Beim ersten „Salon für kritische Kunstvermittlung“ des 23.2.2013 im Haus am Lützowplatz in Berlin wurden grundlegende Fragen der Kunstvermittlung gestellt und Impulse für längst überfällige Veränderungen in diesem Feld angestoßen. Der folgende Kommentar soll verdeutlichen, was genau diese überfälligen Veränderungen gerade im deutschsprachigen Raum sind und welche Impulse meiner Einschätzung nach von diesem Abend ausgelöst wurden. Der erste Salon war die Auftaktveranstaltung einer Reihe, die sich „der Auslotung von gesellschafts- und institutionskritischen Positionen in der Kunstvermittlung widmen möchte“ , außerdem wolle man, so Maren Ziese, eine der drei Initiatorinnen neben Nanna Lüth und Sandra Ortmann, der Vereinzelung im Kunstbetrieb, als einem von Machtverhältnissen durchdrungenen Feld, die Vernetzung entgegen setzen. Damit ist die Situation der Vermittlung treffend beschrieben und ihre problematischen Eckpfeiler skizziert. Dass gerade jetzt eine solche unabhängige und selbstorganisierte Initiative im Kunstbetrieb etabliert wird, ist bitter nötig, was nicht zuletzt durch das Interesse der zahlreichen Gäste belegt wurde.
Ein Thema des Salons war denn auch d a s kulturelle Großereignis im letzten Jahr – die dOCUMENTA (13). Über deren Vermittlung wird zwar intern sehr kontrovers diskutiert, das hatte aber bislang weniger öffentlich stattgefunden. Der zweite Brennpunkt bezog sich auf die Tatsache, dass in Ausstellungshäusern im deutschsprachigen Raum der pädagogische dem kuratorischen Bereich nachgeordnet ist – sofern das Aufgabengebiet der Vermittlung überhaupt als feste Position im Etat existiert. Unbequeme, kritische Positionen in der Kunstvermittlung müssen sich hier eine eigenständige Position erkämpfen, so das Credo der MacherInnen. Daher sei das entscheidende Ziel des Salons, zukünftig einen Raum für Begegnungen und den Austausch über Inhalte, Interessen und notwendige Strukturen zur Verbesserung des Arbeitsfeldes zu schaffen. Der Abend war somit als Fortsetzung und Festigung einer Bewegung zu verstehen, die sich als „kritische“ Kunstvermittlung bezeichnet und die sich für vertretbare Arbeitsbedingungen, Professionalität und (Selbst)Kritik einsetzt sowie Fragen nach Handlungsmöglichkeiten und Autonomie aufwirft.
Die beiden thematischen Blöcke wurden zunächst von Maren Ziese, seit 2011 Kuratorin der Kunstsammlung im Willy-Brandt-Haus in Berlin, Ayşe Gueleç (Kassel), Sandra Ortmann (Berlin), Nora Sternfeld (Helsinki/Wien) und Nanna Lüth (Berlin/Zürich) in Kurzvorträgen vorgestellt, um sie danach in Arbeitsgruppen zu vertiefen und gemeinsam zu diskutieren. Gueleç und Ortmann berichteten zunächst aus eigener Erfahrung über den Umgang mit Vermittlung und VermittlerInnen der documenten 12 und 13, und Sternfeld und Lüth konzentrierten sich auf das (Macht-)Verhältnis von edukativer und kuratorischer Arbeit.
