Eine psychologische Perspektive auf mediale Mikroformate

Zusammenfassung

Etablierte Mikroformate im Kontext sozialer Medien sind seit Längerem im Fokus (medien-) psychologischer Forschung. Doch auch wenn das Konzept des Mikroformats selbst bisher kein Forschungsgegenstand der Psychologie ist, kann diese durch Studien zu mikro-formativen Elementen und Variationen einen Beitrag dazu leisten, das Konzept des Mikroformats zu schärfen und seine Tragweite zu verstehen. Der vorliegende Beitrag zeigt dazu exemplarische Studien und Methoden aus verschiedenen Forschungsbereichen.

 

Psychologische Forschung zu etablierten Mikroformaten

Das Konzept der Mikroformate ist in der psychologischen Forschung bisher kaum bis gar nicht explizit als eigener Forschungsgegenstand verankert. Prozesse kreativer Medienproduktion und Reproduktion medialer Inhalte liegen größtenteils außerhalb psychologischer Studien, wobei Kreativität als kognitive Leistung (Amabile 1983) und die Perspektive der Medienproduktion in spezifischen Kontexten wie der journalistischen Auswahl von Nachrichten (Unz & Schwab 2004) und deren inhaltlich-sprachlichen Rahmungen (Kaspar, Zimmermann et al. 2016) durchaus Gegenstand psychologischer Forschung sind. Dennoch kann eine psychologische Perspektive auf das Konzept der Mikroformate eingenommen werden und zum interdisziplinären Diskurs beitragen. Insbesondere liefert psychologische Forschung Anhaltspunkte dafür, was unter Mikroformaten überhaupt verstanden werden kann und wie diese auf ihre Konsument*innen wirken.

Die Psychologie ist ganz allgemein die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen und somit durch einen grundsätzlich sehr breiten Fokus charakterisiert. Die Untersuchung menschlichen Verhaltens und Erlebens im Kontext der Auswahl, Nutzung und Wirkung von Medien hat dabei eine lange Tradition. Dieser medienpsychologische Fokus ist eng verbunden mit der sich stetig verändernden medialen Welt. Im Zuge des Aufkommens neuer Medienformate und Technologien ändern sich auch zentrale Forschungsfragen und Untersuchungsmethoden. Mit der zunehmenden Bedeutung von Medienformaten, in denen Informationen verdichtet und verknappt dargestellt werden, wuchs auch das psychologische Interesse an den Effekten, die diese Medienformate vor, während und nach der rezeptiven Phase auf ihre Konsument*innen haben können. Wenig überraschend lassen sich mittlerweile Tausende Studien finden, die ihren Fokus auf Kurzformen der Nachrichtenpräsentation – beispielsweise auf Facebook oder Twitter – richteten oder die Effekte einer auf wenige Informationen und Fotos beschränkten (Selbst-)Darstellung von Personen untersuchten, insbesondere in sozialen Medien wie Instagram und Tinder. Sofern man entsprechende Medienformate als Mikroformate anerkennt, spielen diese in der (medien-)psychologischen Forschung also bereits seit längerer Zeit eine ganz zentrale Rolle.

Die dabei untersuchten Phänomene bzw. Effekte sind so  heterogen,  dass  sie  sich  hier nicht annähernd umfassend darstellen lassen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Eine substanzielle Forschungslinie untersucht  die  Effekte  von  informationsverdichtenden bzw. -verknappenden Medienformaten in Kombination  mit  sozialen  Vergleichsprozessen,  die in sozialen Medien auf die Konsument*innen wirken. So kann das Betrachten von Ins- tagram-Bildern, auf denen attraktive Personen dargestellt sind, negative Effekte auf die Stimmungslage und Zufriedenheit mit dem eigenen Körperbild erzeugen (Brown & Tig- gemann 2016) oder die Rezeption von knappen Netzwerkprofilen erfolgreicher Personen  die Einschätzung des eigenen beruflichen Erfolgs schmälern (Haferkamp & Krämer 2011). Für die Entstehung entsprechender Effekte sind sogenannte aufwärtsgerichtete Vergleiche verantwortlich, bei denen sich Medienkonsument*innen mit Personen vergleichen, die auf der interessierenden Bewertungsdimension besser abschneiden. Aufwärtsgerichtete Ver- gleiche können aber grundsätzlich auch positive, motivierende Effekte erzeugen (Van de  Ven et al. 2011). Demgegenüber stehen  abwärtsgerichtete Vergleiche  mit  Personen,  die als beispielsweise unattraktiver oder erfolgloser wahrgenommen werden. Diese können ebenfalls zu einer Erhöhung der eigenen Zufriedenheit führen (Buunk et al. 2001). Eine andere Forschungslinie untersucht, inwiefern die Inhalte von Kurznachrichten auf Twitter unter anderem Vorhersagen über Veränderungen am Aktienmarkt (Bollen et al. 2011), den Ausgang von Wahlen (Tumasjan et al. 2011) oder die Persönlichkeitseigenschaften der Nutzer*innen (Golbeck et al. 2011) ermöglichen. Entsprechende  Studien  deuten  darauf hin, dass Inhalte von Twitter-Nachrichten genau solche Vorhersagen tatsächlich erlauben.

