Das wissen wir nun. Vor jeder Erfahrung ist nicht mal Didaktik ein pädagogisches Medium.
Kunst wird von Johannes Kirschenmann wie ein Ding, ein Gegenstand gefasst. Sie hat diese und jene Eigenschaften, bzw. hat sie nicht, sollte sie aber haben. Das Leben ist im Übrigen auch a priori kein didaktisches Medium. Auch die Documentaleiterin nicht und auch ihr fehlen ein paar Eigenschaften und deshalb auch der Documenta. Und wenn diese Eigenschaften nicht da sind, dann kann man damit in didaktischer Absicht nichts tun. So auch nicht mit der Ökonomie und der Dampfwalze.
Auch ein anderer Einsatz wäre möglich: Es könnte ein Problem der Kunstdidaktik sein, dass sie ein gespaltenes, angespanntes oder völlig distanziertes Verhältnis zur Gegenwartskunst hat. Eignet sich Didaktik für die Kunst?
Es ist unproduktiv, in den alten attributiven Redeweisen, die dann auch substanzielle Eigenschaften unterstellen müssen, zu argumentieren. Theoriegeschichtlich ist man da spätestens seit Hegels Phänomenologie des Geistes oder sagen wir seit Marx Pariser Manuskripten spät dran. Der Mensch sei das Ensemble seiner (gesellschaftlichen) Verhältnisse, stand bei Marx zu lesen. Und er wird zu einem Ensemble, weil ihm etwas fehlt und er anfängt zu wünschen, zu planen, zu arbeiten. So werden Gegenstände und Ereignisse aufgrund der menschlichen Arbeit auch zu Ensembles von Verhältnissen. Wenn man also von etwas angesehen wird, das einem überhaupt nichts sagt, dann war zu wenig Arbeit im Spiel. Und wenn sich diese Ensembles in Neugier begegnen, dann überschneiden sie sich und es ist dann eine Arbeit notwendig, die Fiktionen produziert, bzw. von diesen ausgeht. Fiktion ist hier durchaus doppelt gemeint: im Sinne eines künstlichen oder künstlerischen,imaginativen Gebildes und auch einer Feststellung. Beide Versionen schaffen zusammen den Ausgangspunkt dafür, die Überschneidungen zu entwirren und abgegrenzte Objekte erst zu schaffen und zu sehen. Dabei ist Objektivität ein Stil unter anderen (Zimmermann)1.
Erst wenn man den Mut hat, Erfahrungen zu machen mit Menschen, Verhältnissen, Gegebenheiten tritt man in Beziehung, wird erfasst, stellt sich dagegen, schwimmt mit, verändert sich und gleichzeitig verändert sich etwas am anderen, an den anderen Dingen. Das ist die Gefahr in der Erfahrung, ohne die nur leere Begriffe möglich sind.
Bei Kirschenmann klingt das wie ein Vorwurf. Und wenn er es denn ist. Der Mathematikdiskurs ist es auch, auch der der Bildungstheorie. Keiner der elitären Menschen schreibt vor, dass jemand etwas mit dem tun, in Kontakt treten, sich drehen und wenden lassen muss. Die unheilbare Krankheit der Neugier (Descartes) nur erschließt etwas von dem, was etwa als Ausstellung oder Theorie präsentiert wird. Wenn da nichts passiert beim Zusammenstoß, wenn man nicht Freude oder nur Vorfreude bekommt bei der Berührung mit einer Theorie oder einer Ausstellung, dann ist ein weiteres Erzählen und in Besonderheit ein Unterricht darüber nicht möglich. Oft liegt der Grund dafür nicht nur im Gegenstand. Ist jemand der Überzeugung, dass etwas ihm hätte einen Zugang erschließen müssen, dann gilt es, diesen Anspruch genauer zu begründen und genau zu zeigen, warum dies nicht eingelöst werden konnte, warum es aber von Bedeutung gewesen wäre, dass das zu geschehen habe. Das fehlt im sehr ansprüchlichen Text von Johannes Kirschenmann.
Ich habe in der Aue verstörende Videos gesehen, die noch Tage wirkten. Ich habe das Brain vollkommen anders wahrgenommen als Johannes Kirschenmann. Ich habe eine ausgezeichnete Führung mitgemacht und eine in der nur Richtiges gesagt wurde. Mir sollte klar gemacht werden, was ich zu sehen habe. Bei letzterer hat wohl die unterstellte all gegenwärtige Kontrolle der bösen Frau Carolyn Christov-Bakargiev versagt.