Um den ersten Punkt zu verdeutlichen sei kurz das Programm der Kunstvermittlung der d13 skizziert: Die Vermittlung der dOCUMENTA (13) wurde mit dem vielsagenden Titel der Maybe Education überschrieben. Um MitarbeiterInnen dafür zu gewinnen, hatte die dOCUMENTA-Leitung Menschen v.a. aus Kassel beauftragt, als sogenannte Worldly Companions, Rundgänge für das Publikum durchzuführen. Vorbedingung für eine Einstellung als “weltgewandte” BegleiterIn war das Interesse an der documenta und an der Stadt Kassel. Der Auftrag an sie lautete, „ihre besonderen Eindrücke mit den Besucherinnen und Besuchern [zu] teilen“. Auf der Webseite hieß es weiter: “Besonders aber suchen wir Personen, die ein Interesse an zeitgenössischer Kunst haben, auch wenn sie in diesem Bereich über keine professionelle Ausbildung verfügen.“ Offiziell bevorzugte man also Personen, die über keine kunsthistorische oder -pädagogische Expertise verfügten und erhoffte sich mit diesem Profil, lebensnahe und unkonventionelle Perspektiven auf die Weltkunstausstellung einzubringen. Auch das an ein TV-Casting angelehnte Bewerbungsverfahren sprach dafür, dass die künstlerische Leitung das Ziel verfolgte, „authentische“ Stimmen auszuwählen.
Aus Sicht der kritischen Kunstvermittlung muss man sich fragen, ob dieser Hintergrund – und ich zitiere hier die Veranstaltungsankündigung des ersten Salons – „die häufig von Vermittler_innenseite geforderte Öffnung der Institution“ damit gefördert habe oder ob „dies nicht vielmehr eine Infragestellung des Arbeitsfeldes bedeutet“. Die Überlegung ist nachvollziehbar und gleichzeitig stellt sich damit die Frage, warum geglaubt wurde, dass kunstfernere Berufe besser für die Vermittlung geeignet seien, als in dem Gebiet professionell Tätige; zumal die „authentischen“ BegleiterInnen in einer extrem kurzen Schulungszeit von wenigen Wochen dann doch mit einem philosophischen Kanon (u.a. Judith Butler, Theodor W. Adorno) konfrontiert wurden, was als Hinweis gedeutet werden kann, dass Authentizität und Wohnort offenkundig dann doch nicht als ausreichend genug eingeschätzt worden sind, um über Kunstwerke zu sprechen und die „Eindrücke zu teilen“. Es bleibt unklar, warum kunsthistorisch, künstlerisch und/oder pädagogisch ausgebildete Personen diese Fähigkeit aberkannt worden ist, ebenso, wie die Möglichkeit Kunstwerke authentisch zu vermitteln. Tatsächlich scheint so eine Einstellung etabliert worden zu sein, die eine unpräzise Vorstellung von VermittlerInnen verstetigt, wonach diese als ExpertInnen den Zugang zu Kunstwerken grundsätzlich verunmöglichen. Anstatt hier allerdings VermittlerInnen weiter zu qualifizieren, wurde offensichtlich versucht, mit einer werbewirksamen Idee die bereits in einem Arbeitsfeld Tätigen auszutauschen.
Um den Fragen, die hinter dieser Vorgehensweise stecken, auf die Spur zu kommen, wurden die Aspekte von Gueleç und Ortmann mit der Vermittlung der documenta 12 verglichen. Im Gegensatz zur d13 wurde hier nämlich die Reflexivität und Professionalität des Arbeitsbereichs gefördert. Geschehen war das v.a. durch die Begleitforschung, und in der entsprechenden Publikation lässt sich der vielstimmige Prozess nachvollziehen (Carmen Mörsch und das Forschungsteam der documenta 12 Vermittlung, KUNSTVERMITTLUNG II, Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse eines Forschungsprojekts. Berlin 2009).
Gueleç und Ortmann arbeiteten maßgeblich im Feld der Vermittlung beider documenten. Die Sozialpädagogin Gueleç engagierte sich 2007 während der d12 als Mitglied und Sprecherin des Beirats und war 2012 Mitglied der Maybe Education Group, sowie Tutorin der Worldly Companions. Ortmann arbeitete für die d12 und d13 als Kunstvermittlerin und war für letztere ebenfalls als Mitglied der beratenden Maybe Education Group tätig.