Die beiden ausgewählten Forschungslinien zeigen, dass diese Art der Mikroformate durchaus eine bedeutsame Rolle für das menschliche Verhalten und Erleben im Kontext der Mediennutzung spielen können.

Allerdings muss auf zwei kritische Punkte hingewiesen werden: Zum einen gibt es noch wenige Studien, die einen direkten Vergleich zwischen diesen Mikroformaten und ausführlicheren Formaten der Informationspräsentation vorgenommen haben. So veröffentlichte Schäfer (2020) kürzlich eine der wenigen Studien, in denen ein möglicherweise differenzieller Effekt von ausführlichen Nachrichtenartikeln gegenüber Kurznachrichten auf Facebook untersucht wurde. Es zeigte sich, dass die Rezeption mehrerer kurzer Nachrichten auf Facebook dazu führte, dass die Konsument*innen subjektiv einen Zuwachs an Wissen wahrnahmen, der sich objektiv jedoch nicht bestätigen ließ. Hingegen stieg das tatsächliche Wissen beim Konsum eines ausführlichen Artikels. Vergleichbare Studien, insbesondere mit Blick auf andere Medienformate, sind jedoch rar gesät. Somit bleibt unklar, ob die Effektivität eines Medienformats grundsätzlich mit seiner ‚Größe‘ skaliert, das heißt, die Wirkung desto stärker abnimmt, je kleiner, kompakter, verdichteter, verknappter und demnach mikro-formativer ein Format ist. Zum anderen sind Formate wie Fotos in sozialen Medien, kompakte Personenprofile und Kurznachrichten relativ gesehen zweifelsohne mikro-formativ, wenn man einen Vergleich mit langen Videos, umfangreichen Lebensläufen bzw. ausführlichen Zeitungsartikeln anstellt. Und dennoch steckt in solchen Mikroformaten bereits eine Menge Information. Somit stellt sich die Frage, ob nicht auch noch deutlich kleinere und bisweilen beiläufige perzeptuelle Informationseinheiten im medialen Kontext bedeutsame Effekte auf menschliches Erleben und Verhalten haben können. Oder anders gefragt: „Wie klein und vermeintlich nebensächlich darf ein mediales Element ausfallen, um noch wirksam zu sein?“.

 

