„Denn er wollte mich vielleicht fressen.“ Andeutungen zu Aggressivität, Phantasma und Begehren zwischen den Generationen

Wie könnte es anders sein? Ausgangspunkt meines Beitrags ist ein Bild. Es handelt sich um eine Illustration von Horst Eckert, der den meisten unter seinem Künstlernamen Janosch bekannt sein dürfte. Abgedruckt war dieses Bild 2011 in einer Ausgabe des Zeit-Magazins, in dem es um das Thema Väter ging (Zeit-Magazin 2011: 5). Karl-Josef Pazzini hatte mich einmal darauf hingewiesen. Schmunzelnd, ansonsten aber ohne weiteren Kommentar. Ich musste auch grinsen. Beim näheren Hinsehen hatte ich den Eindruck, dass diese Kombination aus Zeichnung und Text, in der das Verhältnis zwischen den Generationen bespielt wird, einen Kommentar, eine genauere Interpretation lohnt. Ich habe den Verdacht, dass dieses Bild eine Art Wissen von der Struktur des Generationenverhältnisses enthält, ein Wissen, dem ich auf die Spur kommen will, indem ich einige bemerkenswerte Aspekte dieses Bildes mit Hilfe von Überlegungen aus der Lacan’schen Psychoanalyse herauszustellen versuche.

Das Spannende an diesem Bild ist, dass hier etwas schiefgeht, dass hier irgendwie etwas nicht so recht passt. Vielleicht muss zwischen den Generationen, also z. B. zwischen Vätern und Söhnen, aber auch zwischen Lehrern und Schülern ja etwas schiefgehen, damit die nächste Generation im Sinne einer anderen, einer neuen sich bilden, gebildet werden kann. Diesen Gedanken will ich ausgehend von diesem Bild, das mir als Anregung und Sprungbrett dient, in groben Zügen skizzieren.

Worum also geht es? Ich beginne mit dem Text. Da erzählt ein Sohn von seinem Vater, der „einmal“ – es war einmal vor langer, langer Zeit – etwas gesagt habe. Der Anfang erinnert an Einleitungen wie sie für Märchen typisch sind, eine Textsorte, in der Grundfragen menschlicher Entwicklung zur Sprache gebracht werden. „Einmal sagte mein Vater“ klingt aber auch so, als hätte der Vater da einmal etwas ganz nebenbei gesagt, sozusagen im Vorbeigehen, als hätte er bloß einmal laut gedacht, als wäre ihm einmal etwas herausgerutscht, so ganz aus Versehen: „Huch, ich bin ein Löwe …“. Das klingt erschrocken, zumindest überrascht, ähnlich wie „Oh Schreck“ oder neudeutsch „Uups“. Das Wort „huch“ ist eine Interjektion, es hat lexikalisch keine Bedeutung im engeren Sinne. Genauer gesagt ist „huch“ übrigens eine so genannte Symptominterjektion. Das heißt linguistisch, dass es zu den Empfindungs- oder Ausrufewörtern gehört. Der Vater hat sich offenbar plötzlich und unerwartet als Löwe erkannt, seine Erkenntnis scheint mit Affekten besetzt zu sein und sie wird ausgesprochen, die Aussage ist als Zitat markiert. Die Selbsterkenntnis des Vaters als Löwe scheint den Charakter eines Aha-Erlebnisses zu haben. Ein Aha-Erlebnis bezeichnet laut einem Zitat, das Karl Bühler zugeschrieben wird, ein „eigenartiges im Denkverlauf auftretendes lustbetontes Erlebnis, das sich bei plötzlicher Einsicht in einen zuerst undurchsichtigen Zusammenhang einstellt.“ (Bühler zitiert nach Mehling 2015: 21) Dem Vater scheint durch seine Selbsterkenntnis als Löwe also Einiges klarer zu werden. Man kann den Vater bei seiner plötzlichen Einsicht in diesen bis dahin undurchsichtigen Zusammenhang regelrecht zusammenzucken sehen: „Huch, ich bin ein Löwe …“.