Schwerpunkt des Beitrags von Gueleç war der Vergleich der letzten beiden documenten und hier insbesondere das Verhältnis der künstlerischen Leitung zum Beirat. Erstmals für die documenta 12 kam hier eine Gruppe zusammen, die im Kontakt mit der künstlerischen Leitung (Buergel/Noack) die Verbindung zwischen Großveranstaltung und der Stadt Kassel vermittelte. Obwohl die Atmosphäre offen gewesen sei, so habe doch v.a. die künstlerische Leitung davon profitiert, so Gueleç. Das Machtgefälle zwischen Beirat und Leitung sei dadurch deutlich markiert worden und während der dOCUMENTA (13) sei die Verbindung zu diesem Forum dann von der neuen künstlerischen Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev nicht wirklich weiter gepflegt worden.
Die Grenze zwischen Beirat und Leitung erweiterten sich schließlich eher zum Graben während der dOCUMENTA (13), denn die Verbindung zu diesem Forum wurde von der künstlerischen Leiterin denn nicht wirklich weiter gepflegt. Es hätte hier zwar zunächst Kontakte gegeben, aber das Wissen und die Erfahrung der Beiratsmitglieder seien weitgehend ignoriert worden. Man darf also annehmen, dass kein Interesse an diesen Personen, ihren Kenntnissen und Erfahrungen bestand. Entsprechend nachvollziehbar, wenn auch nicht einleuchtend, scheint die von Christov-Bakargiev proklamierte Einstellung, dass die von ihr ausgestellte Kunst keine Vermittlung bräuchte, sinngemäß so von ihr formuliert während einer öffentlichen Veranstaltung der Maybe education group im Ständehaus in Kassel Anfang August 2012. Ein Gedanke, dem es sich lohnte nachzugehen und herauszufinden, inwiefern die Leiterin der dOCUMENTA (13) sich überhaupt mit Vermittlungsfragen beschäftigt hat, beziehungsweise wie weit sie sich mit der Arbeit des Beirats und die der Vermittlung der vorherigen Documenta und den Positionen der kritischen Vermittlung auseinandergesetzt hatte. Inhaltlich Überschneidungen hatte es ja durchaus gegeben, liest man etwa die Begründung des „Vielleicht“ im Titel der Vermittlung der d13. Da heißt es auf der Webseite der d13 im Vergleich:
„Das »Vielleicht« reflektiert die Tatsache, dass Wissen schwer zu formulieren und auf den Punkt zu bringen ist und dass Kunst und künstlerische Forschung oft jede Form von festgelegter Bedeutung zu vermeiden suchen. Das »Vielleicht« verweist, in einem positiven Sinn, auf das Fehlen von Gewissheit und allgemeinen Aussagen, die das Ganze repräsentieren. Es ist vielmehr ein Zeichen für ein aktives Überdenken, wie Wissen im Kontext von Kunst vorgestellt wird. Dieses Programm beschäftigt sich mit der Herausforderung, die Kunst für den Wunsch nach Stimmigkeit darstellt; es stellt unsere Sucht nach Worten infrage und will dazu anregen, innerhalb verschiedener Ideen und Logiken zu agieren. Es signalisiert die Unmöglichkeit, Kunst – oder irgendeine andere komplexe Form von Wissen – auf eine einzige Erklärung, Frage oder Thematik oder auf ein einziges Paradigma zu reduzieren.“
Obwohl durchaus mit Positionen der kritischen Vermittlung vereinbar, muss gefragt werden, ob es sich um ein Lippenbekenntnis auf der Webseite handelte, oder ob dieses Credo tatsächlich auch während der Großveranstaltung umgesetzt wurde. In den Gesprächen am Abend des 1. Salons für kritische Kunstvermittlung zeigte sich jedenfalls, dass schon die formalen Konditionen: sprich die grundlegenden Arbeitsbedingungen für die VermittlerInnen der d13 nicht erfüllt waren.