Mikroformate, Werbeforschung und visuelle Aufmerksamkeit

Im Folgenden möchte ich am Beispiel einiger eigener Studien zeigen, dass bisweilen sehr kleine und teilweise periphere Informationsvariationen tatsächlich nennenswerte Effekte bei den Konsument*innen entsprechender Medienformate hervorrufen können. Das erste Beispiel entstammt dem Bereich der Werbeforschung: Zumeist zielt Werbung darauf ab, über einen mehrstufigen Prozess am Ende den Absatz von Produkten oder Dienstleistungen zu beeinflussen. Zuvor müssen die potenziellen Kund*innen jedoch erst einmal auf das Produkt oder die Dienstleistung aufmerksam gemacht werden, um daraufhin die Markenbindung intensivieren und schließlich das Kaufverhalten anpassen zu können. Allerdings kämpfen Werbetreibende im Internet gegen das sogenannte Phänomen der Banner-Blindheit (Banner Blindness), denn Internetnutzer*innen haben gelernt, Werbung aktiv zu ignorieren (Benway & Lane 1998). Die enormen visuellen Informationen in unserer Umgebung kämpfen grundsätzlich um unsere räumlich stark begrenzte visuelle Aufmerksamkeit (Kaspar 2013a) und auf Internetseiten hat sich zudem ein relativ stabiles und sich wiederholendes Muster der zeiträumlichen Verschiebung des visuellen Aufmerksamkeitsfokus etabliert (Kaspar et al. 2011), sodass es Werbung nicht leicht hat, die gewünschte Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dieser Umstand erklärt möglicherweise, warum heutzutage zum Teil sehr aufdringliche Wer- beformate online genutzt werden, wie beispielsweise Werbebanner im Popup-Format, die allerdings zu Ablehnungsgefühlen bei den Internetnutzer*innen führen können (Edwards et al. 2002). Doch es gibt auch deutlich subtilere visuelle Variationsmöglichkeiten von Werbungen, die die Attraktion der visuellen Aufmerksamkeit beeinflussen. So zeigte sich in einer Studie (Hamborg et al. 2012), in der das Blickverhalten von Internetnutzer*innen während der Betrachtung einer Internetseite aufgezeichnet wurde, dass ein Werbebanner, das oberhalb eines Nachrichtentextes platziert war, kaum Aufmerksamkeit auf sich zog, wenn dieses statisch präsentiert wurde. Waren die identischen Bannerinhalte hingegen animiert, so zog dies beträchtlich mehr Aufmerksamkeit auf sich und erhöhte zugleich die Erinnerungsleistung an die Inhalte des Banners, ohne aber die Erinnerungsleistung an die Inhalte des Nachrichtentextes zu reduzieren oder die durch die Studienteilnehmer*innen bewertete Attraktivität des Banners zu beeinflussen.

Doch auch innerhalb von statischen Bannern können visuelle Variationen einen bedeutsamen Einfluss auf die Aufmerksamkeit und Erinnerungsleistung entfalten. Ebenfalls in einer Studie mit Blickbewegungsmessung (Köster et al. 2015) betrachteten weibliche, studentische Teilnehmerinnen im vergleichbaren Alter und mit identischem Wohnort sowie Berufswunsch mehrere Seiten eines Online-Nachrichtenportals. Auf jeder Seite wurde ihnen dabei eine Werbung für variierende Produkte gezeigt, die am oberen Rand (Slogan) sowie am rechten Rand (Logo und Produktbild) des Bildschirms eingeblendet wurde. Allerdings gab es jeweils zwei Versionen jeder Werbung, die sich zwar nicht in ihrer visuellen Auffälligkeit (visuelle Salienz) unterschieden, jedoch bezüglich des inhaltlichen Zuschnitts auf die homogene Zielgruppe variierten. Beispielsweise wurde in einer Version einer Werbung eine Online-Partneragentur für ältere Menschen beworben. In einer alternativen Version wurde hingegen dieselbe Werbung auf junge Menschen und damit die Zielgruppe der Studie zugeschnitten. Obwohl die visuelle Komposition der beiden Versionen vergleichbar war – getestet über Bildanalysealgorithmen–, schauten die Versuchsteilnehmerinnen häufiger auf jene Werbungen, die inhaltlich auf sie zugeschnitten waren. Diese sogenannte demografische Ausrichtung (Demographic Targeting) der Werbung führte zudem dazu, dass die Inhalte der Werbebanner in der persönlich relevan- ten Version signifikant häufiger richtig wiedererkannt wurden. Allerdings war der Effekt der Variation des Bannerinhaltes auf die visuelle Aufmerksamkeit verhältnismäßig klein. Da die Aufgabe der Versuchsteilnehmerinnen darin bestand, auf jeder Nachrichtenseite nach einem bestimmten Text zu suchen und diesen zu lesen, hatten es die peripher eingeblendeten Werbebanner offenbar schwer, diesen Suchprozess zu durchbrechen und Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Entsprechend zeigte sich auch, dass die Version des Werbebanners (persönlich relevant versus nicht relevant) keinen Einfluss auf die Gedächtnisleistung für die rezipierten Nachrichteninhalte hatte.

