierend befragt. Ihre Nutzung wurde subversiv unterwandert, experimentell und ästhetisch erweitert oder verändert, sodass über die reine „Mediennutzung“ (vgl. Baacke 2001) auch Momente der „Mediengestaltung“ (ebd.) zum Tragen kamen (siehe Abb. 2). Bei den Treffen in der Gesamtgruppe stand dagegen „Medienkritik“ (ebd.) im Vordergrund: Im Sinne einer diskursiven Verständigung konnten Phänomene, die im Planungsprozess in Erscheinung traten, wie beispielweise Unsicherheiten und Bedenken in der digitalen Kommunikation, formuliert sowie gemeinsam kritisch reflektiert werden.
Weitere Potentiale und erste Ansätze, aus dem reflektierten Tun im Rahmen der Tagung Rückschlüsse für theoretische und praktische Neujustierungen in Art Education zu ziehen, zeigten und zeigen sich auf vielen Ebenen. Es entstand ein Raum, der sich phänomenologisch und thematisch weit zwischen Schule und Hochschule, Unterrichtspraxis und Forschung ausdehnte und in dem verschiedenste Akteur*innen aus dem Bereich der Kunstpädagogik interdisziplinär, überregional und institutionenübergreifend zusammenkommen konnten. Und zwar nicht nur während, sondern bereits in der Vorbereitung der Konferenz, um auf diese Weise eigene thematische Interessen und Schwerpunkte einzubringen. Die Ergebnisse und Erfahrungen aus diesem besonderen Tagungsformat sind aus Perspektive der einzelnen Dimensionsgruppen, der Tagungsleitung und der wissenschaftlichen Begleitung ausführlich, theoretisch und praxisorientiert begründet im Tagungsband dargestellt (vgl. Lübke/Schmidt-Wetzel 2023a).
Der Anspruch, inmitten der Pandemie eine Online-Tagung für ein breites Zielpublikum als eine eindrückliche, ästhetische und gemeinschaftliche Erfahrung zu gestalten, war hoch. Die Konzeption, Entwicklung und Durchführung stellte – gleichermaßen gewollt wie notwendigerweise – ein komplexes kollaboratives Experiment dar, dessen Form und Richtung wesentlich durch den Tagungstitel geprägt wurde. Die Metapher der „5. Dimension“ ist einem Wissenschaftsbereich entlehnt, der Kunstpädagog*innen in der Regel fern liegt (vgl. Johannes Gutenberg-Universität Mainz 2021). Verbunden mit der Anlehnung an den Romantitel „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust entstand daraus ein allegorisch aufgeladener Tagungstitel, der assoziative Verweise auf Prozesshaftigkeit, Imagination und Forschung ermöglichte sowie vieldeutige Lesarten, Fokussierungen, Interpretations- und Gestaltungsspielräume eröffnete. Auf diese Weise konnte der Blick zunächst ergebnisoffen auf grundlegende Dimensionen kunstpädagogischen Handelns gerichtet werden, die als etabliert und vertraut bzw. relativ bekannt vorausgesetzt werden konnten. Die Auseinandersetzung mit Veränderungen und neuen Phänomenen konnte ihren Ausgangspunkt darauf aufbauend im sensiblen Wahrnehmen und Reflektieren der Veränderungen und Verschiebungen in den bestehenden Dimensionen von Kunstpädagogik, Kunstvermittlung und Kultureller Bildung nehmen – orientiert durch die Perspektive bzw. in der Aussicht auf eine mögliche fünfte Dimension. Über die Metapher der fünften Dimension eröffnete sich gewissermaßen eine weitere, abstrahierte Betrachtungsebene über der Folie der pandemiegeprägten Ausnahmesituation; beide zusammen eröffneten neue Ansichten auf bekannte Phänomene und ließen andere erst in Erscheinung treten.
Das Kooperationsprojekt „Vermittelt euch!“ wurde von Claudia Roßkopf und Miriam Schmidt-Wetzel als ein Format der Begegnung und des Austauschs zwischen Studierenden am Institut für Kulturpolitik der Stiftung Universität Hildesheim und Studierenden im Master Art Education an der ZHdK konzipiert (vgl. Beitrag von Claudia Roßkopf in diesem Band). Vor dem Hintergrund unserer jeweiligen fachlichen Expertisen befragt es die in dem kuratorischen Konzept der documenta fifteen (vgl. Hesse-Badibanga 2021; ruangrupa et al. 2022a) enthaltenen Implikationen für Bildung und Vermittlung konstruktiv und kritisch.