Die Struktur jener formal konditionierenden Entscheidungen durch Geschäftsführung und künstlerische Leitung zeigt denn auch die Einstellung, respektive die von Ortmann in ihren Ausführungen geforderte fehlende „Haltung“, dem Arbeitsfeld und den darin Beschäftigten gegenüber. Zu diesen Faktoren gehören die finanziellen Hintergründe, an denen sich die Anerkennung der Leistungen ausdrückt oder eben nicht. So kostete z.B. ein Rundgang von etwa zwei Stunden 160 Euro, wovon ein/e Vermittler/in 70 Euro Honoar bekam (seit 2007 hatte sich damit nichts geändert). Der Rest floss in den Etat der d13 – eine Rechnung, die in den Gesprächen offen gelegt wurde. Dadurch, dass sich die VermittlerInnen einerseits selbst finanzieren mussten und weil ihre Arbeit gleichzeitig als Einnahmequelle zu funktionieren hatte, wird die Honorierung dieser Leistung in einen prekären, unsicheren Bereich mit ungleichen Interessen verschoben. Hinzu kam, dass durch das Outsourcing der Vermarktung der Touren, an eine in diesem Bereich unerfahrene Agentur, weder eine bestimmte Anzahl von Buchungen garantiert, noch eine gerechte Verteilung der Anfragen gewährleistet war. Ortmann begründete nicht zuletzt damit die zunehmende Verschlechterung der Stimmung im Team der weltgewandten BegleiterInnen, denn dies bedeutete ja, dass kein Mindestverdienst eingeplant war (wie etwa bei der vorherigen d12) und dass somit ohne Planungssicherheit auch keine Garantie der Bezahlung gegeben gewesen ist.
Man kann sich angesichts dieser grundlegenden verwaltungstechnischen Defizite, nicht dem Verdacht entziehen, dass für die künstlerische Leitung und Geschäftsführung weniger die Qualität der Vermittlung oder die Zufriedenheit von MitarbeiterInnen im Mittelpunkt stand, sondern dass vielmehr die Orientierung an der Gewinnmaximierung dieser Leistungen Ausschlag geben war. Es gab sogar Phasen, so Ortmann, in denen das Team daran dachte, zu streiken und stellte abschließend fest, dass die Kunstvermittlung während der d13 eher verhindert, als befördert worden ist.
Das Maybe Education-Projekt lässt sich vor diesem Hintergrund als Ausweg aus einer Situation lesen, in der die künstlerische Leiterin engagierten MitarbeiterInnen anstatt prinzipieller finanzieller Sicherung – und damit einer entscheidenden Form der Anerkennung von Leistung – stattdessen sozusagen Anteile am symbolischen Kapital an einer der wichtigsten internationalen Kunstausstellungen verkauft hatte. Damit würde die Auseinandersetzung mit edukativen Fragen zu einem quasi-künstlerischen beziehungsweise kuratorischen Impetus schrumpfen, der zwar aktuelle Trends aufgriff, dies aber oberflächlich und alibihaft getan hat und damit weitgehend eine qualifizierte Realisierung nicht ermöglicht hat. Die Einstellung, die die Verantwortlichen damit an den Tag gelegt haben, ist umso weniger nachvollziehbar, als ja gerade die Worldly Companions für eine enge Verbindung zwischen der Ausstellung und der Stadt Kassel stehen sollten.
Aus den ersten beiden Beiträgen lässt sich, einschließlich der Äußerungen der BesucherInnen des Salons nach einer ersten kurzen Phase der Gruppendiskussion, schlussfolgern, dass die Verbindung zum Publikum und zur Stadt Kassel für die Leitung jeder documenta eine Herausforderung ist, da das Verhältnis zwischen BürgerInnen der Stadt Kassel und dem Großereignis documenta – so die Insider – nicht einfach zu gestalten sei. Aufgrund der zusätzlichen Erwartungen eines internationalen Publikums, immer wieder aufs Neue eine Bandbreite an zahlreichen Angeboten, sowohl im Rahmenprogramm, als auch während der Rundgänge offeriert zu bekommen, sollte gerade das Arbeitsfeld der KunstvermittlerInnen – seien es nun fachfremde Persönlichkeiten oder auch nicht – als wertvoller Teil der Documenta verstanden werden.
