Mit dem folgenden Kommentar möchte ich, inspiriert durch Manuel Zahns Beitrag, der sich schwerpunktmäßig auf die Seite des Subjekts in Bildungsprozessen mit Medien konzentriert, Ergänzungen hinsichtlich des Dispositivbegriffs leisten und zur Diskussion stellen. Ich beziehe mich dabei auf das Dispositivkonzept von Michel Foucault sowie auf darauf basierende Sekundärliteratur.
Giorgio Agamben merkt zu Beginn seines Essays What Is an apparatus an, dass der Dispositivbegriff zwar ein entscheidendes Fachwort in Michel Foucaults Werk darstelle, jedoch von diesem mit Ausnahme eines Interviews im Jahr 1977 (Foucault 1978: 119ff.) an keiner Stelle systematisch definiert worden sei.1 Auf Basis der Kernaussagen eben jenes Gesprächs und einer eigenen begriffsgeschichtlichen Einordnung formuliert der italienische Philosoph die bei Zahn zitierte Definition. Diese beinhaltet die Aufteilung allen Seins in zwei große Klassen, die einerseits aus Lebewesen (oder Substanzen), andererseits aus Dispositiven bestünden (vgl. Agamben 2009: 1ff.): „Further expanding the already large class of Foucauldian apparatuses, I shall call an apparatus literally anything that has in some way the capacity to capture, orient, determine, intercept, model, control, or secure the gestures, behaviors, opinions, or discourses of living beings.“ (Agamben 2009: 14)
Durch diese sehr weit angelegte Definition zählen bei Agamben auch konkrete Gegenstände wie die Zigarette, der Computer, der Stift oder, wie er später am Beispiel genauer ausführt, Mobiltelefone als Dispositive. Es gebe heutzutage keine Momente, in denen das Leben von Individuen nicht von Dispositiven modelliert, verunreinigt oder kontrolliert ist, man sei ständig gefangen in ihnen. In der Beziehung bzw. dem Kampf zwischen Lebewesen und Dispositiven entstünden schließlich als dritte Klasse die Subjekte, wobei ein Mensch zugleich mehrere Prozesse der Subjektivierung durchlaufen könne (vgl. ebd.: 13ff.).
Meiner Auffassung nach geht bei dieser Definition der von Foucault ausgesprochene Gedanke, dass das Dispositiv als ein Netz zwischen verschiedenen, heterogenen Elementen zu denken sei (zu denen auch ein Bildschirm als ein technologisches Artefakt zählen könnte), teils verloren (vgl. Foucault 1978: 119f.):
[Das Dispositiv] ist […] ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wie Ungesagtes umfaßt. […] Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann. (ebd.)
Seine Hauptfunktion sei es, zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt auf einen (gesellschaftlichen) Notstand zu antworten, wodurch es eine strategische Funktion erfülle (vgl. ebd.: 120ff.). Die Soziolog*innen Andrea Bührmann und Werner Schneider beschreiben diesen Aspekt folgendermaßen: „[…] [M]it dem Dispositivkonzept verknüpfen sich für Foucault […] diskursive und nicht-diskursive Elemente zu »Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden«. Insofern konstituieren Dispositive Möglichkeitsräume für gültiges, ,wahres‘ Wissen und sind selbst aber in diesem Sinne immer schon Effekte von Machtbeziehungen.“ (Bührmann/Schneider 2008: 53) Auf Basis dieser Definitionen gehe ich davon aus, dass Dispositive, wie Agamben (vgl. 2009: 11) in Bezug auf Foucaults Begriff auch selbst schreibt, entschieden von immaterieller Natur sind und keine Deckungsgleichheit mit konkreten Gegenständen wie Bildschirmen oder Mobiltelefonen aufweisen. Stattdessen benötigen sie stets Prozesse der Subjektivierung oder der Vergegenständlichung in kulturelle Artefakte bzw. symbolische Formen (z. B. Gesetze), um fortbestehen und wirken zu können (vgl. ebd.; Bührmann/Schneider 2013: 25f.). Das Ziel von Dispositivanalysen besteht laut Bührmann und Schneider (2013: 24) folglich darin, aufzudecken, dass das „vermeintlich Gegebene“ (ebd.) (d. h. Dinge und Subjekte) stets unter bestimmten, historisch-kontingenten Bedingungen über unterschiedliche, machtvolle Praktiken hervorgebracht wird und immer mit der Frage nach Herrschaft verbunden ist (vgl. ebd.). Um in Anschluss an Zahns Bildschirme oder Agambens Mobiltelefone also die Rolle von konkreten Gegenständen im Zusammenhang mit der Dispositivanalyse zu beschreiben, schlage ich deshalb vor, den Begriff der „Objektivationen“ von Bührmann und Schneider (ebd.: 23) als weitere analytische Differenzierung in der Theoriebildung aufzugreifen: „Unter Objektivationen werden die in und durch Praktiken hergestellten ‚Dinge‘ verstanden – wie z. B. beobachtbare Handlungsergebnisse, materiale Erscheinungen, Artefakte – also in welcher Form auch immer objektivierte Wissensbestände.“ (ebd.)