Den Artikel lesend stellt ich die Frage: Wie nun soll man und warum überhaupt über das Verhältnis zur Gegenwartskunst abseits des elitären Kunstdiskurses unaufgeregt diskutieren?
Im Fußball wird Abseits abgepfiffen, um zu vermeiden, dass sich jemand ohne den Kampf mit der gegnerischen Abwehr ganz vorne eine Position erschleicht, um dann leicht zum Ziel zu kommen. „Die Begründung war, es sei unfair, hinter dem Rücken des Gegners ein Tor zu erzielen. Die Regel sollte auch verhindern, dass sich ein angreifender Feldspieler in der Nähe des gegnerischen Tors platziert, auf den Ball wartet und ihn dann mühelos einschiebt.“2 Die Abseitsregel gibt es auch ähnlich in der Wissenschaft. Das Abseitsverbot führt dazu, dass nicht jemand „in Tornähe auf lange Pässe warte(t), und führt so zu einem allmählichen Spielaufbau mit Dribbeln und Laufspiel.“3 Solche Argumentationen habe ich nicht finden können, es werden immer wieder Behauptungen als bewiesen aufgestellt, die man dann ins Tor schieben kann. Will man die Abseite in sicherer Distanz von Objekt und Gegner und den Wirrungen des Dribbelns, dann muss Kunst mit bestimmten Eigenschaften gedacht werden, wie Schüler und Lehrer mit bestimmten Kompetenzen. Aus diesem Abseits heraus vergisst man dann manchmal auch die Anführungszeichen bei der „entarteten“ Kunst. Der Affekt eines „auf die Kunst hin Sozialisierten“ schimmert dann auch bei der Kurzcharakterisierung der Documenta 5, 1972, durch: Sie soll die Erlösung des westdeutschen Bildungsbürgertums gegenüber(?) der zeitgenössischen Kunst gewesen sein und erlaubte Hochkunstrezeption? Ich weiß nicht, was da Hochkunst war und sonst vielleicht Niedrigkunst. War 1972 die Installation von Kienholz Hochkunst?
Und weiter kann gefragt werden: Was ist ein „Konzept, das Politik und Gesellschaft als ersten Auftrag der Kunst ansah“? Gibt die Kunst Politik in Auftrag?
Entgegen dem scheinbar stark gemachten Bildungsbegriff, der auch noch einmal mit Bezug auf Wimmer und Masschelein angerufen wird (es gibt da allerdings etwas Kuddelmuddel in der Begrifflichkeit, Kirschenmann kennt z.B. einen „kunstpädagogischen Bildungsprozess“), der beinhaltet, dass Bildung im Unterschied zu Erziehung nicht intentional ist, dass der Prozess nicht beherrschbar ist, wird nun aber Carolyn Christoph-Bakargiev Verantwortungslosigkeit vorgeworfen, wenn sie von „Maybe-Education“ spricht und schreibt. Kann es sein, dass es Johannes Kirschenmann entgangen ist, dass das englische Wort education in solchen Zusammenhängen für das deutsche Wort Bildung steht? Bildung tritt in der Tat vielleicht ein, vielleicht im Gebiet das angezielt wurde. Erhofft man sich von Kunst einen direkten Erziehungseffekt, dann ist die Kritik an der Documenta 13 gerechtfertigt. Die mit Danto gestellte Frage, unter welchen Bedingungen etwas Kunst sei, wird zur Einführung der Differenzerfahrung mit Kunst noch verwendet, an dieser Stelle aber als zu gefährlich umgangen, es müsste sich nämlich der Fragensteller selber zu den Bedingungen rechnen.
Ganz verquer wird dann aber, wenn Johannes Kirschenmann der Kunst vorschreibt, wie sie zu sein hat, wenn sie von ihm, bzw. der Kunstdidaktik „über ästhetische Erfahrung als Aggregat von Bildung in didaktischer Absicht in Anspruch genommen werden will“.
Da ist also ein Pädagoge, der stellt der Kunst Bedingungen, wenn sie denn in Anspruch genommen werden will. Welcher Anspruch ist das? Ganz zu Anfang war noch von Begehren die Rede.
Und was ist „Bildung in didaktischer Absicht“?
1 Vgl. Zimmermann, Anja: Ästhetik der Objektivität. Genese und Funktion eines wissenschaftlichen und künstlerischen Stils im 19. Jahrhundert, Bielefeld: Transcript 2009
2 http://de.wikipedia.org/wiki/Abseitsregel // 27.10.2012
3 ebd.