Allerdings müssen sich angesichts der Hintergründe der d13 die gewesenen und zukünftigen Wordly Companions, KunstwissenschaftlerInnen, HistorikerInnen und KünstlerInnen fragen, welche Verantwortung sie selbst an der möglicherweise schweren Beschädigung des Arbeitsfeldes Vermittlung haben und inwieweit sie an der Fortführung unprofessioneller Konditionen mitwirken, beziehungsweise, wie dies zukünftig reflektiert und reformiert werden kann. Denn ihre Instrumentalisierung gründet nicht allein auf unumstößliche Machtverhältnisse im Kunstsystem, sondern auch auf die Akzeptanz bestehender Diskriminierungen im Kunstbetrieb Documenta. Zweifellos ein Aspekt, der von zahlreichen programmatisch kunstfernen Worldy Companions im Nachhinein erst reflektiert worden ist, für professionelle VermittlerInnen sollte dieses Bewusstsein schon deutlich früher wirksam geworden sein.
Ortmann kündigte an, dass im Herbst 2013 eine Publikation mit dem Titel: maybe education – Vielleicht doch keine Kunstvermittlung herauskommen werde, die ein Plädoyer für die Änderung gegenüber dem Feld der Vermittlung darstellt. Hier solle die Diskussion so fortgesetzt werden wird, dass sich die Probleme wie während der d13 nicht wiederholen werden. In dieser Publikation sollen dann auch endlich die Stimmen der Worldy Companions gehört und ausgewertet werden.
Die Kuratorin Nora Sternfeld und die Kunstvermittlerin Nanna Lüth setzten die Reihe der Statements mit dem educational turn in curating (Irit Rogoff 2008) im zweiten Teil des Abends fort. In ihren Statements konstatierten sie das zunehmende Interesse von KuratorInnen für pädagogische Arbeit und bezogen sich dabei auf eigene Publikationen, in denen Konflikte und Lösungsansätze für diese konkurrente Situation verhandelt werden.
So sprach Sternfeld über das jüngst erschienene Buch „educational turn – Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung“ (hg. von Beatrice Jaschke, Nora Sternfeld, Wien 2012) und Lüth über das Buch „medien kunst vermitteln“ (hg. von Nanna Lüth, Sabine Himmelsbach, Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Berlin 2011). Sternfeld, Professorin für Curating und Mediating Art an der Aalto Universität in Helsinki, ist bestens mit beiden Arbeitsfeldern vertraut und skizzierte die in ihnen stattfindenden programmatischen Trends. Die Tatsache, dass KuratorInnen über Bildungsfragen und damit über die Vermittlung in Ausstellungen nachdenken, mache den KunstvermittlerInnen ihr angestammtes Arbeitsgebiet streitig – so Sternfeld. Also ähnlich wie die Aufforderung kunstferner Professionen während der d13, die Aufgaben der Vermittlung zu übernehmen, zeigt sich auch hier ein Trend, der ein offenkundig zu wenig deutlich besetztes Arbeitsgebiet zum willkommenen Schlachtfeld gesellschaftspolitischer Interessen macht. Sternfelds Folgerung, dass sich nicht zuletzt deshalb in der kritischen Vermittlung gleichfalls ein turn eingestellt habe, der educational turn in education sozusagen, leuchtet vor diesem Hintergrund nur noch mehr ein. Allerdings wandte sie sich gegen einen fortwährenden „Transformationsimperativ“ der turns und setzte dagegen verstärkt auf den Begriff der Kontinuität; ähnlich wie Ayşe Gueleç, die für die Wertschätzung von vorhandenem lokalem Wissen votierte. Die beiden Positionen standen somit an dem Abend exemplarisch für Reaktionen auf die Zugriffe auf ein umkämpftes Arbeitsfeld und belegten den Ansatz des „ersten Salons“, nämlich den darin statthabenden Machtverhältnissen Vernetzung und Austausch entgegen zu setzen.