Welcher Zusammenhang es aber ist, den der Vater da einsieht, welche Vorstellungen er also mit seinem Löwe-Sein verbindet, darüber gibt der Text keinerlei Auskunft. Begreift er sich als herrschender König? Versteht er sich als mächtiger Beschützer seines Sohnes? Sieht er sich konfrontiert mit dem „Bild der eigenen Macht“, wie Pazzini es einmal in Anlehnung an Lacan formuliert hat? (Pazzini 2006: 26) Erkennt er sich in seiner Aggressivität? Bemerkt er sich also hinsichtlich der Bedrohung, die er für die Anderen bedeutet? Das Spannende ist eben, dass der Text die Antwort auf diese Fragen offen lässt. Es wird gerade kein Schlusspunkt hinter diese Äußerung gesetzt. Da stehen vielmehr drei Auslassungspunkte, die sowohl die Vorstellungsmaschinerie der Sohn-Figur als auch die des Betrachters über die Vorstellungen des Vaters in Gang setzen. Es bleibt etwas ungesagt, das mitgesagt wird, indem es ausgelassen wird. Denn die Auslassungspunkte markieren, dass da noch mehr gesagt wurde, dass da irgendwelche Vorstellungen des Vaters von seinem Löwe-Sein mit im Spiel waren. Diese Vorstellungen muss man sich aber selbst denken und eben das ist es, was bei der Sohn-Figur in der Darstellung (und auch bei mir als Betrachter) geschieht. Die Auslassungspunkte im Text eröffnen eine Leerstelle, ein Einfallstor für Interpretationen, für Vorstellungen über die Vorstellungen des Vaters, die er mit seinem Löwe-Sein verbindet. Im Text ist direkt nach den Auslassungspunkten von der Reaktion des Sohnes die Rede, die dessen Vorstellungen bereits erahnen lässt: „Ich habe ihn sofort gefangen und in einen Käfig gesperrt.“ Es kommen im Anschluss nicht die Vorstellungen, die der Vater mit seinem Löwe-Sein verbindet, zur Sprache (die werden ja ausgelassen.) Es geht vielmehr darum, was der Sohn dem Vater unterstellt, dass jener sich vorstellt, nämlich: „Denn er wollte mich vielleicht fressen.“ Der Sohn gibt diese Vorstellung von der Vorstellung seines Vaters als Begründung für sein Handeln zu verstehen. Es geht damit um die Vorstellung des Sohnes davon, was es heißt, genauer, was es für ihn heißt, dass sein Vater ein Löwe ist. Kurz: Der Sohn stellt sich vor, was sich der Vater mit ihm anzustellen vorstellen könnte.

Abb. 1: Janosch: Ohne Titel.

Das Bemerkenswerte daran ist, dass diese Vorstellung des Sohnes eine Antwort auf die Frage darstellt, was der Löwe will, was er ihm will, was er von ihm will, und dass diese Antwort sich keineswegs eindeutig oder gar notwendig aus dem Löwe-Sein des Vaters ergibt und auch nicht aus dessen Vorstellungen davon, was es für ihn bedeutet, ein Löwe zu sein. Die Antwort des Sohnes entsteht insofern dadurch, dass ziemlich ungewiss ist, was er (von) ihm will, dadurch also, dass unklar ist, was es heißt, dass der Vater ein Löwe ist. Er könnte ihn ja z. B. auch beschützen wollen. Es könnte also ebenso gut die Vorstellung des Sohnes entstehen, dass er mit diesem Löwen als Vater den bestmöglichen Beschützer hat, den er nicht nur nicht in einen Käfig sperren muss, sondern an dessen Seite ihm auch keinerlei Gefahr droht. Möglicherweise will der Vater in seiner Eigenart als Löwe auch noch etwas ganz anderes.