Warum ist diese Differenzierung bedeutsam?
Soll der Einfluss von vergangenen oder gegenwärtigen Medientechnologien auf Bildungsprozesse untersucht werden, ist es wichtig, auf die von Zahn beleuchtete Seite des lernenden Subjekts zu blicken. Dabei kann dieses nach seinem Vorschlag mit Michaela Otts Begriff des Dividuums, d. h. als Ort zahlreicher durch Dispositive beeinflusster Subjektivierungsprozesse aufgefasst werden (vgl. Zahn in diesem Band: 79f.). Daneben können jedoch auch die technischen Geräte selbst als Schnittmengen des Einflusses bzw. Bestandteile überlappender, konkurrierend oder synergetisch wirkender Dispositive, die auf ihre Erschaffer*innen (unbewusst) eingewirkt haben, betrachtet und historisiert werden. Bührmanns und Schneiders (2013: 23) Terminologie berücksichtigt dies, da sie als ein Merkmal von Objektivationen festlegen, dass diese z. B. durch diskursiv prozessierte und vermittelte normative Vorgaben strukturiert werden. Darüber hinaus könnten Objektivationen jedoch auch selbst strukturierend wirken, indem sie auf diskursive Konstruktionsprozesse ein- bzw. rückwirkten, z. B., wenn das in ihnen materialisierte Wissen in die mit ihnen vollzogenen Handlungen einfließe (vgl. ebd.). Letzterer Effekt ist der Hauptaspekt der eingangs von Agamben (2009: 13f.) zitierten Definition für Dispositive, in der er diese teils mit konkreten Objekten gleichsetzt.
Um beide Aspekte in einer Dispositivanalyse unter dem Fokus auf Objektivationen zu berücksichtigen, sei ein besonderes Augenmerk auf ihr Bedeutungsfeld, ihre inkorporierten Eigenschaften und materiale Widerständigkeit zu legen (vgl. Bührmann/Schneider 2008: 103).
Die Rekonstruktion des den Dingen, den Vergegenständlichungen innewohnenden, in ihnen enthaltenen, mehr oder weniger offenkundigen, d. h. gewussten oder auch verborgenen Wissens, welches sich in seinem ,rechten‘ oder ,abweichenden‘ Gebrauch zum Ausdruck bringt, gibt Aufschluss darüber, wie und in welchen Funktionen diese Vergegenständlichungen im Dispositiv wirken können und was damit gleichsam zwangsläufig ausgeblendet, im eigentlichen Sinn unsichtbar bleibt. (ebd.: 116)
Wie lässt sich dies anwenden?
Abschließend skizziere ich ein Beispiel, um die Relevanz der Unterscheidung von Objektivationen und Dispositiven und die dadurch gewonnene analytische Trennschärfe nochmals herauszustellen. Dafür ziehe ich als Beispiel den regulären modernen Bleistift heran. Dieser besteht aus einer Mine aus einem Graphit-Ton-Gemisch, die in einen Schaft aus Holz eingelassen ist, und wurde in seiner Funktion als ein Zeicheninstrument konzipiert.