Nicht nur mit der Metapher der Reisscheune, sondern auch durch das Motto „make friends not art“ machte das Kurator*innenkollektiv ruangrupa deutlich, dass bei der von ihm verantworteten documenta-Ausgabe nicht Kunst an sich, sondern die „Kunst der Kooperation“ (vgl. u. a. Jocks 2022) gezeigt werden sollte. Diese und weitere wesentliche kuratorische Setzungen des lumbung-Konzepts betreffen unmittelbar den Kern des professionellen, fachlichen und disziplinären Selbstverständnisses von Kunstvermittler*innen (vgl. Wagner 2022). So werden etwa kollektiv organisierte Bildungsprojekte am Ausstellungsstandort des Fridericianum (Fridskul) auf symbolträchtige Weise ins Zentrum der documenta fifteen gerückt. Ruangrupa und weitere beteiligte Künstler*innen und Kollektive begreifen und betreiben Bildungsarbeit als wesentlichen Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit. Bereits vor Eröffnung der documenta und unabhängig von den im Verlauf der Ausstellung offensichtlich gewordenen blinden Flecken und Schwächen ist also mit dem kuratorischen Gesamtkonzept erkennbar ein starker Aufforderungscharakter für den gesamten Bereich der Kunstpädagogik und -vermittlung verbunden. Das im Folgenden vorgestellte Kooperationsprojekt stellte dementsprechend den Versuch dar, handlungsorientiert und ergebnisoffen zu erproben, welche kunstpädagogischen und kunst-/kulturvermittelnden Praktiken in Verbindung mit dem lumbung-Konzept auf der documenta fifteen möglich und sinnvoll sein könnten. Der Titel „Vermittelt euch!“ weist in diesem Zusammenhang darauf hin, auf welche Weise mit den kuratorischen Setzungen für die documenta fifteen in unserem Projekt umgegangen wurde: Statt Kunst zu vermitteln, lud das Projekt Studierende verschiedener Studienrichtungen an zwei Hochschulen in Deutschland und der Schweiz dazu ein, sich auf der documenta fifteen zu begegnen, um in gegenseitiger Vermittlung die von ruangrupa formulierten lumbung-Prinzipien konkret, experimentell und von eigenen Interessen und Bedürfnissen geleitet vor Ort zu befragen. Vermittlung sollte dabei als eine performative Praxis erfahrbar werden, die sich zwischen den Beteiligten, im Dialog und in Auseinandersetzung mit den Positionen und Projekten der documenta fifteen ereignete.
Ausgehend von der Metapher der Reisscheune als eine bildhafte Vorstellung, die eigene Deutungen anregt, wurden den Studierenden im Rahmen des Kooperationsprojekts Methoden und Materialien angeboten, um in Auseinandersetzung mit dem lumbung-Konzept in ein ästhetisches, ästhetisch-forschendes und/oder vermittelndes Handeln zu kommen. Zur Vorbereitung erhielten alle Teilnehmenden aus beiden Hochschulen mit einigen Wochen Vorlauf Zugang zu einer „virtuellen Reisscheune“ in Form eines digitalen Whiteboards. Dort konnten zum einen Informationen, Wissen und Fragen bezüglich der documenta geteilt werden und zum anderen wurde die Möglichkeit eröffnet, sich bereits vor der persönlichen Begegnung vor Ort ein erstes Bild der Teilnehmenden zu machen.
Für die Studierenden der ZHdK war das Projekt in eine fünftägige Studienreise des Masters Art Education integriert. Am ersten Tag der Studienreise erhielten die Zürcher Studierenden nach einer allgemeinen Einführung eine unbedruckte, leere Stofftasche. Damit verbunden, war der Auftrag, diese bis zum gemeinsamen Projekttag mit den Hildesheimer Studierenden am vorletzten Tag der Studienreise als mobilen Speicher zu nutzen und darin Fragen, Materialien und Diskussionsstoff zur documenta-Ausstellung und Kassel zu sammeln. Ähnlich bereiteten sich die Hildesheimer Studierenden bereits zu Hause auf das Zusammentreffen vor. Leitendes Prinzip für die Begegnung der beiden Studierendengruppen war das „Mitbringen – Sammeln – Tauschen – Teilen – Verarbeiten – Mitnehmen – Weitergeben“ von allem, was ihnen im Zusammenhang mit der documenta fifteen und dem Ausstellungsort Kassel als relevant erschien.
