Wenn Popkultur überfordert und Körperlichkeit mit Scham besetzt wird – Rassismus in den (sexual-)pädagogischen Blick nehmen

Ich weiß nicht, was mich zu einer Entscheidung bringen würde, sexualpädagogisch arbeiten zu wollen. Wie käme ich dazu, mit Adoleszenten über Liebe, Sex und Begehren sprechen zu wollen? Und sie dabei selbstermächtigend zum Nachdenken und Reflektieren über differenzsensible Repräsentionsmodi zu bringen?

Aus dem Forschungsprojekt Imagining Desires wurden mir acht Bilderstapel übergeben und erklärt, wie sie entstanden sind und in welchen Kontexten sie genutzt wurden. Ich wurde gebeten, das gesammelte visuelle Material durch die Brille meiner fachlichen Expertise als Kulturwissenschaftlerin und Kuratorin zu sichten und zu kommentieren.

Ich entschied mich dafür darüber nachzudenken, welche Herausforderungen ich für Jugendliche anhand der Analyse des visuellen Materials – vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungen als Schwarze Frau, die deutschsprachige Bildungsinstitutionen durchlaufen hat – ableite.

Als Arbeitsmaterial für diesen Text standen mir somit acht Bilderstapel zur Verfügung, mit denen in unterschiedlichen Phasen des Projekts Imagining Desires mit Studierenden und Schüler*innen der Sekundarstufe I und II gearbeitet wurde. Es waren acht unterschiedlich große Stapel, welche sowohl Mainstream als auch minorisierte Personen unterschiedlich repräsentieren und sehr weitgespannte Inhalte transportieren.

Bevor ich mich eingehend mit dem verfügbaren visuellen Material zu beschäftigen begann, sichtete ich zum wiederholten Mal meine Notizen aus dem Gespräch mit den Projektmitarbeiterinnen, die mir die Bildersammlungen übergeben hatten. Dabei wurde mir klar, dass mir bei unserem Treffen die Diskussion des Begriffs Scham gefehlt hatte. Dieser war beim Reflektieren über mein eigenes Erleben der Diskussion von Sexualität, Lust und Begehren während meiner Teenagerjahre zentral.

Gefühle von Peinlichkeit und Verlegenheit, aber auch Demütigung und Kränkung können Scham auslösen. In Hinblick auf das Sprechen über Sexualität, kenne ich die gesamte Palette der aufgezählten Gefühle von mir selbst. Gerade die Phase der Adoleszenz war bei mir und meinen Freundinnen im Hinblick auf den Austausch über Sexualität von einer gewissen Kommunikationsunfähigkeit und Wortlosigkeit geprägt.

Alle Versuche von Lehrer*innen mit uns über Sexualität in Fächern wie Biologie oder Werte und Normen zu sprechen, waren peinlich. Peinlich berührt waren nicht nur wir Kids, sondern auch die Lehrer*innen selbst. Sie verkrampften sich oder wurden unnötig flapsig und vermeintlich locker. Bei mir löste dieses Benehmen das Gefühl aus, dass wir nun über ein Thema sprechen würden, das eigentlich nicht offen diskutiert gehörte. Und mit diesem Gefühl stand ich unter uns Freundinnen nicht alleine da.

Die Jungs hingegen prahlten in so mancher Montagspause gern über sexuelle Praktiken, die sie am vorangegangenen Wochenende mit anderen, unbekannten Mädchen vollzogen haben wollten. Beim Zuhören schlackerten mir meine jungfräulichen Ohren zeitweise. Sie erzählten es so laut, dass jeder im Umkreis zuhören konnte und sollte.

Jahre später, als Freundinnen von den ersten unguten sexuellen Erlebnissen erzählten, wären sie nie auf die Idee gekommen, bei „Violetta“ oder dem „Weißen Ring“ anzurufen, obwohl wir die Infobroschüren dieser Organisationen in der Schule bekommen hatten. Sie rückten ja kaum bei mir mit der Sprache raus. Und ich war mit meinen sechzehn, siebzehn, achtzehn Jahren bei Erzählungen rund um diverse Formen von sexuellen Übergriffen komplett überfordert, musste meinen Freundinnen aber versprechen, dass ich niemandem davon erzählen würde. Den verhassten, als notgeil wahrgenommenen Vertrauenslehrer hätten wir auf keinen Fall bei solch sensiblen Themen zu Rate gezogen. Und zuhause gab es sowieso keinen Raum, um über solche Erlebnisse zu sprechen. Wir genierten uns einfach das uns Widerfahrende mit Lehrer*innen und/oder anderen Erwachsenen zu thematisieren. Scham war also ein Thema, dass sich rund um das Feld Sexualität auf vielerlei Arten und Weisen in meinen eigenen Jugendjahren geäußert hatte.