Mit Agambens Definition könnte der Bleistift als ein Dispositiv bezeichnen werden, denn schließlich besitzt er die Fähigkeit, die Gesten, das Verhalten, die Meinung oder Diskurse eines Menschen zu ergreifen, orientieren, unterbrechen, modellieren, kontrollieren, sichern oder festzulegen (vgl. Agamben 2009: 14). Das Erlernen des Zeichnens mit dem Bleistift erfordert den Aufbau motorischer Fähigkeiten zur Führung und dem kontrollierten Abtragen des Graphits auf einem Bildträger. Zugleich ist er mit spezifischen Gesten verbunden, die in der Regel mit Bewegungen des Handgelenks oder des Arms ausgeführt werden. Seine Anwendung erfordert das regelmäßige Spitzen, um mit dem Zeichnen fortfahren zu können und führt häufig zu (kontemplativer) Aufmerksamkeit. Beides sind eindeutige Einflüsse auf das Verhalten. Eine Auseinandersetzung mit dem Bleistift führt (unwillkürlich) zu einer Haltung, man kann ihn z. B. als Zeicheninstrument ablehnen oder befürworten. Zugleich bilden sich Diskurse rund um seine Anwendung und die mit ihm produzierten Zeichnungen (z. B. kunstgeschichtlicher Natur), in denen Normen ausgehandelt werden, die sich tradieren. So bildet sich rund um den Bleistift ein historisch-konkretes Gefüge, in dem ausgelotet wird, was mit dem Bleistift assoziiert wird, welche Funktionen er zu erfüllen hat, was mit ihm in der Bildproduktion oder anderen Anwendungszwecken möglich ist etc. Dieses hat auf Basis aller skizzierten Einzelaspekte eine machtförmige Wirkung auf jede Person, die einen Bleistift verwendet und wirkt somit subjektivierend.
Betrachtet man meinen Transfer von Agambens Dispositivbegriff auf den Bleistift genauer, so fällt auf, dass viele seiner Elemente jedoch auch auf andere Zeicheninstrumente wie den Kugelschreiber, Füller, etc. zutreffen. An dieser Stelle lohnt es sich, die Differenzierung zwischen einer Objektivation und einem Dispositiv zu vollziehen. Mit ihr kann der Bleistift als Vergegenständlichung der Schnittmenge verschiedener Dispositive aufgefasst werden.
Den größten Anteil nimmt dabei vermutlich das Zeichendispositiv ein, dessen Entstehungszeitpunkt man historisch gesehen auf die ersten Höhlenzeichnungen vor fast 40.000 Jahren datieren könnte. Es entstand auf den (gesellschaftlichen) Bedarf hin, Spuren zu hinterlassen und einen bildlichen Ausdruck für Erfahrungen zu finden. Dieter Mersch bezeichnet Punkt, Linie und Strich als Differenzmarker, die etwas „be-zeichne[n]“ (Mersch 2010: 87) und dadurch mit Bedeutung versehen (ebd., 86f.).
Wie sich anhand des Entwurfs der Kunsthistoriker Wolfram Pichler und Ralph Ubl ableiten lässt, sind viele Eigenschaften des Bleistifts bedingt durch die körperlichen, ideengeschichtlichen und materiellen Bedingungen der westlichen Prägung des Zeichendispositivs: Dieses setze nämlich i. d. R. Papier als Bildträger voraus, der keiner Vorbereitung bedürfe und durch graphische Spuren in seinem Potenzial als Grund und Reserve aktiviert werden könne. Um dieses zu bezeichnen, sei eine möglichst feste und glatte Zeichenunterlage nötig, damit der Transfer zwischen Körper, Papier und Unterlage gelinge. Der freien Hand komme die Aufgabe zu, das Papier festzuhalten, passend zu drehen oder zu ziehen sowie als taktiler Ordnungspunkt für die visuelle und motorische Orientierung der zeichnenden Hand zu dienen. Ein weiteres Merkmal stelle die horizontale Lage des Zeichenblattes dar, welche auf eine Ausrichtung an die Haltung des menschlichen Körpers zurückzuführen sei. Durch diese sei auf Basis der physiologisch bedingten Bewegungsmöglichkeiten der Hand und des Armes eine höchstmögliche Präzision der Linienzüge möglich. Letztlich sei auch die Händigkeit der zeichnenden Person sowie die Neigung des Zeicheninstruments ein Einflussfaktor. Das gesamte räumlich-körperliche Arrangement menschlicher und nicht-menschlicher Bestandteile bilde sich (unwillkürlich) in jeder Zeichnung ab. Dennoch werde es in klassischen Zeichnungen idealerweise ausgeblendet, um die Freiheit des Strichs sowie die Virtuosität der zeichnenden Person zu demonstrieren (Anm. d. Autors: ein radierbarer Bleistift eignet sich dafür ideal). Dieser produktionsästhetische Illusionismus lasse sich für das westliche Zeichendispositiv ideengeschichtlich auf das Disegno-Konzept aus der Renaissance zurückführen, in der das zeichnende Subjekt als auktoriale Instanz mit all seiner Subjektivität in den Mittelpunkt gerückt und aufgewertet worden sei (vgl. Pichler/Ubl 2007: 235ff.)