In einer nachfolgenden Untersuchung (Kaspar et al. 2019) wurde deshalb das Studiendesign dahin gehend verändert, dass die Aufgabe der Versuchsteilnehmerinnen nun darin bestand, die angezeigten Nachrichtenseiten frei zu explorieren anstatt nach spezifischen Informationen suchen zu müssen. Tatsächlich zeigte sich in dieser Studie dann ein deutlich größerer Effekt zwischen persönlich relevanten und nicht relevanten Bannerinhalten auf die visuelle Aufmerksamkeit. Die Bewertung der beworbenen Marke, das Interesse an deren Produkten sowie die Kaufabsicht waren davon aber unbeeinflusst, ebenso wenig die Bewertung der Webseite bezüglich ihrer Attraktivität sowie hedonischen und pragmatischen Qualitäten. Folglich können relativ kleine visuelle Variationen im Sinne einer Mikrovariation zu bedeutsamen Werbeeffekten auf Ebene der Aufmerksamkeitszuwendung und Gedächtnisleistung führen, wobei der konkrete Modus, in dem sich Internetnutzer*innen befinden (Informationssuche versus freie Exploration), einen moderierenden Einfluss zu haben scheint. Dieser Modus-Effekt wurde auch schon durch frühere vergleichende Studien nahegelegt (z. B. Resnick & Albert 2014). Der komplette Weg von der visuellen Aufmerksamkeitszuwendung zu einem beworbenen Produkt bis hin zum tatsächlichen Kaufverhalten konnte bisher aber empirisch noch nicht nachgezeichnet werden. Entsprechende Studien stehen noch aus.

Insbesondere aus einer Perspektive auf Mikroformate ist es für Blickbewegungsstudien wichtig, die unterschiedlichen Ausmaße jener Displays zu berücksichtigen, auf denen visuelle Elemente dargestellt werden. Während mit der Verringerung der Displaygröße die Dichte der visuellen Information pro Quadratzentimeter bis zu einem bestimmten, von der Displayauflösung abhängigen Punkt zunimmt, verändert sich der durch die Anatomie des menschlichen Auges definierte Bereich des scharfen Sehens nicht. Während daher Bilder oder Webseiten auf einem großen Display in einem festgelegten Zeitraum räumlich extensiver exploriert werden müssen, um einen Gesamteindruck erhalten und wichtige Information detektieren zu können, können bei deutlich kleineren Displays lokale Bereiche länger visuell analysiert werden, ohne dass dies auf Kosten des Gesamtüberblicks geschehen muss. Tatsächlich skalieren unterschiedliche Blickbewegungsparameter wie die Anzahl der Fixationen und die Länge der visuellen Sprünge (Sakkaden) mit der Displaygröße in unterschiedlicher Form und in Abhängigkeit des betrachteten Bildtyps, wie beispielsweise urbane Szenen, Landschaftsaufnahmen oder Internetseiten (Gameiro et al. 2017). Zudem kommt der Bekanntheit eines betrachteten Stimulus eine wichtige moderierende Rolle zu: Wenn Mediennutzer*innen bestimmte Bilder zuvor bereits einmal oder gar mehrmals gesehen haben, dann nimmt der Einfluss motivationaler Faktoren auf das visuelle Explorationsverhalten zu (Kaspar & König 2011). Mit Blick auf die Analyse visueller Mikroformate scheint die Methode der Blickbewegungsmessung bei Weitem aber noch nicht ausgereizt, wenn man das enorme Potenzial von Blickbewegungen als Fenster zur Beobachtung kognitiver Prozesse heranzieht (König et al. 2016).

 