Von diesem Punkt aus will ich erkunden, wie und wo meine Scham sich in der Auseinandersetzung mit dem zur Verfügung gestellten Material regt und welche Erinnerungen und Assoziationsketten sich dabei verweben.

Sexuelles kommentieren: Ausdruck und Weitergabe von Überforderung

Besondere Aufmerksamkeit erregten bei mir einige Bilder aus dem „von Schüler_innen und Studierenden gesammelten“ Stapel. Stills aus Videos mit der Hip Hop-Künstlerin Nicki Minaj fanden sich in dieser Sammlung, aus Soloarbeiten als auch aus Kollaborationen. Vermutlich waren es diese Musikvideos in denen US-Mainstream-Hip-Hop-Kultur (re-)produziert wird, die mich an eine Erfahrung vor einigen Jahren zurückdenken ließ:

2002 kam der Film „8 Mile“ von Curtis Hanson in die Kinos. Ich sah ihn mir in der Premierewoche an. Damals war ich zwanzig Jahre alt. In der Reihe hinter mir saß eine Gruppe ‚cooler Jungs‘. Ich schätze, die Buben waren um die sechzehn Jahre alt. Im Film gab es die Szene, in der die Hauptfigur – von Rapper Eminem gespielt – die weibliche Hauptfigur vögelt. Im Stehen, an irgendeinem ranzigen Ort. Die Frauenfigur befeuchtete ihre Hand mit ihrem eigenen Speichel, um den Penis einführen zu können. Das war für einen aus der Gruppe, den vermeintlichen Rädelsführer, zu viel. Ihm entwich ein lautes „igitt“. Ich saß da und musste grinsen. Diese Schockiertheit überraschte mich, denn die Buben bedienten sich vorher allerlei sexualisierter Schimpfworte. Es war eine Gruppe von Teens of Color, die ihre Vorliebe für Hip-Hop-Kultur durch ihre Kleidung zum Ausdruck brachten und durch lautes Reden, Necken, Angeben vor Filmbeginn im Saal um Aufmerksamkeit gebuhlt hatten. Ich war amüsiert, dass diese Szene den ‚coolen Jungen‘ überforderte und er dem verbal Ausdruck verlieh.

Gerade in Filmen wird eine gewisse Sexualität und Nacktheit normalisiert und normiert. Auch bei mir löste die Filmszene eine peinliche Berührtheit aus. Unsere Popkultur ist für Heranwachsende oft überfordernd. Das habe ich zur Genüge selbst erfahren. Einen Song von Eminem zu hören, der explizit ist (und von dem ich als Teen selbst fast kein Wort verstand, weil er auf Englisch war), ist lange nicht so krass, wie bewegte Bilder zu sehen, die offensiv sexualisiert sind. So meine heutige Deutung der Reaktion des Jungen.

Hip-Hop als musikalisches Genre wird gerne genannt, wenn nach ‚Schuldigen‘ für das Herabwürdigen von Frauen im Pop-Business gesucht wird. In den US-amerikanischen Rap-Texten wird meist von Schwarzen Frauen gesprochen. Und das Sprechen über Schwarze Frauen wird aus einer spezifischen USamerikanischen kollektiven Erfahrung heraus gespeist. Darauf komme ich später noch einmal zu sprechen.

Zur Repräsentation von Personen of Color in der Bildersammlung der Schüler*innen und Studierenden

Viele der Bilder, die mir in den Stapeln übergeben wurden1, kenne ich. Besondere Aufmerksamkeit erregten bei mir, wie schon erwähnt, einige Stills aus Musik-Videos mit Nicki Minaj. Und ich war fasziniert, dass ich sie kenne. Weil ich eben eine gewisse Faszination für die Videos hege, aus denen sie entnommen wurden.