All dies erklärt meiner Auffassung nach, warum der Bleistift eine fast ideale Vergegenständlichung eben dieses Zeichendispositivs darstellt und dadurch dessen Machtwirkung mit perpetuiert.
Zugleich ist der Bleistift jedoch auch eine Objektivation vieler anderer Dispositive, für die ich einige weitere Beispiele als Vorschläge skizzieren möchte: Er ist eine Objektivation des Dispositivs der Wissenschaft, die bei der Konzeption seiner modernen Form eine Rolle spielte. Durch Entwicklungen im Bereich der Chemie konnten mit dem Brennen der Mischung von Graphitstaub, Ton und Wasser verschiedene Härtegrade realisiert werden, die ihm zu höherer Präzision und der Möglichkeit der standardisierten Massenproduktion verhalfen (vgl. Petroski 1989: 92ff.). So konnte er sich vermutlich gegenüber Tusche und Kohle als konkurrierenden Zeicheninstrumenten im wissenschaftlichen Zeichnen behaupten und wirkte zugleich zurück auf Diskurse, indem er durch seine Präzision andere Formen der Visualisierung etc. ermöglichte. Zudem könnte man ihn auch dem Dispositiv der industriellen Produktion zurechnen, welche auf den gesellschaftlichen Bedarf hin reagierte, ihn massenhaft zu produzieren. Daneben ist er aufgrund seiner inzwischen weltweiten Verbreitung und nützlichen Anwendbarkeit in fast allen klimatischen Bedingungen ein Bestandteil des Dispositivs der Globalisierung. Dies sind nur einige mögliche Beispiele von Dispositiven, die ich für plausibel halte und in denen der Bleistift als Artefakt einen Bestandteil darstellt.
Zusammenfassend ließ sich anhand der Ausführungen aufzeigen, dass der Bleistift als Objektivation strukturierend auf ein Subjekt oder Diskurse wirkt, wie die Anwendung von Agambens Dispositivdefinition aufzeigte. Jedoch verdeutlicht der Rückgriff auf Foucaults Dispositivkonzept und die Perspektive der Objektivation nach Bührmann und Schneider auch eine deutlich erweiterte Betrachtungsweise. In dieser wird offensichtlich, dass der Bleistift selbst ein Produkt der Schnittmengen vieler verschiedener Dispositive ist. Sie alle tragen zum breiten Bedeutungsfeld dieser Objektivation bei und erklären zugleich die dem Bleistift inkorporierten Eigenschaften, seinen korrekten Gebrauch und die Grenzen seiner Anwendung.
[1] „Apparatus“ wird in den meisten englischen Foucault-Übersetzungen anstelle des französischen Begriffs „dispositif“ bzw. im deutschsprachigen Raum benutzten Wort „Dispositiv“ verwendet.
Agamben, Giorgio (2009): “What is an apparatus?” And Other Essays. Aus dem Italienischen ins Englische von Kishik, D. und Pedatella, S. Stanford: Stanford University Press.
Bührmann, Andrea/Schneider, Werner (2008): Vom Diskurs zum Dispositiv. Eine Einführung in die Dispositivanalyse. Bielefeld: Transcript.
Bührmann, Andrea/Schneider, Werner (2013): Vom ‚discursive turn’ zum ‚dispositive turn’? Folgerungen, Herausforderungen und Perspektiven für die Forschungspraxis. In: Caborn Wengler, Joannah/Hoffarth, Britta/Kumięga, Łukasz (Hrsg.): Verortungen des Dispositiv-Begriffs: Analytische Einsätze zu Raum, Bildung, Politik. Wiesbaden: Springer VS, S. 21-35.
Foucault, Michel (1978): Das Dispositiv. In: Ders.: Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin: Merve, S. 119-125.
Mersch, Dieter (2010): Das Medium der Zeichnung. Über Denken in Bildern. In: Bystřický, Jiři/Engell, Lorenz/Krtilová, Kateřina (Hrsg.): Medien denken. Von der Bewegung des Begriffs zu bewegten Bildern. Bielefeld: Transcript, S. 83-109.
Petroski, H. (1989): The Pencil: a history of design and circumstance. New York: Knopf.
Pichler, W. & Ubl, R. (2007): Vor dem ersten Strich. Dispositive der Zeichnung in der mo- dernen und vormodernen Kunst. In: Busch, Werner (Hrsg.): Randgänge der Zeichnung. München: Fink, S. 231-256.