Der eigentliche, gemeinsame Projekttag begann mit einer Vorstellungsrunde, bei der die Teilnehmenden sich mit je einem Element aus ihrem persönlichen mobilen Sammlungspeicher vorstellten. Folgendes wurde dabei gezeigt, benannt und geteilt: ein gekochtes Ei, eine Grasnarbe aus dem Staatspark Karlsaue, die Empfehlung einer Ortsansässigen für das beste Café in Kassel, ein Kartenspiel, ein Plakat aus der lumbung-Druckerei, eine Infografik aus der Ausstellung, ein Wunsch („Ich will heute in der Ausstellung zeichnen.“), Gesprächsstoff wie z. B. Weisheiten der eigenen Mutter, das document-fifteen-Handbuch, ein Safranrezept, aber auch abstrakte Beigaben wie „eine Horizontale und eine Vertikale“.
Auf der Basis dieser geteilten Vorstellungen bildeten sich gemischte Kleingruppen, die sich selbstständig in Bewegung setzten und in Austausch untereinander und mit der documenta fifteen traten. Wie genau die verfügbare Zeit in den Kleingruppen verbracht oder gestaltet wurde, ob sich die mobilen Speicher weiter füllten oder veränderten, entschieden die Teilnehmenden selbst; die dafür notwendigen Aushandlungsprozesse wurden als wesentlicher Teil der Vermittlung verstanden und entsprechend thematisiert. In einer Abschlussrunde am späten Nachmittag wurden die Erträge in den Kleingruppen im Sinne des lumbung-Konzepts in der Gesamtgruppe geteilt. Zwei dieser Erträge werden im Folgenden exemplarisch vorgestellt und der darin zum Ausdruck kommende spezifische Umgang mit den angebotenen, bildhaften Vorstellungen interpretiert.
Die Gruppe „JOMO“ zeigte den anderen beim gemeinsamen Abschluss des Projekttags ein zweiseitiges Textplakat mit dem formatfüllenden, in schmalen, orangefarbenen Versalien gesetzten Schriftzug „GATHER“. Das Plakat stammte aus der lumbung-Druckerei, die während der Öffnungszeiten der Ausstellung in der documenta-Halle betrieben wurde. Die Gruppe nutzte die unbedruckte weiße Rückseite dieses Fundstücks für eine eigene Textcollage: In Blau, Grün und Orange wurde der Schriftzug „JOMO“ aus Buchstaben zusammengesetzt, die aus weiteren, ebenfalls aus der lumbung-Druckerei mitgenommenen Plakaten ausgeschnitten worden waren. Die mittleren Buchstaben O und M ragen am oberen bzw. unteren Bildrand über das Format hinaus, was insgesamt den eher improvisiert wirkenden Charakter des Blattes unterstreicht. Nachdem die Studierenden ihr Plakat humorvoll-theatralisch vor der Gruppe enthüllten, erklärten sie dessen Bedeutung und den Entstehungszusammenhang: Das Akronym „JOMO“ stehe für „Joy of Missing Out“, zu der als Alternative zu einer umgreifenden „Fear of Missing Out“ („FOMO“) seit einigen Jahren vornehmlich in sozialen Netzwerken aufgerufen wird. Des Weiteren erläuterte die Gruppe, dass die vorangegangenen drei Tage der Studienreise vor allem von disziplinierten, von den Dozierenden geleiteten Begehungen er verschiedenen Ausstellungsstandorte geprägt gewesen seien. In der durch das Projekt frei verfügbaren Zeit hätten sie sich daher bewusst dem nonkrong, also dem im lumbung-Konzept enthaltenen „gemeinsamen Abhängen“ (vgl. ruangrupa et al. 2022b) gewidmet. Durch den bewussten Verzicht darauf, am letzten Studienreisetag der Vollständigkeit halber die noch fehlenden Ausstellungsstandorte „abzuklappern“, so die Studierenden, hätten sie tatsächlich Freude über das gemeinsam und absichtsvoll Verpasste erfahren können.