Uns springen Nacktheit und Sexualisierung allerorts an, sie scheinen in unserer visuellen Kultur omnipräsent. Auffällig ist2, dass die Stills mit Nicki Minaj die einzigen Abbildungen in der von jungen Erwachsenen erstellten Bildersammlung sind, auf denen Personen of Color abgebildet sind, bzw. auf denen Kunst von Personen of Color referenziert wird. Vielleicht hat ein und dieselbe Person die Bilder, auf denen auf Kunst von PoC verwiesen wird, zum Workshop mitgebracht?

Ich weiß noch, wie mein Mund offenstand, als ich das Video von Nicki Minaj vor ein paar Sommern das erste Mal sah. Ich war erstaunt über die Performance. Ich war über die sexualisierten Körper empört, gleichzeitig fand ich Nicki Minaj sehr sexy und eine gute Rapperin. Und ich sah, dass das Video bereits mehrere Dutzend Millionen Klicks auf YouTube hatte – ich war mal wieder (zu) spät zur Party.

Minaj ist zierlich, hat einen sehr schlanken Körper, einen enhancten Hintern, Brustimplantate und ein Puppengesicht. Am Anfang ihrer Karriere trug sie neonfarbene Perücken, farbige Kontaktlinsen, flashige Outfits und machte futuristisch anmutende, bunte Videos mit sehr melodiösem Pop. Zeitweise sang sie. Sie wurde zum globalen Popstar. Dann kam das Video zu „Anaconda“. Ich sah mir ein Making of davon an. Darin gab es Szenen, die bei mir einen bleibenden Eindruck hinterließen. Vor der Kamera wurde dokumentiert, wie Minaj sich ein Gläschen Sekt gönnte. Der Dreh einer spezifischen Szene für das Video stand an. Und der machte sie sichtlich nervös. Sie musste
sich Alkohol gönnen. Die Szene war jene, in der sie einen auf einem Stuhl sitzenden Mann antwerkte. Ihr Arsch wurde in Szene gesetzt und es gab in dieser Szene nicht nur die Linse und den Staff als Rezipient*innen. Nein, es war der Rapper Drake, ein machtvoller Musikerkollege, welcher auf dem Stuhl saß. Sie twerkte, und twerkte. Und dann ging sie davon. Ein in sich zusammengesunkener Drake blieb im Bild. Er hätte doch so gerne hingegriffen. Aber er durfte halt nicht. So später das Narrativ im fertig produzierten Video.

Minaj selbst will ihren Song als Antwort auf Sir Mix-a-Lots Song „Baby Got Back“ (1992) verstanden wissen, in dem die rausstehenden Hinterteile von Schwarzen Frauen aus männlicher Perspektive abgefeiert werden. Minaj und die Tänzerinnen verkaufen im Video optisch etwas, für das es einen Markt gibt. Sie schlagen Profit aus der Popularisierung eines vermeintlich ‚Schwarzen‘ Körpermerkmals, welches mittlerweile dank Implantaten und Advokatinnen wie den Kardashian-Schwestern3 massenhaft erreichbar und erstrebenswert ist. War es in meinen Jugendjahren in meinem mehrheitlich weißen Umfeld – gelinde gesagt – unschön, einen Fat Booty zu haben, hat sich das bei heutigen Jugendlichen verändert. Es ist ein Schönheitsideal, das mittlerweile im Mainstream angekommen ist. Dabei wird bei dieser Erscheinung gerne ausgeblendet, welche Herabwürdigungen Schwarze Frauen für dieses vermeintlich Schwarze körperliche Merkmal im Verlauf der Sklaverei- und Kolonialgeschichte erfahren haben.4

Sahra Baartman5, eine junge Frau aus Südafrika, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts das ‘‘original icon for black female sexuality’’ (Hill Collins 2000: 236) in der weißen volkstümlichen Imagination. Sie wurde 1810 nach Europa verschleppt. Ihre Ausstellung vor weißem Publikum bestätigte weiße Vorstellungen einer devianten Schwarzen Sexualität. Baartman wurde dermaßen auf ihre Physiologie, ihre Genitalien reduziert, dass sie zur Unterhaltung weißer Zuschauer*innen gewissermaßen zu ihnen wurde. Baartmans Überreste kehrten erst 2002 aus dem Museum in Paris nach Südafrika zurück, wo sie endlich beigesetzt werden konnten.

