Texte zum Thema „Sichtbarkeit“

Transkulturelle Bild(ungs)arbeit. Wechselseitige Lernprozesse durch fotografische Praxis

13. Oktober 2021
„Eine Person kann ganz widerspruchsfrei amerikanische Bürgerin von karibischer Herkunft mit afrikanischen Vorfahren, Christin, Liberale, Frau, Vegetarierin, Langstreckenläuferin, Feministin, Heterosexuelle, Tennisfan et cetera sein“, schreibt der Ökonomie-Nobelpreisträger Amartya Sen in seinem Buch „Die Identitätsfalle“ (2007: 33f.) und bringt damit seine Kritik an der essentialistischen Illusion, der Mensch sei auf eine einzige Identität und damit auf eine Kultur reduzierbar, zum Ausdruck. Vorliegenden Auszug zitiert auch Bernd Wagner (2012) und unterstreicht, dass der Mensch aufgrund vielfacher Einflussfaktoren wie der Globalisierung, des technologischen Fortschritts (z.B. Kommunikationstechnologie, Luftfahrt etc.) und der damit in Zusammenhang stehenden Kommunikationskultur und Mobilität unentwegt mit verschiedensten Kulturen (z.B. Breiten-, Sub- und Alternativkulturen) in Berührung kommt und diese wiederkehrend in Beziehung zur eigenen kulturellen Identität setzt. Aus postkolonialer Perspektive sind diese Kulturen in Abkehr zu Johann Gottfried Herders traditionellem Kugelmodel weder als „statisch“ noch „rein“ zu begreifen. Kulturen haben sich über Jahrhunderte hinweg wechselseitig durchdrungen (vgl. Wagner 2012: 249) und sich aufgrund der damit verbundenen Vermischung von Wertesystemen, Glaubenssätzen und Lebensweisen immer wieder aufs Neue transformiert. So heterogen und hybride Kulturen ihrem Wesen nach sind, so veränderlich und inhomogen sind auch die darin verankerten Identitäten. Weder Kultur noch Identität sind diesem Ansatz folgend in sich ruhende und ursprüngliche Einheiten, bei denen eindeutig eine Grenzlinie zwischen dem Eigenen und dem Fremden gezogen werden kann (vgl. Wagner 2012: 248), sondern sie erweisen sich als Produkt immerwährender Verschmelzungs- und Neuausprägungsprozesse, die multiple Zugehörigkeiten, Orientierungen und Positionierungen ermöglichen.  

An der Festung rütteln: Aufforderung zur Erschütterung. Kommentar zum Beitrag von Eva Sturm

25. November 2017
Ein Begriff, den Eva Sturm auf der Hamburger Tagung zitierte, hat sich zentral in meiner Erinnerung verankert: die „paranoide Festungsmentalität“, die es nach Karl-Josef Pazzini zu lockern gilt. Beim Nachdenken über die Debatten im Warburg-Haus habe ich mein Skizzenbuch durchgeblättert und auch dort taucht er auf. Warum bleibt er zurück? Weil er zur Selbstbefragung auffordert? Selbstbefragungen – genau das lese ich in Eva Sturms Text, in dem sie sich mit den Potenzialen von kunstpädagogischer „Bildungsarbeit“ auseinandersetzt. Pazzini schreibt, Sturm zitiert: „Die paranoide Festungsmentalität verhandelt nicht, sie muss die Position der Überlegenheit vor der Verhandlung suchen.“ Das fordert jede statische Positionierung heraus. Eva Sturm nimmt diese Selbstbefragung auf. Sie geht den eigenen Optionen der Differenzbildung nach – und das ohne den Gestus des Immer-schon-gewusst-Habens.

Sichtbarmachung – Magie – Wunscherfüllung. Zwei Denkfiguren und ein Fernsehprogramm

25. November 2017
In seinem Aufsatz über Die Universität als Schutz für den Wahn vergleicht Pazzini an einer Stelle das „Sichtbarmachen etwa durch bildgebende Verfahren“ mit „anderen magischen Praktiken“ (Pazzini 2005a: 138). Diese Bemerkung greife ich im Folgenden in Bezug auf die Frage nach dem Zusammenhang von Sichtbarmachung, Magie und Wunscherfüllung auf, um sie dann mit einer weiteren Denkfigur zu konstellieren und schließlich auf ein aktuelles TV-Forschungsprojekt zu applizieren. Fragt man die Psychoanalyse nach der Magie, so sind es nach Freud die Wünsche, die zu ihrer Ausübung drängen (Freud 1912-13a: 103). Ein Wunsch wiederum kann danach streben, das Erinnerungsbild einer gewissen Wahrnehmung, welche im Zuge eines Befriedigungserlebnisses erschienen ist, wieder zu besetzen (vgl. Freud 1900a: 571).