Vielleicht lässt sich die strukturelle Eigenart der Vorstellung des Sohnes mit Hilfe des Begriffs Phantasma und der Dialektik des Begehrens wie sie von Lacan gedacht werden, weiter erschließen. Bereits Freud begreift Phantasien nicht als bloße Hirngespinste, er versteht sie vielmehr, ähnlich wie die Träume, als Szenarien, in denen verdrängte Wünsche eine Rolle spielen (vgl. Freud 1955 [1919]). Er bezeichnet mit dem Terminus Phantasie einen imaginären Schauplatz, der ein unbewusstes Begehren inszeniert (vgl. Evans 2002: 229). Bei Karl-Josef Pazzini heißt es: „Jegliches Phantasma ist eine Antwort auf die Frage des Anderen »Was willst Du mir? Was willst Du, daß ich für Dich bin?«“ (Pazzini 2006: 22).

Aber mit welchem Phantasma antwortet der Sohn hier? Er sieht im Vaterlöwen jemanden, der ihn „vielleicht fressen“ will. Die Sohn-Figur betritt damit als Objekt des Begehrens des Vaterlöwen die Szene und zu dieser Szene gehört ebenso, dass er sich als unerreichbares Objekt des Begehrens vorstellt. Der Käfig schützt ihn. So scheint es. Lacan weist im Grundgedanken ähnlich wie Freud darauf hin, dass sich das Phantasma als ein Wunsch auffassen lässt:

„Was ist, so aufgefasst, das Phantasma? – wenn nicht das, was wir uns schon ein wenig denken können, ein Wunsch*, und sogar wie alle Wünsche ein ziemlich unbefangener.“ (Lacan 2010 [1962-63]: 68, die Herv. i. O. markiert, dass Lacan hier den deutschen Ausdruck Wunsch verwendet.)

Man möchte wissen, um welchen Wunsch es geht und auch wie sich seine Entstehung denken lässt. Einerseits scheint es hier um den Wunsch zu gehen, exakt dasjenige zu repräsentieren, was der Vater begehrt. Der Sohn scheint sich zu wünschen, der Vater möge ihn zum Fressen gern haben. Andererseits scheint es um den Wunsch zu gehen, überleben zu wollen, also die Erfüllung genau dieses Wunsches, die ja Vernichtung bedeuten würde, gerade zu verhindern. Zwei Wünsche also, die in einem Konflikt zueinander stehen. Durch das Einsperren des Vaters in den Käfig wird die Gefahr der Vernichtung gebannt, aber das ist nicht alles. Denn der Sohn wendet sich nicht einfach ab, er lässt den Löwen nicht einfach verhungern. Die beiden Figuren bleiben in einem Austausch, sie bleiben in Kontakt. Anders gesagt: der Sohn ignoriert das dem Vater zugeschriebene Begehren nicht ganz und gar, er habe ihn vielmehr „gut gefüttert. Das ist nicht gelogen.“ Der Sohn betont hier die Wahrhaftigkeit seiner Aussage, die an dieser Stelle wie eine Rechtfertigung vor dem Gesetz, wie eine Zeugenaussage vor Gericht klingt. Vielleicht lässt sich die im Bild dargestellte Situation als eine Art Kompromissbildung zwischen zwei konflikthaften Wunschstrebungen interpretieren: Die Erfüllung des Wunsches, zum Fressen gern gehabt zu werden, hätte die eigene Vernichtung zur Folge. Der Verzicht bedeutet aber, dem unlustvollen Ansteigen der Erregung hilflos ausgeliefert zu sein. Und er bedeutet, wichtiger noch, das lebensvolle Gefühl geliebt, gewollt, begehrt zu werden zu verlieren, also den wichtigsten Teil des Gefühls überhaupt zu leben zu verlieren (vgl. hierzu und zum Folgenden Arlt-Niedecken 2006: 84f.). Vielleicht lässt sich die hier angespielte Struktur anhand einer psychoanalytischen Sichtweise auf das kleinkindliche Subjekt deutlicher machen: Das kleine Subjekt befindet sich in einer Beziehung zu seiner Mutter, in der es verlangt und darauf angewiesen ist, dass sie seine Bedürfnisse möglichst ohne Verzug befriedigt. Es hat sie zum Fressen gern. In dieser alles vereinnahmenden Eigenliebe, diesem Narzissmus geht das Kind davon aus, dass seine Bezugspersonen es ebenso widerliebt. Indem es jedoch versucht, sich dies vorzustellen, wird es buchstäblich eng:

„Wenn nämlich die riesige Mutter ihren kleinen Fratz ebenso in überschwänglicher Liebe verschlingen wollte, wie er selbst es sich von sich vorstellt und wie sie das gemäß seiner Forderung der gleich großen Gegenliebe eigentlich tun müsste […], dann würde es bedrohlich eng, ja vernichtend für das kindliche Subjekt werden. Spätestens hier steht es einer libidinösen Konstellation gegenüber, die Gefahr bedeutet: Es steht seinen eigenen Wünschen hilflos gegenüber. Befriedigung heißt Vernichtung. Verzicht bedeutet, dem Ansteigen der unlustvollen Erregung ausgeliefert zu sein.“ (Arlt-Niedecken 2006: 84) Das Subjekt droht sich aufzulösen. Das ist die Gefahr, vor der das Angstsignal es bewahren soll (vgl. ebd.).

Die Angst vor dem Gefressen-Werden, die eng mit dem Begehren nach dem Begehren des Anderen verbunden ist, führt im Bild zu einer Art Kompromissbildung zwischen zwei existenziellen und konflikthaften Wunschstrebungen. Der Kompromiss lautet: Der Sohn gibt dem Vater zu fressen, er gibt ihm aber nicht sich selbst. Hier entsteht jedoch ein kleines Problem, denn jetzt kommt die Möhre ins Spiel. Ich gehe über zur Zeichnung, zum anderen Bildteil. Ich habe es zwar nicht noch einmal eigens überprüft, aber wenn ich mich richtig erinnere, gehören Möhren oder welches Gemüse auch immer nicht unbedingt zum Nahrungsrepertoire von Löwen. Die Begeisterung des Löwen hält sich angesichts dieser Möhre entsprechend in Grenzen. Er sieht seinen Sohn etwas ratlos an. Da liegt Unverständnis in seinem Blick. Er wirkt irgendwie konsterniert. Der Mund ist geschlossen. Vielleicht ein beredtes Schweigen? Der Löwe macht keinerlei Anstalten, aufzustehen oder nach der Möhre zu greifen. Die Augen der beiden Figuren befinden sich auf einer Höhe. Der Löwe hält eine Art Begegnung auf Augenhöhe aus. Er wirkt nicht nur etwas ratlos und perplex, der Löwe strahlt in seiner kerzengeraden Körperhaltung ebenso eine konzentrierte, beinahe meditative Gelassenheit aus, als würde er sich etwas vielleicht Unvermeidlichem stellen, dem es mit stoischer Ruhe und gespannter Aufmerksamkeit entgegenzutreten gilt. Der Sohn hat den Mund leicht geöffnet, als würde er etwas sagen. Der Vater scheint zuzuhören. Es geht wahrscheinlich um die Möhre. Vielleicht:

„Hier bitte, hab ich Dir mitgebracht.“ Ganz lapidar. Eigentlich glaubt der Sohn aber fest an etwas. Es ist ihm ernst. Das ist ganz und gar nicht lapidar. Er gibt seine feste Überzeugung zu verstehen, dass er seinen Vater mit dieser Möhre gut gefüttert habe.