Die hegemoniale Darstellungsweise vom Schwarzen weiblichen Körper ist mit wenigen Änderungen seit dem 15. Jahrhundert tief in die (visuelle) Kultur der Gesellschaften eingewoben. Schwarzes Frausein wird schnell in die Nähe von Sexualität gebracht – einer devianten Sexualität. Daher werden Schwarze Frauen bis heute aus einer rassistischen Narration heraus als sexuell unverantwortlich, promisk, unersättlich und daher straflos ausbeutbar dargestellt. Diese Narration wird, wie ich bereits erwähnt habe, nicht selten in der Hip-Hop bzw. Rap Musik aus dem US-amerikanischen Kontext aufgegriffen und reproduziert.

Im August 2014 wurde das Video zu „Anaconda“ veröffentlicht. Im Juli 2019 sah ich, dass das Video mehr als 872 Mio. Klicks auf YouTube hat. Und ich sah im Video, dass die ganze Zeit getwerkt wurde. Es gab viele sexuelle Anspielungen, auf Penisse, auf Ejakulat. Was nicht durch Metaphern ausgedrückt wird, sind hypersexualisierte Frauenkörper. Hypersexualisierte Frauenkörper of Color, in der Mehrzahl. Ein Fokus liegt auf den Ärschen, die oft in Zeitlupe bouncen. Tänzerinnen bringen ihre Hintern gekonnt in Szene, reiben sie beim Tanzen aneinander. Sie sind zärtlich zueinander, ein anderes Klischee, das gerne bedient wird: Zärtlichkeit unter Frauen ist jederzeit willkommen, wenn sie dem männlichen Blick dient.

Im Song rappt Nicki Minaj über ihre Lover. In expliziten Worten kommt ihr Text daher, der wie ein Erfahrungsbericht anmutet. Sie vögelt Männer, sie lässt es sich gut besorgen. Sie besorgt es den Dudes, die ihr dafür Luxus ermöglichen.

Ich fand das Video, wie gesagt, erstaunlich. Ich war gespannt, ob ich irgendwo Brechungen reinlesen würde. Ob humoristisch mit den klischeehaft kolonialen Erzählungsmomenten umgegangen werden würde – ob ich irgendwo einen Bruch mit Stereotypen heineininterpretieren konnte. Aber nein. Es ist, wie es ist: Ein Video, das mehrheitlich Körper von Women of Color sexualisiert verkauft und dabei unreflektierte Reminiszenzen an koloniale Bilder liefert.

Ich wollte mehr zum Entstehungskontext des Videos erfahren. Das Making-of fand ich dementsprechend spannender. Eine Nicki Minaj, die sich erst einen antrinken muss, damit sie vor Drake twerken kann, liefert mir eine andere Erzählung als die Songtextebene. Aus dem Making-of las ich: Eine sexuelle Freiheit und Selbstbestimmtheit, wie sie im Text postuliert wird, gibt es de facto für die Künstlerin bei ihrer Performance nicht.
Drogenkonsum wird im Song thematisiert. „I’m high as hell, I only took a half a pill.“ So steht vor der Übertretung der eigenen Schamgrenze – die ich bei Minaj im Making-of textlich als auch bildlich als ein Gefühl der Peinlichkeit und/oder Verlegenheit gelesen habe – der Konsum von bewusstseinsverändernden Substanzen.

Erste Experimente mit bewusstseinsverändernden Stoffen stehen bei Teens an. Man macht sich halt locker, möchte nicht außen vor bleiben und neue Erfahrungen machen, die einen aufregen. Wurde über diesen Aspekt beim Besprechen der Stills auch gesprochen?

Wir werden von unseren Umfeldern geprägt: Familien, Freundschaften, Verwandte, Bekannte, aber auch Institutionen wie Kindergärten und Schulen. Später sind es Arbeits-, Ausbildungs- und Studiensettings. In jedem Umfeld gibt es bezogen auf körperliche und/oder sprachliche Freizügigkeit andere Regeln.

