Die Frage des Aktes – Review zu ‚Eine gewisse Gewalt des Imaginären. Über Gerhard Richters Betty‘ von Karl-Josef Pazzini und Insa Härtel

Um den »fiktiven Durchgang« zu Betty weiter ins Schlingern zu bringen, hier ein Kommentar, der den anregenden Lektüren beider Artikel entspringt. Insa Härtel trifft am Ende auf eine brisante Grenze:

»Das be- und verrückende Bild Betty öffnet einen fiktiven Durchgang zu den unerfindlich ›letzten Dingen‹ – und in seiner Lektüre, unsere nicht ausgenommen, zeigt sich am Ende vielleicht, wie das Feld des Sexuellen in der Beziehung zum Kind, das im Begriff scheint, zur Frau zu werden, im Sprechen derzeit fast noch misslicher ›einzubinden‹ scheint als das einer tödlichen Gewaltsamkeit.«

Deutet das Gesicht – indem es dem Anderen uneindeutig erscheint (Fieber, Opferung u.a.) – etwas davon an, welch Antlitz Betty widerfahren bzw. noch nicht widerfahren ist? Während das Gesicht, wie die Psychoanalytikerin Françoise Dolto es stark macht, als »Ort des symbolischen Bandes des Körpers eines menschlichen Wesens und seines Worts«(1) wirkt, lässt sich das Antlitz als Ereignis (des Anderen) versuchsweise denken. Es wird auch und auch nicht allein der ausstehende, unsichtbare Vater sein, nicht allein der abwesende Künstler (vgl. Didi-Huberman), der Betrachter. Wer oder was dann? Um welchen Akt geht es? Vielleicht um eine Begegnung mit dem Fremden, Unerkannten, wo der Vater/Künstler, wo das Mütterliche untergegangen sein werden?

Wieso scheint das Schöpferische des Aktes angesichts des Bedrohlichen so leicht unterzugehen? Mir leuchtet etwas davon ein, dass, wie es mit Bezug auf Blanchot heißt, »die Befremdlichkeit des Leichnams auch die des Bildes« ist, auch, dass »sich mit dem ›Pinselstrich‹ ›eine Geste‹ ›auf die Leinwand‹ bringt, und so vermag ›jede auf einem Bild dargestellte Handlung‹ als ›theatralische‹ oder auch als ›Schlachtszene‹ erscheinen (zit. nach Härtel, Lacan 1987: 121f.).«; gleichwohl: Liegt dem Bild nicht auch ein Widerstand angesichts des Zerstörerischen zugrunde? Wie steht es mit dem Schöpfen, Erwarten – nicht nur dem Künstlerischen gegenüber, sondern auch und gerade das Schöpferische im Kinde – mehr noch, der werdenden Frau?

Anders gewendet: Auch wenn man mit Freud und Lacan dem Todestrieb nicht entkommt und jedes Werden und Schöpfen »automatisch« und unbewusst die Bahnung Richtung Tod zieht, gibt es eben Umwege: Eros, Verführung, Liebe sind Umwege, schaffen Aufenthalt. Ein Bild auch. Hier. Widerstand, Aufschub, Konstruktion: bildend. Eine beunruhigende Geste einer Annäherung ans Reale, unverfügbar Andere, hier, namens: kommende Frau? Niemand zeugt für den Zeugen, so Paul Celan.

»Spricht« das Widerständige, Befremdliche des Bildes, das die Frage des Antlitzes herbeispielt, dass es – im Entzug der Zuschreibung a là: das und das ist geschehen … so war es … das heißt es … wie Pazzini und Härtel es kritisch durcharbeiten – unverfügbar sich dahin wendet und träumt und lebt, wo der Andere nicht mitkommt, auch auf die Gefahr, dass es tödliche Begegnungen, fiebrige (der heiligen Theresa von Bernini nicht unähnlich, die/der sich Gott in einem mystischen Moment ergießt), hingebungsvoll und gefährliche und auch schöne Begegnungen gibt …?

»Das Imaginäre macht aber auch, ohne deutlich und direkt deutbar zu werden, schon dadurch etwas gewiss, zur Gewissheit, heimlich, nicht ohne Wirksamkeit, indem das individuelle Subjekt mit seinen Phantasmen der Welt gegenübertritt.« (Pazzini)

Möglich, dass meine Unterstellung ans Künstlerische in den vielfältigen Übertragungsprozessen als widerständig gerade gegenüber den gewaltförmigen Erfahrungen phantasmatisch angehaucht ist; es wohnt ein u-topisches Moment inne, dem Zerstörerischen etwas entgegenzusetzen und Eros, der Seite der Bejahung, Flügelworte zu verleihen.

Endnote

1»Das Ichideal, das nicht beschützt und nicht von einer Ethik bestätigt wird, die sich genital an der männlichen oder weiblichen Richtung des Körperschemas orientiert […], dezentriert es vom Wort und liefert es, gleichsam magisch, den Todestrieben und dem Zerfall des Bildes eines Körpers aus, der das ›Gesicht verloren‹ hat: das Gesicht, Ort des symbolischen Bandes des Körpers eines menschlichen Wesens und seines Worts« (Dolto 1973, S. 220).

Literatur

Didi-Huberman, Georges (2002): Die leibhaftige Malerei. Aus dem Französischen übersetzt von Michael Wetzel,München; orig. ders. (1985): La peinture incarnée, Paris, Editions de Minuit

Dolto, Françoise (1973): Der Fall Dominique. Übersetzt von Eva Moldenhauer. Darin: Die Begegnung, die zwischenmenschliche Gemeinschaft und die Übertragung in der Psychoanalyse der Psychotiker, S. 187-256. Frankfurt a. M., Suhrkamp; orig. dies. (1971): Le cas Dominique. Paris, Seuil

Lacan, Jacques (1987): Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Das Seminar, Buch XI (1964),  übersetzt von Norbert Haas, Weinheim, Berlin, Quadriga; orig. ders. (1973): Le séminaire de Jacques Lacan. Texte établi par Jacques Alain Miller. Livre XI. Les quatre concepts fondamentauxdes la psychanalyse. Paris, Seuil

Von Susanne Gottlob

Veröffentlicht am 1. Oktober 2012

Zitiervorschlag

Gottlob, Susanne: Die Frage des Aktes – Review zu ‚Eine gewisse Gewalt des Imaginären. Über Gerhard Richters Betty‘ von Karl-Josef Pazzini und Insa Härtel, in: Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2012. Quelle: https://zkmb.de/die-frage-des-aktes-review-zu-eine-gewisse-gewalt-des-imaginaeren-ueber-gerhard-richters-betty-von-karl-josef-pazzini-und-insa-haertel/; Letzter Zugriff: 21.11.2024