Mikroformate und Textwahrnehmung

Ein ganz anderes Beispiel des Einflusses mikro-formativer Variationen konnte folgende Studie aus dem Bereich der Mikrotypografie demonstrieren (Kaspar, Wehlitz et al. 2015): Studienteilnehmer*innen lasen mehrere textliche Zusammenfassungen wissenschaftlicher Arbeiten (Abstracts), wobei diese in zwei verschiedenen Versionen vorlagen, denen die Studienteilnehmer*innen zufällig zugeordnet wurden. Die beiden Versionen unterschieden sich visuell lediglich darin, ob der genutzte Schrifttyp Serifen beinhaltete (Lucida Bright) oder nicht (Lucida Sans). Entgegen der früheren Annahme und Empfehlung, dass serifenhafte Schrift zu einer besseren Unterscheidbarkeit von Buchstaben führen sollte (z. B. McLean 1980; Rubinstein 1988), zeigte sich der umgekehrte Trend eines schnelleren Lesens im Falle serifenloser Schrift. Noch wichtiger jedoch war der Befund, dass die wissenschaftlichen Abstracts im Falle von Serifen auf allen von sechs Bewertungsdimensionen signifikant besser abschnitten. So schätzten die Studienteilnehmer*innen die Aktualität, Bedeutsamkeit und Qualität der in den berichteten Studien untersuchten Forschungsfrage sowie die Verständlichkeit des Textes im Falle von Serifen höher ein. Zudem gefielen in dieser Bedingung die Texte besser und auch das Interesse war höher, den vollständigen Studienbericht lesen zu wollen. Im Kontrast zu Bildern auf Instagram oder Kurznachrichten auf Twitter ist diese Form einer Mikrovariation noch einmal beträchtlich kleiner und zeigt dennoch bedeutsame Einflüsse auf das menschliche Erleben. Mikroformate lassen sich konzeptuell also durchaus auch auf eine entsprechend feine Auflösungsebene medialer Elemente herunterbrechen.

In einer anderen Studie, die ebenfalls die subjektive Wahrnehmung von Abstracts wissenschaftlicher Studien untersuchte (Kaspar et al. 2017), betraf die visuelle Variation nicht den im visuellen Fokus stehenden Text, sondern peripher dargebotene Farbreize. In dieser Untersuchung gab es drei Bedingungen, denen die Studienteilnehmer*innen zufällig zugeordnet wurden. Die Bedingungen unterschieden sich bezüglich eines farbigen Rahmens, der  das Textfeld des Abstracts umschloss und entweder rot, blau oder grau eingefärbt war. In Übereinstimmung mit früheren Studien zu den besonderen psychologischen und physiologischen Wirkungen der Farbe Rot konnte gezeigt werden, dass eine rote im Vergleich zu einer grauen Umrahmung sowohl die eingeschätzte persönliche Relevanz des dargestellten Nachrichtenthemas als auch die Motivation, sich zukünftig weiterhin über dieses Thema informieren zu wollen, signifikant erhöhte. Allerdings ist der Einfluss solcher peripheren, mikro-formativen Farbreize nicht auf subjektive Bewertungsprozesse von Medieninhalten beschränkt: In einer weiteren Studie (Gnambs et al. 2015) lernten Schulkinder auf Basis eines ausgedruckten Lernheftes Fakten über das Essverhalten im Mittelalter. In einem späteren Wissenstest wurde das Gelernte über 20 offene Fragen, die ebenfalls in einem Heft dargestellt wurden, abgeprüft. In beiden Phasen stand auf jeder Seite des Lern- und Testhefts der Titel „Das Mittelalter“ und war entweder durch ein rotes oder graues Rechteck umrahmt. Es zeigte sich unter anderem, dass im Falle eines roten Farbreizes auf dem Lern- und Testheft die Lernleistung bei Jungen signifikant schlechter ausfiel als im Falle farblich unterschiedlicher Lern- und Testhefte. Bei Mädchen zeigte die wiederholte Rezeption peripherer roter Farbreize in Lern- und Testphase hingegen keinen vergleichbaren negativen Effekt. Tatsächlich konnten bereits frühere Überblicksarbeiten eine Vielzahl von farbbezogenen Einflüssen auf Affekt, Kognition und Verhalten des Menschen zeigen (Elliot & Maier 2014). Ob Effekte von Farbvariationen bzw. kleinen und teilweise lediglich peripher dargebotenen Farbreizen helfen, das Konzept der Mikroformate konzeptuell zu schärfen, sollte hingegen im weiteren Diskurs geklärt werden.

 