Die zweite Gruppe „Gemeinschaftsdecke“ wirkte bei ihrer Präsentation gleichermaßen stolz und zufrieden wie auch sichtlich verunsichert, ob ihr gewählter Umgang mit dem Arbeitsauftrag den Vorstellungen der Projektleitung entsprach. So betonten sie, dass sich in ihrer Gruppe vier Personen zusammengefunden hätten, die sich dem Auftrag, die Stofftaschen als mobilen Speicher zu füllen, bewusst widersetzen wollten. In der Gudskul, also dem Raum im Fridericianum, den ruangrupa selbst gemeinsam mit weiteren Kollektiven als Aktions- und Begegnungsraum gestaltet hatte und der Einblick in deren Bildungsarbeit in Indonesien geben sollte, entdeckte die Kleingruppe nicht nur einen mit einer Nähmaschine ausgestatteten Arbeitsplatz. Dort fanden sie auch die Idee, etwas gemeinsam herzustellen und machten sich mit vereinten Kräften an die Arbeit: Die vier Stofftaschen der Gruppenmitglieder wurden aufgetrennt und so zusammengenäht, dass daraus eine Gemeinschaftsdecke entstand, die anschließend im Staatspark Karlsaue als Picknickdecke eingeweiht wurde. Nach der Präsentation im Projektplenum kehrte die Gruppe noch einmal in die Gudskul im Fridericianum zurück. Dort überließen sie ihre mit einem Gudskul-Stempel versehene Arbeit an beiläufiger Stelle einer möglichen Weiterverwendung oder erneuten Umnutzung durch andere Besucher*innen. Wie alle vorherigen Aktionsschritte erfolgte diese Einspeisung in das Gudskul-Inventar vollkommen eigenverantwortlich, ohne Absprache mit den Projektverantwortlichen, der Ausstellungsaufsicht oder Mitarbeitenden der documenta fifteen.
So unterschiedlich die exemplarisch beschriebenen Erträge zunächst erscheinen mögen: Zwischen den Herangehensweisen in den beiden Kleingruppen sind doch deutliche und bedeutsame Parallelen festzustellen. In beiden Fällen können Neuzusammensetzung und Umnutzung als die beiden übergeordneten Strategien rekonstruiert werden, durch die sich die verschiedenen Handlungen in den Gruppen kennzeichnen: Plakate aus der lumbung-Druckerei werden nicht nur mitgenommen, sondern zerschnitten und weiterverwendet. Die Gudskul im Fridericianum wird nicht nur als Ausstellungsraum besucht, sondern das Inventar wird für ein eigenes Vorhaben genutzt. Die Stofftaschen werden nicht in der vorgeschlagenen Weise verwendet, sondern gemeinsam umfunktioniert. Die zur Vermittlung in Kleingruppen zur Verfügung stehende Zeit wird größtenteils im Sinne von nonkrong verbracht. In beiden Fällen sind die Studierenden zunächst unsicher, ob ihr umdeutendes Handeln den Vorstellungen der Projektleitung entspricht. Tatsächlich entsprachen genau solche, unerwartbaren Reaktionen auf den Auftrag in besonderem Maße unseren Intentionen als Projektleiterinnen: als unvorherzusehende, so doch erwünschte, ja vielleicht sogar dringend benötigte eigenständige Handlungen und als selbstermächtigende, künstlerische Umgänge mit Angeboten in der Kunstvermittlung.
Sowohl bei der Online-Tagung als auch im Kooperationsprojekt öffneten sich durch ein Denken und Handeln in Metaphern Räume für unterschiedliche Vorstellungen und Interpretationen, für (Weiter-)Denken, (Ver-)Suchen und Entdeckungen. Sprachbilder helfen, über etwas zu sprechen, was noch nicht ist, was abstrakt oder (noch) eine Idee ist. Mitunter zeigen sich am Sprachbild Möglichkeiten, die so beispielsweise an der Sache selbst, auf die sich die Metapher bezieht, nicht erkennbar sind. Metaphern können also Denkhilfe bieten und im Wort- sinn Kreativität anregen – selbst unter unsicheren und ungewissen Umständen. So boten sich bei der Online-Tagung „Auf der Suche nach der 5. Dimension“ in der Auseinandersetzung mit einer Metapher Möglichkeiten, um auf Unvorhergesehenes im ästhetisch-künstlerischen und kunstreflexiven Handeln zu reagieren, sich im pandemiebedingten Schwebezustand zu orientieren und darin wirksam zu agieren. Bei „Vermittelt euch!“ wurde es möglich, in Auseinandersetzung mit dem für die Kunstvermittlung voraussetzungsvollen kuratorischen Konzept auch kleinen, vorsichtigen Formaten und Versuchen Wertschätzung und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Dabei zeigen gerade die Umformulierungen und Umnutzungen des künstlerischen bzw. kunstvermittelnden Angebots in den Kleingruppen, dass die Abgabe von Kontrolle durch die Projektleitenden an die Teilnehmenden nicht nur eine Option sein kann, die herausfordert und motiviert. Sie öffnet auch den Raum für Interpretationen und Umdeutungen, die diejenigen, die eine Metapher als Verhandlungsgegenstand vorschlagen, im Nachhinein überraschen und den Horizont, die eigene Sichtweise erweitern können.