Aber lässt sich hier nicht auch der vielleicht unbewusste Wunsch bemerken, den Vater endlich loszuwerden, indem ihm eine Möhre angeboten wird, die er nicht fressen wird, die er nicht brauchen kann? Und dient die Rechtfertigung, die wie eine Verteidigung vor Gericht vorgebracht wird, dass er ihn nicht habe verhungern lassen und dass das nicht gelogen sei, vielleicht der Abwehr dieses Wunsches nach einer Art symbolischem Vatermord? Wird er hier nicht unbewusst vollzogen? Der Löwe wird in seinem Käfig mit Möhren nicht sehr lange überleben. An der Zeichnung ist auch bemerkenswert, dass die Sohn-Figur mit keinem der Merkmale ausgestattet ist, die einen Löwen als Löwen erkennbar werden lassen. Während der Vater B. mit der typischen Löwenmähne und dem gelb schimmernden Fell ins Bild gesetzt wird, könnte die andere Figur alles Mögliche darstellen, ein junger Löwe ist darin kaum zu erkennen. Andererseits lassen sich auf der Ebene der Farbgebung Ähnlichkeiten bemerken. Die Farbtöne der beiden Hosen und auch der rechte Arm und Teile des Gesichts des Sohnes sind stark an die Hosenfarbe des Löwen angelehnt. Diese Art der Darstellung der Sohn-Figur regt einerseits die Interpretation an, dass der Sohn in diesem Prozess ein anderer wird. Vielleicht schaut der Löwe die Figur vor dem Käfig, die doch wie er sein müsste, auch deshalb etwas ratlos an. Er erkennt sich in ihm vielleicht nicht mehr wieder. Andererseits legen die Ähnlichkeiten in der Farbgebung nahe, dass der Sohn dennoch kein ganz und gar anderer wird. Anders formuliert: Die Reaktion auf das dem Vater unterstellte Begehren und die Kompromissbildung in Bezug auf die eigenen Wunschstrebungen führen nicht zur Auflösung aller Ähnlichkeiten mit dem Vater und auch nicht zur Auflösung aller Tendenzen zur Anähnlichung an das väterliche Ideal. Vielleicht enthält diese Szene ja einen Hinweis auf ein strukturelles Merkmal des Verhältnisses zwischen den Generationen: Es geht aus der Perspektive des Sohnes darum, dass der Vater vom Sohn etwas begehrt, das jener ihm nur um den Preis seiner Vernichtung geben könnte und es geht darum, dass der Sohn dem Vater etwas anbietet, das dieser ganz und gar nicht gebrauchen kann. Das jedoch in der festen Überzeugung, dass das, was er ihm anbietet (die Möhre), das ist, was sein Überleben sichert und die Austauschbeziehung zwischen Sohn und Vater aufrechterhält.

Was also, wenn es zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Lehrern und Schülern auch darum ginge, eine Form von Austausch auszuhalten, anzuerkennen und vielleicht sogar zu kultivieren, in der man sich wechselseitig gibt, was keine der beiden Generationen sich vorstellt, brauchen zu können? Was, wenn paradoxerweise gerade diese Struktur des Austauschs kennzeichnend für das Verhältnis zwischen den Generationen und die Entstehung einer neuen im Sinne einer anderen Generation wäre? Eine Form von Austausch, die nicht auf die Befriedigung von Bedürfnissen abzielt und auch nicht bruchlos auf Ansprüche antwortet, sondern auf die immer neue Aufrechterhaltung einer Differenz zielt, die durch die Subtraktion des einen vom anderen entsteht.