Mikroformate in der zwischenmenschlichen computervermittelten Kommunikation

Mikroformate spielen zudem in der Sphäre zwischenmenschlicher, computervermittelter Kommunikation eine bedeutsame Rolle, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen sollen: Ein bereits etabliertes Mikroformat sind zweifelsohne Bewertungen von Produkt- und Dienstleistungsanbieter*innen in Form eines Ratings auf einer 5-Sterne-Skala, wie sie im Online- handel (z. B. eBay und Amazon) üblich ist. Eine entsprechende Bewertung verdichtet eine Vielzahl möglicher Attribute (z. B. Zuverlässigkeit, Qualität, Vertrauen) der Anbieter*innen auf einen einzelnen, mikro-formativen Wert. Tatsächlich zeigte sich empirisch (Bente et al. 2014), dass potenzielle Käufer*innen in einem sogenannten Vertrauensspiel stärker geneigt waren, ein fiktives Produkt eines Anbieters zu kaufen, wenn dieser mit vier statt drei Sternen durch frühere Kund*innen bewertet wurde. Entscheidend im Rahmen solcher Vertrauensspiele ist die Tatsache, dass ein Anbieter nicht zwangsläufig das angebotene Produkt liefert, nachdem dieses von den Käufer*innen bezahlt wurde. Mit der Transaktion von Geld ist somit ein gewisses Risiko des Verlusts verbunden, welches jedoch im Falle von vier Sternen eher in Kauf genommen wurde. Insofern sind entsprechende Sterne-Bewertungen von offenbar hoher wahrnehmungs- und verhaltensbezogener Relevanz, da sie mit einer konkreten Bedeutung aufgeladen bzw. assoziiert sind.

Ein zweites Beispiel für den Einfluss sozial relevanter, jedoch per se bedeutungsloser Mikrovariationen zeigte sich bei der Kommunikation in virtuellen Räumen über Avatare, die generell die dahinterstehenden Nutzer*innen virtuell repräsentieren. In einer Studie (Bente et al. 2016) wurden Versuchsteilnehmer*innen nach Ankunft im Labor zufällig einer von zwei Gruppen zugewiesen, die sich allein in der ihnen zugeordneten Farbe (Blau oder Grün) unterschieden. Die Teilnehmer*innen zogen sich entsprechend ein blaues oder grünes T-Shirt an und betrachteten anschließend Aufnahmen von Ganzkörper-Avataren, deren nonverbales gestisches Verhalten via Motion-Capture-Technologie durch Schauspieler*innen zuvor eingespielt wurde. Auch die Avatare zeigten sich in grüner oder blauer Farbe und stellten gestisch die Emotionen Wut und Freude dar, wobei die Darstellung durch eine beträchtliche Ambiguität charakterisiert war, sodass die Zuschreibung der entsprechenden Emotion durch die Versuchsteilnehmer*innen – so die Annahme – durch situative Faktoren beeinflussbar sein sollte. Tatsächlich zeigte sich, dass die Zuschreibung von Freude im Vergleich zu Wut signifikant schneller vorgenommen wurde, wenn die Farbe des Avatars identisch mit der eigenen Farbe war, der Avatar also der eigenen Gruppe (In-Group) angehörte. Gehörte der Avatar der anderen Gruppe (Out-Group) an, wurden beide Emotionen gleich schnell zugeschrieben. Offenbar gibt es eine Tendenz, Mitgliedern der In-Group grundsätzlich eine positive statt negative Grundhaltung zuzuschreiben, sodass eine entsprechende relative Urteilsbeschleunigung stattfindet. Der hier untersuchte Effekt wird in der Literatur auch als Minimal Group Effect bezeichnet, da eine Zuschreibung von Attributen lediglich aufgrund zufälliger und prinzipiell bedeutungsloser Merkmale (hier Farbe) geschieht, mit bedeutsamen Effekten auf Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse. Mit Blick auf das Konzept des Mikroformats implizieren derartige Befunde, dass selbst kleine, visuelle Variationen aufgrund persönlicher Vorlieben, ästhetischer Überlegungen oder lediglich aus pragmatischen Gründen durchaus unerwartet und gegebenenfalls unerwünscht auf die zwischenmenschliche Kommunikation im virtuellen (aber auch realen) Raum ausstrahlen können.

 