An meiner Schule gehörte es in meinem Jahrgang für manche Mitschüler*innen zum guten Ton von Alkoholvergiftungen und sexuell ausschweifenden Partyerfahrungen zu erzählen. Mit Jugendlichen sollte ausgiebigst besprochen werden, dass das Erleben neuer Erfahrungen nicht der vorherigen Enthemmung durch Drogen bedarf. Respektvoll mit den eigenen Bedürfnissen und Grenzen umzugehen, sollte für alle Kinder und Teens denkbar sein. Nicht nur für Kinder, die bei allen möglichen Privilegien den Jackpot gezogen haben.

Erhöhte Vulnerabilität von Kids of Color für sexualisierte Übergriffe

Je früher wir als Individuen Worte für das uns Widerfahrende finden, umso besser können wir uns abgrenzen und ein starkes, selbstbestimmtes Bild von uns und unseren Bedürfnissen aufbauen. Aus intersektionaler Perspektive wird klar, dass Kids of Color in weißdominierten Kontexten größere Gefahr laufen, sexuellen Übergriffen Gleichaltriger ausgesetzt zu sein. Als migrantisch wahrgenommen und markiert zu werden, birgt in sich einen sozial verminderten Status. Wird beispielsweise der Faktor race hinzugefügt, entstehen Dynamiken, die Übergriffe auf Kids of Color allgemein wahrscheinlicher machen.6 Beim Sichten und Reflektieren der mir übergebenen Bildmaterialien, wird mir einmal mehr bewusst: Rassismuskritische Ansätze7 sind in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zentral, um einer emanzipatorischen Haltung gerecht zu werden.

In den letzten Jahren halfen mir vornehmlich queerfeministisch-aktivistische Freund*innen bei der Auseinandersetzung mit den theoretischen Underpinnings von Ungleichheiten. Texte von May Ayim, Audre Lorde, Gloria Anzaldúa kreuzten meinen Weg während meiner frühen Erwachsenenjahre. Davor waren es verstärkt Musiker*innen und deren Repräsentationen in Medien, die mir Identifikationsangebot waren.

Salt`N´Pepa, TLC, Lauryn Hill, Jill Scott, Angie Stone, Ursula Rucker, En Vogue, Missy Elliott, Sabrina Setlur, später zum Beispiel Janelle Monae, Sampa the Great und Lizzo. In deren Songs und physischer Erscheinung, in ihren Performances auf Bühnen und in Musikvideos konnte ich zum Glück diverse Schwarze Weiblichkeiten ausmachen und mich in unterschiedlichen Anteilen gespiegelt sehen. Das heißt, in der Popkulur fand ich ab den Teenagerjahren auch Heldinnen, die mir gefielen, die mir etwas sagten und die mir halfen meine Körperlichkeit und Sexualität auch in einem mehrheitlich weißen Umfeld positiv besetzen zu können.

Nicki Minaj hat sich die Anerkennung von Kolleg*innen hart erarbeitet. Ihre musikalischen Skills werden im Hip-Hop respektiert. Wenn Jugendlichen früh eine Vielfalt von Repräsentation gezeigt wird – das kann auch bedeuten, das selbstermächtigende Potential hypersexualisierter Darstellungen wie jene von Nicki Minaj nicht abzuwerten sondern anzuerkennen – können sie sich schon zu gegebener Zeit nehmen, was ihnen jeweils gut tut. Und den Rest einfach beiseite lassen. So habe ich es jedenfalls gehandhabt.

Wie käme ich also dazu, sexualpädagogisch arbeiten zu wollen? So war meine eingangs gestellte Frage. Ich würde Jugendliche dabei unterstützen wollen, über Sexualität, Gefühle und Beziehungen freier und differenzierter sprechen zu können. Ich würde gerne dazu beitragen, dass sie ihren Körper und ihren Geist für wertvoll und schützenswert erachten und dabei lernen vorherrschende Stereotype und Rollenbilder kritisch zu betrachten. Ich würde ihnen ermöglichen wollen, möglichst viele Facetten der Sexualität bei sich und anderen anzuerkennen.

Anmerkungen

[1] Als ich das Bildmaterial das erste Mal komplett im gemeinsamen Arbeitsatelier sichtete, legte ich es nach einander, untereinander, dann nebeneinander in Reihen auf. Am Anfang des Prozesses spielte ich mit dem Gedanken, es so zu dokumentieren, wie es mir übergeben wurden. Meist sind die Bilder zusammenhangslos; haben keine Namen und keinen Kontext außer einer festen Karte, die den Nutzungskontext knapp beschreibt. Ich schaffte Ordnung in einer Ordnung, die mir wenig Anhaltspunkte liefert.