Metaphern sind im wahrsten Sinne des Wortes Auslegungssachen, die sich in einem Spannungsfeld zwischen großer Mehrdeutigkeit und Plakativität bewegen können. Mitunter erweist es sich als recht einfach, eine Metapher und ihre Verwendung in Frage zu stellen, sie als zu verkürzt, zu vereinfachend, zu weit hergeholt, zu abstrakt, zu sehr um die Ecke gedacht zu kritisieren, als an anderer Stelle ,geklaut‘ zu entlarven usw. Anschaulichkeit und Fragwürdigkeit sind daher gleichermaßen wesensbestimmende Merkmale von Metaphern. Die daraus resultierende grundsätzliche Angreifbarkeit von Metaphern sollte jedoch nicht als Argument gegen ihre Verwendung betrachtet werden. Vielmehr kann aus diesem Merkmal die Aufforderung zu einem spielerischen, experimentellen und variationsfreudigen Umgang in (kunst-)pädagogischen und (kunst-)vermittelnden Kontexten abgeleitet werden. Ein solcher Umgang kann auch auf einer Metaebene kultiviert werden. Wenn beispielsweise unterschiedliche Bilder zur disziplinären Charakterisierung von Kunstpädagogik verwendet werden – als Korallenriff (Krebber 2020), als Katastrophe (Kirschenmann/Schulz 2022) oder als Biosphäre (Bader et al. 2022) –, so können ein solcher spielerischer, experimenteller und variationsfreudiger Umgang und ein Wissen um die Verhandelbarkeit von Metaphern dazu beitragen, auch die Gegenstände, auf die sinnbildlich verwiesen wird, als gemeinsame Verhandlungssachen zu begreifen und zu bearbeiten. Um jedoch ein solches Denken und Handeln in Metaphern als gemeinsame Möglichkeit der Weiterentwicklung zu betreiben, ist es – besonders unter den aktuellen, vielfach verunsichernden und unklaren Umständen – m. E. nicht ausreichend, ein anschauliches, attraktives, anspruchsvolles oder herausforderndes Bild in den Raum zu stellen. Diejenigen, die mit Metaphern Impulse in künstlerischen, kunstpädagogischen, kunstvermittelnden Settings oder auch z. B. fachpolitischen Debatten setzen, benötigen daher ein klares Bewusstsein für deren potentielle Wirkungen und für ihre damit verbundene jeweilige Handlungsverantwortung (vgl. Hofmann/Roßkopf 2022). Denn Metaphern können – und sollen – auch Aufregung, Widerstand, Reibung und Dissonanz auslösen. Personen, die mit Metaphern interaktive Prozesse initiieren, sind daher – zumindest in pädagogischen, sozialen und politischen Kontexten – zuständig für die passende Begleitung, Vermittlung oder Übersetzung (vgl. Schmidt-Wetzel et al. 2023) in der individuellen und gemeinschaftlichen Auseinandersetzung mit den vorgeschlagenen Bildern. Es bleibt zu erproben, zu diskutieren und zu untersuchen, ob und wohin dieser Ansatz weiterträgt.
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Abb. 9.1: Sammlung und Auswertung individueller Aussagen zu den Dimensionen Didaktik, Digitalität, Distanz und Dialog (Präsentationsfolie aus dem vorbereitenden Online-Treffen), 2021. Grafik: Henryetta Duerschlag.
Abb. 9.2 und 9.3: Einblicke in die Messenger-Performance Liquid Dialogues – während wir gleichzeitig sprachen, aufgeführt von Jane Eschment, Gesa Krebber, Karl Laurinat, Katja Lell und Henrike Uthe auf der Online-Konferenz „Auf der Suche nach der 5. Dimension – Arbeitstagung Fachdidaktik Kunst und Design“, 2021. Screenshot: Jane Eschment, Gesa Krebber, Katja Lell, Henrike Uthe.
Abb. 9.4: Präsentation der „Erträge“ zum Abschluss des Projekttags. Aus GATHER wird JOMO statt FOMO, 2021. Fotografie: Miriam Schmidt-Wetzel.
Abb. 9.5 bis 9.7: Aus mobilen Speichern wird eine Gemeinschaftsdecke: Herstellung in der Gudskul (oben), Einweihung als Picknickdecke (unten links), Einspeisen der Gemeinschaftsdecke in die Gudskul (unten rechts), 2021. Fotografie: Miriam Schmidt-Wetzel.