Als ich in etwa diese Überlegungen im Rahmen der Tagung „nachbild[ ]vorbildern“ vorgestellt habe, wurde ich im Rahmen der Diskussion darauf aufmerksam gemacht, dass in diesem Bild überhaupt gar kein Käfig gezeichnet ist.[1] Es handelt sich vielmehr um eine Art Paravent. Es wird also gar kein geschlossener Raum dargestellt, sondern zwei Seitengitter, die in Blickrichtung des Löwen, also zur Sohn-Figur hin offen sind. Das ist also gerade kein geschlossenes Behältnis, wie es bei einem Käfig der Fall wäre. Ich hatte einfach zwei Seiten hinzuphantasiert, also etwas gesehen, das gar nicht da war. Im Text war die Rede von einem Käfig gewesen. Ich habe in der Zeichnung einen Käfig gesehen, den es gar nicht gab. Das fand ich ziemlich erstaunlich. Vielleicht kommt man dem Phantasma nun noch einen Schritt näher. Denn der gezeichnete Teil des Bildes legt im Unterschied zum Textteil den beunruhigenden Gedanken nahe, dass es gerade keinen Schutz zwischen „mir“ und dem (Begehren des) „Anderen“ gibt. Oder anders formuliert: Die Zeichnung macht darauf aufmerksam, dass sich die Existenz eines schützenden Käfigs als ein Phantasma entpuppt, dessen Wirksamkeit darin besteht, dass es vor dem Realen des Anderen schützt, dem wir ausgesetzt sind und auch darin, dass sich alle Figuren verhalten „als ob“ es einen Käfig gäbe. Schön wär’s, wenn es diesen Schutz gäbe, schön wär’s, wenn sich der Andere in sicherer Distanz einsperren ließe, könnte man sagen. Dieses Bild deutet ein anderes Wissen über das Verhältnis zwischen den Generationen an, das eben diese Vorstellung als ein Phantasma zum Vorschein bringt und gleichzeitig durchkreuzt, so dass die Bildung anderer Phantasmen ermöglicht wird.

 

Anmerkung

[1] Vielen Dank an Tanja Wetzel für diesen Hinweis.

 

Abbildung

Abb. 1: Janosch: Ohne Titel. In: Zeit Magazin (2011): „Endlich hab ich Zeit.“ Nr. 39, Hamburg.

 

Literatur

Arlt-Niedecken, Bernd (2006): Angst. In: Pazzini, Karl-Josef/Gottlob, Susanne (Hrsg.): Einführungen in die Psychoanalyse II. Bielefeld: Transcript, S. 81-96.

Evans, Dylan (2002): Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse. Wien: Turia + Kant. Freud, Sigmund (1955 [1919]): „Ein Kind wird geschlagen“. In: Freud, Sigmund: Gesammelte Werke, Bd. XII, hrsg. von Anna Freud. London: Imago Publishing, S.195-226.

Lacan, Jacques (2010 [1962-63]): Das Seminar. Buch X. Die Angst. Wien: Turia + Kant. Mehling, Gabriele (2015): Was ist Wissenschaft? In: Dies. (Hrsg.): Propädeutik für Studierende der Kommunikationswissenschaft. Bamberg: University of Bamberg Press, S. 17-38.

Pazzini, Karl-Josef (2006): Couch und Sessel. Entstehung und subversive Kraft des psychoanalytischen Settings. In: Ders./Gottlob, Susanne (Hrsg.): Einführungen in die Psychoanalyse II. Bielefeld: Transcript, S. 15-34.

Von Gereon Wulftange

Veröffentlicht am 25. November 2017

Themen

Zitiervorschlag

Wulftange, Gereon: „Denn er wollte mich vielleicht fressen.“ Andeutungen zu Aggressivität, Phantasma und Begehren zwischen den Generationen, in: Torsten Meyer, Andrea Sabisch, Ole Wollberg, Manuel Zahn (Hg.): Übertrag. Kunst und Pädagogik im Anschluss an Karl-Josef Pazzini, Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2017. Quelle: https://zkmb.de/denn-er-wollte-mich-vielleicht-fressen-andeutungen-zu-aggressivitaet-phantasma-und-begehren-zwischen-den-generationen/; Letzter Zugriff: 21.11.2024

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