Mikroformate und Interaktionen zwischen Sinnesmodalitäten

Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass die Bewertung von visuellen mikro- formativen Medienformen auch durch perzeptuelle Einflüsse aus anderen Sinnesmodalitäten verändert werden können: Das beiläufige haptische Empfinden von physischer Schwere versus Leichtigkeit, manipuliert über das Gewicht eines Clipboards, welches Versuchsteilnehmer*innen in der Hand hielten, beeinflusste die wahrgenommene Schwierigkeit, mit auf Bildern dargestellten Personen zu flirten (Kaspar & Krull 2013), die empfundene Lustigkeit von Ein-Bild-Cartoons (Kaspar, Jurisch et al. 2016), die eingeschätzte Schwere von Krankheiten sowie Nebenwirkungen von Medikamenten, die jeweils in kurzen Textbeschreibungen vorlagen (Kaspar 2013b), die Bewertung von Politikern, die via Kurzprofil präsentiert wurden (Kaspar & Klane 2017) und selbst die Entscheidung, welche in Anlehnung an das Computerspiel „Snake“ visualisierte Schlange pro abgebildetem Paar länger ist (Kaspar & Vennekötter 2015). Es lohnt sich also, die Wirkung von Mikroformaten nicht nur auf Ebene der durch sie primär angesprochenen Sinnesmodalität – zumeist die visuelle oder auditive Dimension – zu analysieren, sondern auch Interaktionseffekte zwischen Sinnesmodalitäten zu berücksichtigen.

In der Studie von Kaspar und Klane (2017) wurde zudem nicht nur ein Einfluss physischer Schwere auf die Bewertung von dargestellten Politikern beobachtet, sondern zusätzlich auch durch eine zuvor vorgenommene Reinigung der eigenen Hände. Beispielsweise wurde ein moralisches Vergehen, welches die Politiker vermeintlich begangen hatten, als moralisch verwerflicher bewertet, wenn die Versuchsteilnehmer*innen selbst gereinigte Hände hatten, wobei dieser Effekt zusätzlich mit der Empfindung von Schwere interagierte. Die Wahrnehmung von mikro-formativen Darstellungen (hier Personenbeschreibungen) kann also auch von Handlungen beeinflusst werden, die vor dem eigentlichen Rezeptionsprozess stattgefunden haben. Das gilt beispielsweise auch für den differenziellen Einfluss unterschiedlicher emotionaler Stimmungslagen, die durch Medienrezeption hervorgerufen wurden und anschließend auf die Präferenz, visuelle Aufmerksamkeit auf Kurznachrichten unterschiedlicher emotionaler Valenz zu richten, ausstrahlten (Kaspar, Gameiro et al. 2015).

 

Fazit und Ausblick

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die psychologische Forschung einen nützlichen Beitrag zum Diskurs über Mikroformate liefern kann, da entsprechende empirische Befunde die Schärfung des Konzepts Mikroformat unterstützen können. Zudem arbeitet psychologische Forschung die verschiedenen Wirkungen von anerkannten Mikroformaten auf emotionaler, kognitiver und behavioraler Ebene heraus und liefert zugleich vielversprechende methodische Ansätze zur detaillierten Analyse von Mikroformaten und ihren Wirkungen. Es ist wahrscheinlich, dass auch zukünftig neue Mikroformate in den Fokus psychologischer Forschung geraten werden, sofern sich diese als Massenmedien etablieren können, so wie beispielsweise Instagram oder Twitter. Inwiefern sich der hier umrissene, breitere Fokus als eigenständige ‚Mikroformatforschung‘ etablieren kann, bleibt abzuwarten. Mindestens erscheint es aber wünschenswert, dass mit zunehmender Verbreitung mikro-formativer Medienformen eine systematischere Gegenüberstellung von mikro- und makro-formativen Formen der Informationsdarstellung stattfindet. Tatsächlich sollte untersucht werden, inwiefern verkürzte oder kompaktere Darstellungen von Informationen hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Mediennutzer*innen vergleichbar mit ausführlicheren Informationsdarstellungen sind. Möglicherweise sind sie weniger effektiv, wenn wichtige Information zugunsten der Kompaktheit weggelassen wird, gegebenenfalls sind sie aber auch effektiver, wenn redundante oder gar ablenkende Information eingespart werden kann. Insofern kann psychologische Forschung die Prozesse kreativer Medienproduktion und Reproduktion grundsätzlich sinnvoll flankieren.

 

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Von Kai Kaspar

Veröffentlicht am 8. Oktober 2021

Zitiervorschlag

Kaspar, Kai: Eine psychologische Perspektive auf mediale Mikroformate, in: Peter Moormann, Manuel Zahn, Patrick Bettinger, Kai Kaspar, Sandra Hofhues, Helmke Jan Keden (Hg.): Mikroformate. Interdisziplinäre Perspektiven auf aktuelle Phänomene in digitalen Medienkulturen, Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2021. Quelle: https://zkmb.de/eine-psychologische-perspektive-auf-mediale-mikroformate/; Letzter Zugriff: 20.04.2024