[2] Immer noch ist es überwiegend eine heteronormative, dem Blick eines weißen Cis-Dudes andienende Nacktheit, und vor allem Sexualität. So findet sich in der Sammlung beispielsweise auch ein Foto einer Produktverpackung für Wurstaufschnitt. Ich musste über das Werbefoto sehr lachen. Eine nackte weiße Frau räkelt sich über der Klarsichtfolie der „Wellness Extrawurst“ von Berger. Sie ist bis zur Hüfte mit einem schwarzen Laken bedeckt und liegt seitlich , den Busen mit dem Arm bedeckend. Bei der Online-Recherche poppte dieses Bild nirgendwo auf. Und auch auf der Homepage konnte ich keine verantwortliche Werbeagentur ausmachen. Aber nacktes Fleisch sollte in diesem Fall das Fleisch verkaufen. So die platte Botschaft.

[3] Keeping up with the Kardashians ist eine US-amerikanische Reality-Serie, mit der Familie Kardashian als Hauptprotagonisten. Kim Kardashian und ihre Schwestern sind unter anderem bekannt für ihre enhancten Hintern, die sie in der Popindustrie kommerziell erfolgreich zu vermarkten wissen.

[4] Siehe dazu die Arbeiten von Sander Gilman und Patricia Hill Collins (2000).

[5] Sarah Baartmans Geburtsname ist unbekannt. Sie wurde während eines vierjährigen Aufenthalts in England und Irland in Manchester als Sarah Baartman getauft (vgl. Qureshi 2004).

[6] Einen etwas älteren, aber immer noch relevanten Überblick über Forschungszugänge in den  USA bietet der Text „Racial, ethnic, and cultural factors of childhood sexual abuse: a selected review of the literature“ von M.C. Kenny und A.G. McEachern (2000).

 [7] Einen informativen Überblick zu dekolonialen und queertheorethischen Ansätzen in der Bildungsarbeit bieten z.B. die ersten beiden Kapitel der Dissertation von Maureen Nicole Osborn „Remaking Friendship in Unlikely Places: Queer-Decolonial Educators and Connections Across Experience, Politics, and Educators and Connections Across Experience, Politics, and Pedagogy“ (2019).

Literatur

Gilman, Sander L. (1985): Black Bodies, White Bodies. Toward an Iconography of Female Sexuality in Late Nineteenth-Century Art, Medicine, and Literature. In: Critical Inquiry 12 (1), S. 204-242.

Hill Collins, Patricia (2000 [1990]): Black feminist thought: knowledge, consciousness, and the politics of empowerment. New York: Routledge.

Kenny, Maureen C./McEachern, Adriana Garcia (2000): Racial, ethnic, and cultural factors of childhood sexual abuse: a selected review of the literature. In: Clinical Psychology Review. 20(7), S. 905‐922.

Osborn, Maureen Nicole (2019): Remaking Friendship in Unlikely Places: Queer-Decolonial Remaking Friendship in Unlikely Places: Queer-Decolonial Educators and Connections Across Experience, Politics, and Educators and Connections Across Experience, Politics, and Pedagogy Pedagogy. The University of San Francisco. Online: https://repository.usfca.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1498&context=diss. [20.1.2019]

Qureshi, Sadiah (2004): Displaying Sara Baartman, the ‚Venus Hottentot‘. In: History of Science. 42 (136), S. 233–257.

Von Jaqueline Ejiji

Veröffentlicht am 3. September 2020

Zitiervorschlag

Ejiji, Jaqueline: Wenn Popkultur überfordert und Körperlichkeit mit Scham besetzt wird – Rassismus in den (sexual-)pädagogischen Blick nehmen, in: Anna Pritz, Rafaela Siegenthaler, Marion Thuswald (Hg.): Bilder befragen. Begehren erkunden, Zeitschrift Kunst Medien Bildung | zkmb 2020. Quelle: https://zkmb.de/wenn-popkultur-ueberfordert-und-koerperlichkeit-mit-scham-besetzt-wird-rassismus-in-den-sexual-paedagogischen-blick-nehmen/; Letzter Zugriff: 14.05.2024