Die Ausführungen zum Problem kuratorische versus kunstvermittelnde Arbeit wurde denn auch anschaulich durch ein Praxisbeispiel aus der Kunstvermittlung des Edith-Ruß-Hauses für Medienkunst in Oldenburg vor Augen geführt, für die Nanna Lüth 2008–20012 verantwortlich war. Sie sprach über einen Auftrag an die Kunstvermittlung, der lautete, 2010 für eine Ausstellung die partizipatorische Arbeit des Künstlers Harrell Fletcher über Kriegserfahrungen zu realisieren. Konzept des Partizipationsprojektes war es, eine Gruppe junger Menschen mit älteren Persönlichkeiten zusammenzubringen, die persönlich Krieg erfahren hatten und die diese Erfahrungen beschrieben, während die jüngeren zeichneten. Lüth begründete ihren damaligen (erfolglosen) Versuch, die Aufgabe abzulehnen, dadurch, dass sie „Kunstvermittlung nicht als Assistenz von Künstler_innen verstehe“. Zudem zeigten sich bei näherem Hinsehen und im Kontakt mit MultiplikatorInnen konzeptuelle und ethische Schwierigkeiten, die nun die Vermittlung zu lösen hatte. Allerdings stellte sie fest, dass in diesem Fall nicht ein educational turn der kuratorischen Leitung ablesbar sei, sondern dass vielmehr ganz praktische Gründe, wie etwa die guten Kontakte der Vermittlung zu verschiedensten Bevölkerungsgruppen und deren prinzipielle Eignung, „Partizipation herzustellen“, ausschlaggebend waren. Im konkreten Beispiel gelang es letztlich dennoch, sich das künstlerische Konzept so anzueignen und so zu verändern, dass es für die lokalen Beteiligten – ErzählerInnen und Zeichnende – nützlich wurde. Sie sei aufgrund dieser und ähnlicher Beobachtungen skeptisch in Bezug auf die Möglichkeit der Allianzenbildung von Vermittlung und kuratorischer Arbeit. Lüth hielt eine, unter diesen Umständen notwendige, Grenzziehung zwischen beiden Arbeitsbereichen für sinnvoll. Damit betonte sie, dass Kunstvermittlung ein eigenes Arbeitsfeld ist, das sich nicht automatisch unterordnet, und damit traf sie m.E. den entscheidenden Punkt eines nach wie vor gängigen Verhältnisses zwischen kuratorischer und vermittelnder Arbeit. Sie stellte außerdem fest, dass „kritische Kunstvermittlung weiterhin gegenüber Kurator_innen auf ihren eigenen Kriterien und Entscheidungsbefugnissen bestehen und um Handlungsräume ringen muss“. Abschließend plädierte sie für „einen gleichberechtigten Einbezug von Kunstvermittler_innen in die kuratorische Planung von Anfang an“.
Um ein Arbeiten auf Augenhöhe zu ermöglichen, müssen allerdings bestimmte Voraussetzungen nicht zuletzt von den VermittlerInnen selbst geschaffen werden. Dazu gehört ebenso, Verantwortung und Initiative selbstbewusst zu übernehmen und um die Reformierung des Feldes in den verhärteten Strukturen des Kunstsystems fortzusetzen, der Fortführung unprofessioneller Konditionen kritisch und reflexiv Konditionen entgegenzuwirken. Denn in den Schlussdarstellungen der Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass nach wie vor schwerwiegende Defizite im deutschsprachigen Feld der Vermittlung existieren. Der „erste Salon für kritische Kunstvermittlung“ ist deshalb als Versuch zu werten, ein Forum zu etablieren, in dem – wie der Name schon sagt – der notwendigen Austausch angestoßen wird, um die Verhältnisse umzugestalten. Nur so kann der vielfach zitierte educational turn tatsächlich eingelöst werden und verkümmert nicht zu einer raffinierten, gleichwohl entleerten Aneignung. Die Tatsache, dass gerade der Bereich der Vermittlung bzw. der Pädagogik feminisiert ist – wie das Publikum am Abend des ersten Salons augenscheinlich zeigte verdeutlichte zudem das Problem der Zuschreibung weiblich besetzter Arbeit und dem damit verbundenen Mangel an Anerkennung. Man kann also hoffen, dass diese Tatsache ein weiterer Schwerpunkt für einen zukünftigen Salon werden wird.
Der zweite Salon für kritische Kunstvermittlung findet am 26. Mai 2013, ebenfalls im Haus am Lützowplatz statt. Weitere Informationen: kritischekunstvermittlung@email.de
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